© by Michaela Lipp

Damals, Donnerstag, später Nachmittag.

Es ist so kurz vor 17 Uhr, ich bin in meinen fünf Mark-Turnschuhen, einem Pullover und einer Hose unterwegs zum Waldlauf. Wir treffen uns gleich. Ich muss etwas Gas geben, flott laufen, dass ich pünktlich bin. So komme ich aufgewärmt an. Wir, das sind die Turngruppe des Sportvereines meines Heimatortes. Es ist 1975 und wir sind immer rund zehn Mädchen vom Dorf, zwischen acht und 15 Jahre jung mit unserer Trainerin so um die 18 oder 20. Wir lieben sie. Sie übt mit uns Gymnastik, Bodenturnen, Trampolinspringen und natürlich geht sie mit uns Laufen. Jeden Donnerstag treffen wir uns an der Kirche, und wir rennen ein paar Kilometer durch den Wald. Unterwegs zeigt sie uns Dehnübungen und streckt unsere Wadenkrämpfe. Auch die Seitenschmerzen hilft sie uns weg zu atmen. Es ist eine sehr schöne Zeit. Im Frühling sehen wir den Wald erwachen, im Sommer laufen wir oft noch eine Stunde nach dem Schwimmbadbesuch, und im Herbst und im Winter etwas früher, so dass wir vor dem Dunkelwerden wieder in der Dorfbeleuchtung sind. So manche Tiere laufen uns über den Weg, oder wir ihnen, das weiß ich nicht mehr so genau.

Damals

Ich hatte noch so eine Jugend ohne Stress. Wir begannen ein Baumhaus zu bauen, das nie fertig wurde, leihen uns dazu Werkzeuge, alte rostige Nägel und anderes. Blaue Finger, kaputte Fingernägel und angesägte Körperteile lehrten uns den richtigen Umgang damit.

Im Sommer schwammen wir im Fluss, im Winter waren wir mit der Schule im nach Chlor stinkenden Hallenbad.

Wir spielten damals Cowboy und Indianer, Räuber und Gendarm mit Gefängnis und Ausbruch, wir banden unsere Feinde an Bäume. Natürlich waren auch Fangen und Nachlaufen an der Tagesordnung. Die Langsamen wurden erwischt, die Schnelleren auch irgendwann oder man hörte vor lauter Langeweile auf, wie bei einem Remis. Wir hatten hochrote Gesichter bei der Schnitzeljagd durch die Wälder. In Abwasserröhren sammelten wir die Tierchen und im Bach die Fische. Manchmal rannten wir weg, wenn wir eine Ratte sahen. Wir hatten unseren Spielplatz im Dorf für ich weiß nicht wie viele Kinder. Im ersten Schuljahr waren wir 42 in der Klasse. Das könnt ihr euch selbst hochrechnen. Die älteren stiegen auf den Benediktusberg, das war ein Felsen, der sehr steil war. Auch das Wandern war total in und das Fahrradfahren. Ich beneidete die Nachbarskinder manchmal, wenn sie zu einem Fahrradcorso fuhren und die Räder mit Krepp-Papier geschmückt waren. Da ging das ganze Dorf hin. Wir waren auf jedem Fest im Dorf, egal ob Maibaum-Aufstellen, Gesangsverein, Musikverein, Angelverein, SPD oder CDU. Es gab Weinfeste und manchmal bei Jubiläumsfesten auch Ehrendamen und Ehrendamenführer. Immer hatten wir Live-Musik von Kapellen, Spielmannszügen oder Ein-Zwei-Drei-Mann-Bands. Und montags war immer Kindernachmittag mit viel Spaß.

Ja, wir waren viel unterwegs, obwohl meine Eltern kein Auto hatten. Und eine Bratwurst im Brötchen dazu eine Flasche Limonade waren immer drinnen. Die Männer tranken Bier oder Wein. Die Frauen backten die tollsten Kuchen für die Kaffeebar, und alles kauften sie dann selbst wieder ab, um den Verein zu unterstützen. Ach was freute ich mich über eine neue Hose, die nicht kaputt war. Über Socken und Pullover, die nicht aus Wolle waren und über Schuhe, die nicht zuvor schon viele getragen hatten. Habe ich etwas vergessen? Ach ja, wir feierten unsere Geburtstage zuhause mit Topfschlagen, Wurstschnappen und Mohrenkopfwettessen. Wir hatten stundenlang Spaß bei Mensch ärgere dich nicht, wir hatten richtige Spieleabende. Zur Not genügten manchmal zwei Blatt Papier und zwei Stifte um Schiffe zu versenken. Wir konnten alle Schnauz, Mau-Mau oder Mikado.

Fernseher? Ja- die hatten einige, aber erst später. Dann kamen die 80er. Glitzer, Disco und die erste Liebe. Wir standen eine Stunde lang an, damit wir um Mitternacht umsonst rein kamen.

Heute

Wenn ich heute den Fernseher anmache, was sehe ich:

Erwachsene, die sich ein Baumhaus bauen mit kabellosen Elektrogeräten. Kostet Geld

Indoorspielplätze – kosten Geld

Elektroräder und Scooter – kosten Geld

Gesangsstunden – kosten Geld

Kletterhallen – kosten Geld

Thermen – kosten Geld

Kindergeburtstage bei McDonalds oder sonst wo- kosten Geld.

Hosen mit Löchern, Selbstgemachtes, Gestricktes, Genähtes, