© by Michael Hatzenbichler

In Venedig im Jahr 2021

Ich fahre mit der Bahn nach Venedig, in die Stadt, die ich schon so oft gesehen habe und die ich noch immer liebe. Mit dem Auto mag ich nicht fahren, die Wartezeiten an den Grenzen sind unmenschlich. Zwar gibt es auch im Zug Kontrollen, aber das geht schnell vonstatten, und statt der Schaffner gibt es durch die Gänge sausende Überprüfungsroboter, die jeden Fahrgast über seine aktuelle Gesundheitsscheckkarte, die ausnahmslos jeder  österreichische Staatsbürger ab 5 Jahren haben muss, überprüfen.  Wenn jemand keine Karte besitzt, wird er gnadenlos von 2 Robotern mit stählernen Armen gepackt und aus dem Zug geworfen. Die Fahrkarte wird bei dieser Gelegenheit ebenfalls abgefragt und wenn der Robbi grün blinkt und „danke“ und „gute Fahrt“ schnarrt, ist alles ok. Zwischen den im gehörigen Abstand montierten Sitzen die üblichen Trennwände aus Plexiglas, damit zwischenmenschliche Kontakte vermieden werden. Nach drei Stunden Fahrt kommen wir in Venedig am Bahnhof Santa Lucia an. (ich summe dabei das Lied „Santa Lucia“ aus den sechziger Jahren mit dem inzwischen schon recht alten Sänger Heintje Simons) Nur wenige Menschen steigen aus dem Zug und ich schlendere durch Venedig, entlang der Kanäle über den Ponte de le Becarie und über viele alte Brücken, vorbei an der Chiesa San Salvador, es gibt kein Gedränge wie üblich, kein Menschengeschiebe auf den 3 Rialtobrücken, die meisten Cafes ,Trattorien und Restaurants haben geschlossen, sie haben die durch den Virus ausgelöste Wirtschaftskrise nicht überlebt. Vereinzelt gleiten schwarze Gondeln durch die verlassenen Canali, (mir fällt dabei der gruselige Film „Wenn die Gondeln Trauer tragen“ von Nicholas Roeg ein!) Ansonsten gibt es keinen nennenswerten Schiffsverkehr, auch die Silhouette des Hafens wird durch riesige Kreuzfahrtschiffe vor dem Hafen nicht mehr vergewaltigt. Am Piazza San Marco angekommen, erstaunt mich der Anblick des fast leeren, riesigen Platzes mit den Arkadengängen, nur die Tauben sind noch da, obwohl sie von keinen Touristen mehr gefüttert werden. Plötzlich höre ich ein Surren hinter mir, ein seltsames Gefährt schiebt sich an mich heran. Eine Mischung aus bunt bemalter Imbissbude und Star Wars – Roboter fängt an zu blinken und laute, kitschige italienische Musik zu spielen, dann spricht es mich mit weiblich klingender Kunststimme in 6 Sprachen an: „Welcome, Hello, Nie hou, Hola, Grüß Gott , Bon jour, Buon giorno“. Als ich auf Deutsch antworte, spricht das Ding plötzlich meine Sprache, es hat in Sekunden gelernt:  „Willkommen in Venedig, der Stadt der Künste und der historischen Bauten und der wunderbaren Kanäle mit ihren wunderbaren Brücken“! Kurz darauf öffnet sich ein großer Bildschirm im Gerät ,und das Blechspielzeug fragt mich: „Wollen sie essen und trinken oder nur Kaffee trinken, dann tippen sie auf meinen Bildschirm, es erscheinen verschiedene Menüs, unter anderem eine Speise- und Getränkekarte, sie brauchen nur zu scrollen und auszuwählen und ok. zu drücken, dann bereite ich ihnen das gewünschte in wenigen Minuten zu. Sie können bei mir sieben verschiedene Sorten handgemachte Pizza auswählen!

Es wird alles frisch zubereitet und auch an gekühlten Dosengetränken mangelt es in meinem Inneren nicht, sie haben die freie Wahl!

Ich erwidere leicht verärgert:  „Ich brauche nichts, und schon gar nicht von so einem lächerlichen Ding, mir ist der Appetit vergangen! Ich will mir nur die Basilika San Marco und den Dogenpalast ansehen“. „Sind alle geschlossen“, antwortet die Blechkiste unbeeindruckt, „wegen Einsturzgefahr, das letzte Aqua Alta hat so viel beschädigt, tut mir leid. Aber ich kann ihnen eine Interaktive Reise durch Venedig anbieten mit 3D Brillen, das kostet 90 Euro, sie brauchen nur zu dem Menüpunkt interaktiv Sightseeing zu gehen und zu bestätigen und mit Kreditkarte zu bezahlen, dann öffnet sich eine kleine Box mit einer 3D Brille und schon können sie loslegen und die sehenswerte alte Stadt Venedig durchwandern wie zu alten Zeiten“! Ich antworte, jetzt schon zornig: „Das kann ich zu Hause auch machen, dafür brauche ich nicht hierher zu  fahren und mir von einer geldgierigen Maschine das Geld aus der Tasche ziehen zu lassen“! Die Kiste flötet unbeeindruckt: „Ja, aber, sie haben doch Venedig gesehen und den Anblick der wunderbaren historischen Stadt am Meer genossen, das können sie ihren Bekannten erzählen, die sich so eine Reise vielleicht gar nicht leisten können“! Als Antwort versetze Ich dem Ding einen Fußtritt, das es nur so scheppert, worauf es aufhört, mich anzuquatschen, und davonrollt, um den nächsten Touristen zu belästigen. Ich verlasse angewidert den Piazza San Marco, steuere ein kleine Seitengasse, weit weg vom berühmten Platz, an und entdecke zu meiner großen Freude ein etwas heruntergekommenes kleines Cafe´ in einer engen Seitengasse, mit einer alten Theke aus glänzendem dunklen Holz , mit duftenden Mehlspeisen in der Vitrine und mit ein paar übriggebliebenen Einheimischen am Tresen, die Wein und Kaffee trinken und sich auf Italienisch unterhalten. Die alte Wirtin bedient mich, mürrisch wie immer, und ich bin heilfroh, wieder im alten Venedig und unter Menschen zu sein.