© by Wilhelm Maria Lipp

Das tapfere Schneiderlein

 Es war einmal ein kleiner Mann,
der liebte schöne Kleider,
er hatte sehr viel Freud‘ daran,
so lernte er beim Schneider.

 Zwar wurd‘ er manchmal ausgelacht,
weil and’re stärker waren,
doch hat ihm dies nichts ausgemacht.
Ihr werdet es erfahren.

 Heut näht er fleißig, stundenlang,
die Beine unterschlagen.
Aus einem Käfig kommt Gesang,
vom Sittich vorgetragen.

 So sitzt der Schneider auf dem Tisch
zufrieden mit dem Werke.
Er freut sich auf die Jause frisch.
Das Haar steht ihm zu Berge.

 Am Teller liegt ein Stück vom Brot
mit guter Marmelade
von Früchten reif in tiefem Rot.
Der Schneider läuft zum Bade.

 Dort wäscht er sich die Hände gleich,
kehrt um, sieht viele Fliegen
umschwirren das Marmeladenreich.
Die möcht er alle kriegen.

 So holt er sich ein Stück vom Stoff
die Fliegen abzuklatschen.
Er steigert seinen Fliegenzoff
und lässt das Stoffstück platschen.

 Dann schaut er das Ergebnis an:
Gleich sieben sind getötet.
Was ist er für ein tapfrer Mann.
Voll Stolz er tief errötet.

Er nimmt sich eine Schärpe her,
stickt starke Worte drauf sogleich
– er ist nun nicht mehr irgendwer -:
Sieben tot – mit einem Streich!

 Mit diesem Spruch auf seiner Brust
wird er nun stets gesehen.
Ihn zu bedroh‘n hat niemand Lust,
es wär um ihn geschehen.

 Bald lässt der tapf‘re Schneidersmann
die Werkstatt fest verschlossen.
Die Welt soll sehen, was er kann,
so hat er es beschlossen.

 Er holt sich rasch noch Brot und Wein,
auch Käse nimmt er weise,
selbst seinen Sittich steckt er ein
und macht sich auf die Reise.

 Zur Hauptstadt treibt es ihn mit Macht,
er hört des Königs Klagen,
dass wilde Sauen Nacht für Nacht
die Menschen ringsum plagen.

 Am Weg zum Schloss muss unser Mann
durch Felder, Wälder, Wiesen
und trifft auf seinem Weg sodann
auch einen starken Riesen.

 Doch kaum, sieht der den Schneidersmann,
beginnt sein brüllend Lachen:
„Wir wollen“, ruft er heftig dann,
„einen Vergleichskampf machen!“

 Dann nimmt er einen harten Stein
und quetscht ihn, dass er splittert.
Er glaubt, dass unser Schneiderlein
vor lauter Angst erzittert.

 Doch dieser hat schon vorgebaut
und greift in seine Hose,
holt raus den Käs, der dort verstaut,
als großer Brocken, lose.

 Den hält er nun in seiner Hand,
beginnt ihn gleich zu pressen,
der Saft rinnt über sein Gewand.
Er kann den Riesen stressen,

der nicht gut sieht, man kennt es gleich,
so sehr ist er verwirrt,
nicht merkt, dass Schneiders Käse weich
als Stein ihm vorgeführt.

Der Riese nimmt den nächsten Stein,
wirft ihn in hohem Bogen.
Der Schneider wirft sein Vögelein,
und das ist weg geflogen.

 Und wieder war der Schneider vorn,
da kann der Riese zagen.
Er steigert seinen Riesenzorn,
möcht‘ einen Baum heimtragen.

 So geht er hin zum kleinen Fluss,
umarmt dort eine Weide
und reißt sie aus vom Kopf zum Fuß:
„Den tragen wir jetzt beide!“,

sagt er zum Schneider, schultert gleich
den Baum am Wurzelende.
Der Schneider greift zur Krone weich
und hüpft hinein behände.

 Er lässt sich tragen Stund um Stund,
singt flotte Wanderlieder,
dem Riesen wird es bald zu bunt,
auch schmerzen seine Glieder.

 Am Abend sind sie dann zu Haus,
der Riese müd, der Schneider frisch,
so rasten sie sich beide aus
bei Wein und Brot am Küchentisch.

