© by Reinhard Schwarz

Rodelausflug mit Hindernis

An den Nachmittagen der Wintersonntage packte mein Vater uns Kinder gern in Anorak, Pudelhaube und Fäustlinge, um gemeinsam rodeln zu gehen. Dafür gab es in der Nähe nur eine Möglichkeit, eine steile Gasse direkt neben der Ulrichskirche in 7. Bezirk. Dort war es aber meist derart bevölkert, dass eine unfallfreie Fahrt nur mit viel Akrobatik möglich war. Deshalb zog mein Vater den Stadtrand vor. Manchmal fuhren wir mit der Stadtbahn nach Hütteldorf und stiegen über steile Straßen und Stiegen hinauf zur Himmelhofwiese. Diesen Anmarsch mochte ich überhaupt nicht, weil er sehr lange und ermüdend war. Mein Vater trug seine Schi mit, und ich hatte die Rodel zu schleppen – für einmal Hinunterfahren! Aber es gab trotzdem eine Motivation: Am Himmelhof oben stand in den 1950ern eine große hölzerne Schisprungschanze, und den Springern bei ihrem wagemutigem und sicher sehr gefährlichem Tun zuzusehen war die Mühe wert. Meinem Vater war es wahrscheinlich recht, wenn ich stundenlang stand und schaute, denn da konnte er in Ruhe die Wiese hinunterfahren und wieder heraufsteigen; eine Beschäftigung, deren Sinn sich mir damals nicht wirklich eröffnete. Und auch heute noch muss ich noch etwas nachdenken, wozu das wirklich gut sein soll.

Weit lieber war mir der Schlosspark in Pötzleinsdorf. Der war von der Endstation der Straßenbahnlinie 41 eben erreichbar, die Wiese dort nur mäßig steil, aber sehr breit, sodass viele Rodler nebeneinander Platz hatten, ohne sich ständig in die Quere zu kommen. Außerdem verlief querdurch eine Geländestufe, nicht hoch genug, um beim Darüberfahren abzuheben und womöglich einen fatalen Sturz zu verursachen, aber doch genug, um ein angenehmes Magenkitzeln zu verursachen.

Eines Sonntags waren wir wieder dorthin unterwegs. Die Straßenbahn war gut gefüllt, der übliche Dreiwagenzug, ich stand wie immer vorne beim Fahrer. Die Fahrt durch die Währingerstraße zog sich dahin, das lange S beim Wechseln in die parallele Gentzgasse wurde mit dem üblichen  durchdringenden Räderquietschen absolviert. Plötzlich wurde der Fahrer nervös, drehte hektisch an seinen Kurbeln und schrie nach dem Schaffner. Bis sich der durch die Menge gekämpft hatte, stand der Wagen bereits. Nach dem Grund brauchte niemand mehr zu fragen, denn es roch bereits stark nach verbranntem Gummi. Der Schaffner sprang hinaus, dann rumpelte es auf dem Dach; ich wusste gleich, dass er Bügel abgezogen hatte. Der Fahrer rief daweil, dass alle schnell aussteigen sollen. Das geschah auch sogleich, und bald stand eine große Menschenmenge auf dem Gehsteig und betrachtete die Garnitur, die traurig mit gesenktem Bügel dastand und mich irgendwie an einen Fiakergaul am Stephansplatz erinnerte. Rauch war keiner zu sehen, aber weiterfahren konnten wir offenbar auch nicht.

Nach einiger Zeit kam der nächste Zug und hielt hinter unserem an. Nach einiger Diskussion des Personals mussten auch die Fahrgäste der anderen Wägen aussteigen, der zweite Zug kuppelte an unseren und schob ihn kurzerhand davon.

Da standen nun sehr viele Menschen und waren sehr aufgebracht. Als nach langer Zeit wieder eine Straßenbahn um die Kurve bog, strömten alle auf die Fahrbahn, um den Zug aufzuhalten. Dessen Fahrer hatte natürlich keine Ahnung, was da los war, glaubte vielleicht an einen Überfall oder sonst was, jedenfalls dachte er nicht daran, stehen zu bleiben und uns Gestrandete aufzunehmen, nein, er bimmelte sich hektisch den Weg frei und die Schaffner brüllten heraus, dass hier keine Haltestelle sei. Also setzte sich die ganze große Schar in Bewegung und pilgerte Richtung nächste Haltestelle, die wir aber noch nicht erreicht hatten, als sich von hinten wieder ein Zug näherte. Neuerliche Anhalteversuche zeigten das gleiche negative Ergebnis wie vorher.

Schließlich standen wir ordentlich und gesittet an der Haltestelle. Doch als ein Zug herankam, war es mit der Ordnung sogleich vorbei und es stellte sich schnell heraus, dass nicht alle darin Platz hatten – auch wir mit unseren Rodeln mussten auf Anordnung des Schaffners draußen bleiben. So geschah es, als wir endlich auf der Rodelwiese ankamen, dass es schon dunkel wurde und Zeit zum Heimfahren war. Ich glaube, eine oder zwei Abfahrten gingen sich noch aus, aber dann drängte mein Vater zum Aufbruch, weil er zur Abendmesse wieder daheim sein musste.

Noch viele Jahre später, wenn ich diese Stelle in einer Straßenbahn passierte, habe ich unwillkürlich geschnuppert, ob es nicht nach verbranntem Gummi riecht!