© by Michaela Lipp

Drosselbart

 

Die Familie Schöpfer in Wien hat einige Töchter. Die Jüngste, Margarethe, soll heiraten und das Erbe weiter zuführen. Ihre Schwestern Leopoldine und Simmering waren ja schon verheiratet. Schöpfer ist ein bekannter Gasthausbetrieb mit Original Wiener Küche. Klar hat sie das Hotel- und Gastgewerbewesen in einer Schule gelernt, auch einiges von ihrem Papa gelernt, aber arbeiten? Nein, das wollte die nicht, auch nicht Kochen lernen. Warum auch, machen es doch alle anderen viel besser als sie selbst.

Die Eltern schalteten auf Hotel-Elite-Partner eine Anzeige frei. Alle möglichen Köche kamen, um sich zu bewerben. Und die wirklich hübsche Marga dufte alles probieren, was die ledigen Hauben-Köche probekochten. Aber Marga war nicht begeistert. Die Suppen waren ihr zu mild oder zu scharf, der Kren war trocken, das Rindfleisch zäh, die Erdäpfel zerkocht. An jedem ließ sie kein gutes Haar. Ihre Eltern waren ärgerlich. Leopoldine hat einen Koch aus dem Hilton bekommen, und sie wohnen jetzt in der Schweiz. Die zweite, Simmi genannt, hat einen Drei-Sternekoch aus Deutschland geheiratet, und sie wohnen in Hamburg. Und jetzt soll Margarethe heiraten, die Familie möchte das Wiener Unternehmen in guten Händen wissen. Ach es war zum Verzweifeln. Alle Köche bekamen nur Absagen. Den letzten beschimpfte sie sogar, weil er ohne Fleisch kochte.

„Pha- du Gemüsekoch- ich sterbe doch bei dir am Vitaminschock.“ 

Ja, schon hatte er seinen Namen weg. „Harry Gemüsekoch“, alle Köche lachten ihn aus. Harry aber schaute Marga sehnsüchtig an. Dann ging er traurig hinaus. Er hörte noch Margaretes Vater sagen: „Den Nächsten, der probekocht, wirst du heiraten, das ist mir jetzt egal. Du gehst mit ihm, lernst das Kochen! Ich brauche einen anständigen Nachfolger.“

Alle Köche rundum gehen nach Hause. Keiner will sich hier nochmal beleidigen lassen. So hatte Marga alle vergrault.

Da geht die Türe auf, ein grindiger Drangler mit gelben Raucherfingern und Wein-Fahne kommt herein. Eine Baseballcap in die Stirn gezogen, nuschelt er: „Der i a kochn? I hob k´hert, dass ma da wos füa bkommt.“

Die Familie Schöpfer nickt.

Margarete zieht die Augenbraue hoch, und ihr Vater sagt zu ihr: „Geh aufa, a Kochhosn, n Kochkittl o ziagn Kannst mitkochn un a mit eam gehen.“

Marga ist wütend, aber sie kennt ihren Papa gut. Er ist ein sturer alter Grantler, aber sie macht, was sie tun soll, will sie nicht ganz enterbt werden. Der Drangla soll ein Rindfleisch mit Kren und Erdäpfel machen. Er bratet das Rindfleisch an, gießt mit kaltem Leitungswasser auf und lässt es ein paar Minuten ziehen.

Die Erdäpfel bleiben auch halb roh, und den Kren kocht er mit Schlag auf. Kurzum das Essen ist nicht genießbar. Marga fügt sich, ihr Vater lächelt. Sie muss mit dem nach Most und Friteusenfett riechenden Kerl mitgehen.

 

In der 3er Linie sitzen sie, wieder fährt diese überirdisch. Sie kommen an einem Lokal vorbei, an dem die Menschen Schlange stehen: „Wem gehört denn dieses Lokal? Ich kenne das gar nicht“ Ihr Drangler nuschelt: „Na dem Herman Fleischlos, Vegetarisch ist jetzt ganz groß im Kommen.“

Marga wird ganz still und nachdenklich, sie müssen auch dann aussteigen. Sie kommen an einer Bank vorbei „Wart, ich brauche Geld um in einem Hotel übernachten zu können.“ Der Bank-O-Mat zieht die Karte sofort ein „Gestohlen, Gestohlen!“ Blinklichter gehen an. Marga zuckt zurück. Hinter ihr tauchen Ö24 – Zeitungs Paparazzi auf. Nein das ist ja sowas von peinlich. Marga wird vom Beisel Wirtn weggezogen. Er setzt ihr sein Baseball-Cap auf und eine alte Sonnenbrille. Ein Zwiemandl holt er noch vor und winkt damit in die Runde der Kronen-Zeitungsleser. „Na, schaut mei Olte nit wie die Paris Hilton aus?“ Die Paparazzi verziehen sich, der Wirt steigt mit seiner Schöpfer-Tochter in den nächsten Bus, und es geht weit hinaus. Unterwegs steigen sie nochmal in eine Straßenbahn und dann zu guter Letzt in einen Bus. Sie kommen in eine Gegend, in der Marga noch nie war. Die Straßen sind grau und trist, und es ist nicht so schön, wie in der Innenstadt. Keine Blinklichter, keine Beleuchtung, keine Läden und auch keine Cafes, nein, es gefällt Marga so ganz und gar nicht. Und es geht immerzu bergauf. Ihr Begleiter, Harry, so hat er sich vorgestellt, deutet nach oben: „Do geht’s hin- do is mei Beisl“