 Als er dann schlafen soll im Bett,
das für ihn wirklich viel zu groß,
weil auch ein Riese Platz drin hätt‘,
legt er sich unten quer halt bloß.

 Das war sein Glück, weil in der Nacht
der Riese ihn erschlagen wollt.
Da ist er unten aufgewacht
und aus dem Bett hinab gerollt.

 Am nächsten Morgen kommt er dann
zum Frühstückstisch mit hohem Haupt
und schreckt dadurch den riesen Mann,
der nun an Schneiders Stärke glaubt.

 Bald ist das tapf’re Schneiderlein
am schnellsten Weg zum Königsschloss.
Er möcht die Königstochter frei‘n.
Sein Mut ist wirklich riesengroß!

 Der Riese stapft als Diener nun
dem Schneider schweigend hinterher.
Er muss ihm einen Dienst noch tun,
das freut den Riesen nicht so sehr.

 Doch bei dem Wettkampf er verlor,
er kann es wirklich kaum versteh‘n,
und weil er damals es beschwor,
muss er nun mit dem Schneider geh’n.

 Bald sehen sie die wilde Sau,
die schlägt grad alles kurz und klein.
Da wünscht der Schneider von ihm: „Bau
ein Haus hier, aber nur aus Stein.

 Die Tür muss sein aus Eisen fest,
die Fenster brauchen Stangen,
sobald es steht, mach einen Test.
Die Sau wird eingefangen.

Nun läuft der Schneider rasch zum Schloss,
er möchte es nochmals hören,
der Lohn für Mut sei wirklich groß,
der König soll es schwören.

 „Befreist das Reich du von der Sau“,
sieht man den Herrscher sagen,
„wird meine Tochter deine Frau.
Doch wird man dich beklagen.

 Denn viele starke Ritter schon,
die wollten dies versuchen,
nur Knochenbrüche war’n ihr Lohn.
Wir hörten alle fluchen!“

 „Ich werd‘ es schaffen, kannst auf mich,
Prinzessin, bald schon warten,
als Ehemann auf ewiglich
hab ich sehr gute Karten.

 Siebene auf einen Streich,
was soll ich mehr noch sagen?
Gerne werde ich für euch
die wilde Sau verjagen!“

 Schon läuft er los, zurück den Pfad,
auf dem er hergekommen.
Der Riese hatte in der Tat
gebaut, was er vernommen.

 Bald hört der Schneider auch die Sau
und neckt sie, dass sie rot sieht,
läuft vor ihr in den neuen Bau
sie folgt dem, der vor ihr flieht.

 Der Schneider hüpft durch Fensterstangen,
kehrt um und schließt das Tor.
Die Sau ist sicher eingefangen.
Der Riese kommt hervor.

 Die Pflicht erfüllt, er darf nun geh‘n
zurück zu seinesgleichen.
Er will den Schneider nie mehr seh’n
Er kennt nun seine Zeichen.

Der Schneider läuft sehr stolz einher
zum Schloss hin bis zum König.
Doch statt dem Dank und statt der Ehr
heißt es nur: „Wart ein wenig!

 Es gibt noch eine zweite Plag,
die solltest du noch lösen.
Zwei Riesen sind`s, die Tag für Tag
die Bürger quäl’n mit Stößen.

 „Siebene auf einen Streich,
was soll ich mehr noch sagen?
Gerne schaff ich es für euch,
dass Riesen sich vertragen!“

 Dann schaut er die Prinzessin an,
mit ganz verliebten Blicken.
Die mustert nun den kleinen Mann.
Und der will sie beglücken?

 So mancher Recke stand hier schon,
mit ähnlichem Bestreben.
Da wär sie gern der Arbeitslohn
und hätt sich hingegeben.

 Das sagt sie auch dem König gleich,
der sie als Lohn versprochen.
„Du opferst dich für unser Reich,
mein Wort wird nicht gebrochen!“,

sobald die Riesen er besiegt,
bekommt er dich zum Weibe!“
Sie betet, dass er sie nicht kriegt
und ihr so bleibt vom Leibe.

 Der Schneider bittet noch um Wein,
zwei kleine Fässer reichen.
Dort mischt er Einbeersaft hinein,
bis dass sie Rotwein gleichen.

 Dann hat der Tapfere schon bald
die Spur der zwei gefunden,
und folgt den beiden in den Wald.
Er läuft so ein paar Stunden.

