© 2018 by Sabine Iber

Junge Menschen, die ihr ganzes Leben, hoffentlich wild und aufregend, noch vor sich haben, in der Blüte ihres Lebens kraftvoll, dynamisch und neugierig!?…

Irgendwie anders. Sie starren alle mit mehr oder weniger glücklichem Gesichtsausdruck auf ihre Handys, switchen meist beidhändig mit einer Geschwindigkeit auf diesen Dingern herum und…sehen sich gar nicht.

Dieses Desinteresse an anderen Menschen, gleichaltrig, diese verpassten Chancen…

Das waren noch Zeiten, damals in den Zügen.

Die Aufteilung der Waggons war wesentlich kuscheliger. Sechser Sitze in einem Abteil, abgetrennt von dem Gang mit einer Schiebetür. Bei längeren Zugfahrten war es jedes Mal Spannung pur, in welchem Abteil man landete.

Hatte man Glück, erwischte man ein lustiges, Freunde fürs Leben, jedenfalls dachte man das immer, so lange die Fahrt dauerte, oder aber man vergrub sich sofort in das Buch, das immer dabei war, griffbereit zum Abtauchen in eine eigene Welt.

Unvergesslich besonders diese eine Fahrt nach Paris.

Es war eine Flucht von daheim.

Nur weg, ohne Plan und Ziel. Ausnahmesituation, wie so oft in diesen Jahren. Und Paris bot immer eine Möglichkeit, wenn daheim mal alles über dem Kopf in Trümmern lag.

Mürrisch, ohne große Erwartungen stieg ich in den Zug.

In dem Abteil saßen mir gegenüber zwei junge Franzosen, eine Mutter mit Kind und ein Mann in spießigem Anzug.

Ich starrte gelangweilt vor mich hin und abwechselnd aus dem Fenster. Beim nächsten Halt stiegen Mutter mit Kind und der Mann aus.

Nun waren wir zu dritt und ich schaute mir die zwei etwas näher, natürlich fast unauffällig, an.

Da ich zu den Menschen gehöre, die, sobald sie einen Zug betreten, das Gefühl haben, etwas essen zu müssen, nicht aus Hunger wohlgemerkt, sondern einfach der Gemütlichkeit wegen, packte ich meine Vorräte aus und bot den beiden etwas an. Sofort kamen wir in nette Plaudereien in einem Gemisch aus deutsch und französisch, bei dem die jeweiligen Sprachlehrer wahrscheinlich die Hände über dem Kopf zusammen geschlagen hätten. Aber wir hatten jede Menge Spaß, und die Leichtigkeit des Lebens stellte sich bei mir mit jedem Kilometer wieder ein bisschen mehr ein.

So eine Zugfahrt dauert ja ihre Zeit, und es lag wohl auch an meiner damaligen Lebenssituation, weshalb sich alles so entwickelte.

Er hatte wunderschöne, braune Augen, die Haare viel zu kurz, aber er war Soldat und hatte bald wieder seinen Einsatz im Libanon.

Sehr fremd für mich, in der damaligen Zeit einen jungen Mann kennen zu lernen, der in ein paar Tagen wieder in ein Kriegsgebiet gehen musste. Es lag so eine Traurigkeit in seinen Augen.

Ich erinnere mich noch sehr gut an meine Gedanken und an das Gefühl während der Zugfahrt, damals vor über dreißig Jahren.

Man war so jung und offen für alles Neue, Unbekannte und dieser junge Franzose hatte nur noch ein paar Tage in seiner Heimat, bevor er wieder zu seiner Einheit nach Beirut musste.

Dieses Gefühl, und natürlich auch seine Augen, waren der Grund, warum alles ins Rollen kam. Denn wie sonst kann man es sich aus heutiger Sicht erklären, dass man ein paar Stunden später im ersten längeren Tunnel, der Freund war mittlerweile im Speisewagen, sich plötzlich zart knutschend -und er küsste wirklich herrlich- in den unheimlich starken Armen dieses jungen Soldaten befand.

Nun gut, befand ist wohl nicht der richtige Ausdruck.

Könnte so etwas mit einem Handy vor der Nase möglich sein??

Mit wildfremden Menschen im Zug?

Natürlich endete die Geschichte nicht mit einem Happy End, allerdings bleiben Erinnerungen an ein unvergessenes Wochenende mit vielen irreal klingenden, aber tatsächlich erlebten Momenten.

Was entgeht diesen jungen Menschen heute! Traurig eigentlich. So viele verpasste Gelegenheiten Erinnerungen für das Leben zu sammeln

Da ist man jetzt so viel älter geworden, allerdings nur körperlich, geistig…oh mon dieu!

Morgens, wenn ich im Zug stehe, älter, aber nicht alt, um mich herum diese Menschen, vor sich hin oder ins Handy starrende , junge und ältere, all diese Menschlein überhaupt, muss ich manchmal an die Zugfahrten von früher denken, als die Menschen noch miteinander sprachen und an die Zugfahrt nach Paris, und dann muss ich schmunzeln.

Schön war’s!