Eine Fahrscheinkontrolle kommt. Natürlich hat Margarete keinen Fahrschein. Zähneknirschend steigen sie aus. Der Wirt zahlt mit seinem letzten Geld:

„Ah, du bist zu nichts nutze, jetzt kann ich mir keine Tschick mehr kaufn!“

Sie müssen zu Fuß weitergehen. Oh je, der Berg zieht sich hin. Der Kahlenberg ist es, aber auf der Schattenseite. Auf Umwegen kommen sie an einem Häuserl an. Windschief und nicht ganz dicht. Von Rauch vergilbt, überall volle Aschenbecher, leere Mostflaschen. Er wischt ein paar Spinnenheidl weg und drückt Margarete einen Besen in die Hand. „Mach a weng sauba, sonst kreun dir die Spinnerinnen in den Mund.“

Ah- Marga ekelt sich, sie schreit, wenn sie eine sieht, der Drangler aber nimmt die Spinnen mit einem Glas und einer Spielkarte gefangen und trägt jede einzelne hinaus. Marga ist traurig und müde, sie legt sich auf eine Bank, zieht sich ein altes Polster unter den Kopf und bemerkt, dass es nach Katzen riecht. Dann aber schläft sie vor Erschöpfung ein.

Als sie gegen Morgen aufwacht, ist der Drangler weg. Auf ihr liegt ein alter Mantel, der auch schon mal bessere Zeiten gesehen hat. Am Tisch liegt ein Zettel: „Mach Feuer und Kaffee, ich bin unterwegs. Harry!“

Marga schaut sich um, da ist ein Holzofen, wie macht man da Feuer? Wie einen anständigen großen Braunen? Sie versucht, mit einem Streichholz, das sie gefunden hat, ein Holzscheit anzuzünden. Aber das geht nicht, und ihre Finger sind ganz schwarz von dem Ruß vom Ofen und verbrannt obendrein. Marga flucht. Entnervt schmeißt sie sich wieder auf die Bank. Da kommt Harry wieder.

„Wie? Kein Kaffee? Ich war Schwammerl suchen, weil ich kein Geld mehr hab. Die Strafe gestern hat mir all mein Bares weggenommen.“

Er zündet sich eine Zigarette an und geht dann zum Ofen: „Ich zeig dir, wie man Feuer macht.“

Der Ofen ist bald an, und es gibt Pilze auf Broten zum Frühstück. Marga will erst nichts essen, aber dann merkt sie doch, wie hungrig sie ist. Und sie ist erstaunt, wie gut die paar frischen Pilze schmecken. 

„Später gehst du Schwammerl suchen, fürs Mittag- und Abendessen!“

Er lehnt sich auf die Bank zurück und trinkt aus der Weinflasche. Noch eine Zigarette, dann beginnt er zu schnarchen. Marga war noch nie Schwammerlsuchen, sie kennt nur die aus der Küche ihres Vaters als Beilage, aber frische Pilze?

Im Hauserl findet sie ein Buch darüber und legt es hin, dann geht sie los! Erst findet sie gar nichts, es ist wie verzwickt, aber irgendwann hat sie den ersten gesehen und dann werden es immer mehr. Marga packt alles ein, was sie findet, auch einen wilden Schnittlauch nimmt sie mit, den erkennt sie.

Zurück am Hauserl ist der Ofen aus, sie versucht es jetzt alleine, weil Harry nicht zu sehen ist. Ja, es klappt, und dann kann sie anfangen, die Pilze zu sortieren und putzen. Es ist eine elendige Arbeit. Auch in dem Buch findet sie nichts, was sie weiterbringt. Irgendwann kommt Harry zurück, mit einem mordsdrum Rausch. Schaut die Pilze an und sagt: „Alle giftig, wülst uns umbringa?!“

Dann geht er raus und hat in nur ein paar Minuten drei große Pilze in der Hand. „Des sin Parasol, die haste nit gsehn, oda?“

Und aus einer düsteren Ecke in der Küche holt er noch drei Erdäpfel. Die werden gekocht und in der Zwischenzeit dünstet Harry die Pilze. Dann schneidet er sie klein und macht daraus mit ein paar Semmelbrösel Pilzlaberl. Im Kühlschrank steht eine Packung Topfen, daraus macht er mit dem Schnittlauch und einer Prise Salz einen leckeren Dipp.