 Bald setzt er sich auf einen Stein,
die Fässer steh‘n daneben.
Holt aus dem Wams den eig’nen Wein
und lässt sich selbst hochleben.

Das hör‘n die Riesen, drehen um:
„Wer ist der Mann, der freche?
Der trinkt alleine, ist der dumm?
Der zahlt für uns die Zeche!“

 Sie nehmen ihm die Fässer ab,
beginnen gleich zu trinken.
Es dauert eine Stunde knapp,
bis in den Schlaf sie sinken.

 Der Schneider kettet sie nun an,
am Kopf ein Tuch als Blende.
Voll Stolz bringt nun der kleine Mann
sie in die Stadt behände.

 Im Kerker werden eingesperrt
die beiden großen Riesen.
Im Reich ist Ruhe eingekehrt,
die alle nun genießen.

 Nur der Prinzessin geht’s nicht gut,
sie fühlt sich so verloren.
Doch „Nein!“ zu sagen fehlt der Mut.
Ein Ausweg wird geboren.

 So wünscht sie sich vom Schneiderlein
ein Horn als Morgengabe.
Vom Einhorn muss es jedoch sein,
was nicht ein jeder habe.

 Der König dankt dem Schneider sehr
fürs Ende aller Nöten
doch seine Tochter will noch mehr,
er muss ein Einhorn töten.

 „Siebene auf einen Streich,
was soll ich mehr noch sagen?
Gerne packe ich für euch
das Einhorn rasch am Kragen!“

 Noch einmal sucht der kleine Mann
sein Glück in allen Reichen
und findet‘s wirklich irgendwann.
Zum Einhorn muss er schleichen.

 Das Tier schrickt auf. Er läuft davon,
bleibt steh’n vor einer Weide
das Einhorn fühlt er beinah schon,
da dreht er sich zur Seite.

 Mit aller Wucht und aller Kraft
durchbohrt das Horn den Baum.
Ein Mann hätt niemals das geschafft
und auch ein Riese kaum.

 Mit einer Säge wird gekappt
ein Spitzenstück ganz vorn.
Der Schneider strahlt, es hat geklappt.
Er hat ein Einhorn-Horn.

 Bevor er heimkehrt, lässt er‘s frei.
Entschuldigt sich beim Tier,
„Für die Prinzessin ist’s, verzeih,
es war nicht leicht, glaub mir!“

 Dann macht er sich rasch auf den Weg,
er freut sich auf die Braut,
und jedermann am kleinsten Steg
hört, wie er singt ganz laut:

 „Ja siebene auf einen Streich,
was muss ich mehr noch sagen?
Auch Sau und Riesen wurden weich,
das Land ist frei von Klagen.

 Bei der Prinzessin, bin ich bald,
zu ihr ich meine Schritte lenk
ich bringe ihr vom Wunderwald
das Einhorn-Horn als Brautgeschenk!“

 Bald kommt er heim ins Königshaus,
verteilt dort seine Gaben,
und sieht dabei so glücklich aus,
er kann die Braut nun haben.

 Die Hochzeit wird als tolles Fest
im Schloss die größte Feier.
Der König alle kommen lässt
es ist ihm nichts zu teuer.

 Ein Jahr danach geht’s wieder rund,
ein Söhnchen ward geboren,
sein Schrein hallt laut, er ist gesund,
es klingt in allen Ohren.

 Die Königstochter strahlt vor Glück,
sie ist heut sehr zufrieden,
nur selten denkt sie noch zurück
wie sie den Mann gemieden.

 Doch kaum, dass er das Horn ihr gab,
kam Freude in ihr Leben,
die Tage laufen fröhlich ab,
seit sie sich hingegeben.

 Nur manchmal denkt der tapf’re Mann
an seine Zeit als Schneider.
Er setzt sich auf den Tisch sodann
näht wieder schöne Kleider.

 Das lehrt er später seinem Sohn:
„Es wird in jedem Leben
wie früher einen König schon,
doch viele Schneider geben.

 Sei vorbereitet, pass gut auf.
Willst du nicht mehr regieren,
nähst Kleider du dann zum Verkauf.
So kann dir nichts passieren.

 Der Mensch ist wichtig, nicht der Stand,
und Glück und frohes Lachen
auch List und eine starke Hand
dann kannst du alles machen.