Wieder ist Marga vom Essen begeistert. Und trotzdem will sie es nicht zugeben.

Am nächsten Tag gibt er ihr am Morgen einen Korb in die Hand, darin sind Steinpilze: „Verkauf die, ich brauche Tschick und Wein.“

Sie schaut ihn an: „Ich will Seife und WC Papier, draußen am Plumpsklo ist nur eine alte Zeitung zum Abwischen.“

Da lacht Harry und gelbe Zähne blitzen: „Klar, und was will die Prinzessin noch?“

Marga geht wortlos mit dem Korb los, stellt sich an den Straßenrand. Prompt kommt ein Kastenwagen her. Sie bekommt recht viel Geld von dem Fahrer, und der sagt: „Morgen wieder? Mein Chef wird vielleicht heute nochmal Pilze wollen.“

„Wer ist denn dein Chef?“ Der Fahrer deutet auf eine kleine Aufschrift am Wagen: „Na Hermann Fleischlos, kennst du Den nicht?“

„Bring mir bitte Seife mit und WC Papier und Zigaretten, ach ja und eine 2 Liter Flasche Weißen“

Fröhlich läuft Margarete zum Beisel zurück und erzählt Harry alles. Natürlich sind keine Gäste in der öden Gegend zu sehen. Und Harry ist ungewaschen und unrasiert. Aber er steht gleich auf und sagt: „Ja dann gehen wir nochmal sammeln, für einen Weißen ohne Wasser mach ich viel.“

Wieder geht Marga im Wald umher und dieses Mal finden sie mit Harrys Hilfe fünf Kilo Büssen, so nennt Harry die Steinpilze.

Die junge Frau freut sich, obwohl sie schwarze Fingernägel bekommen hat und auch ein paar abgebrochen sind. Der Fahrer von Hermann Fleischlos kommt tatsächlich und hat alles dabei, was sie wollte. Dann lädt er sie ein, mit in die Stadt zu fahren. Marga schaut an sich herunter: Dreckig, ungewaschen, ungepflegt, sie will sich so nirgendwo sehen lassen. Aber Harry zieht sie mit: „Ey Mädel, wir waschen uns mal anständig.“

Im nächsten Fleischlos-Hotel werden sie abgeladen, und sie darf sich duschen und frisch anziehen. Ein paar Jeans liegen parat und ein Leiberl. Ratlos schaut sich Marga um, was jetzt? Harry ist nirgendwo zu sehen, er wurde nicht in die Damendusche gelassen.

Als sie aus der kleinen Dienstbotenkammer kommt, wird sie an einen Tisch geführt. Dort sitzt ihre Familie, Harry ist immer noch nicht zu sehen. Die Freude ist groß, sie umarmt ihre Eltern, ihre Schwestern und deren Ehemänner. Dass die alle zusammen an einem Tisch sitzen, ist schon ein besonderer Tag. Das Essen wird serviert, beginnend mit einer gebundenen Gemüsesuppe. Marga ist hungrig, aber sie sagt: „Ohne Harry beginne ich nicht zu essen. Er hat zu mir gestanden die letzten Tage, mit seinem letztem Geld eine Strafe für mich bezahlt, hat sich etwas einfallen lassen, dass wir nicht hungern mussten und auch, dass ich Seife bekomme.

Sie merkt, dass sie alle ansehen, ihre ganze Familie und dann aber auch, dass sie irgendwen hinter ihr mit den Blicken fixierten. Sie schaut sich um und hinter ihr steht Harry. Aber jetzt erkennt sie ihn, er ist nicht nur Harry, er ist auch Hermann Fleischlos. Der, den sie so verunglimpft hat, verspottet hat.

Er aber lächelt sie liebevoll an: „Marga, erkennst du mich wieder?“ Sie nickt und jetzt merkt sie auch, dass er keine gelben Zähne mehr hat, keine Raucherfinger, und auch kein bisschen Geruch von Alkohol mehr an ihm haftet.

Er nimmt ihre Hand und zieht sie zu sich hoch. Dann kniet er nieder und hält ihr einen Ring hin: „Magst du es mit mir als Hermann auch versuchen?“ Sie lacht befreit auf und nickt:

„Ja, ich will. JA!“, und alle Familienmitglieder und auch das Personal stehen um die beiden herum und jubeln und klatschen.

Ja, so wird bei den Schöpfers demnächst auch vegetarisches Essen auf dem Speiseplan stehen.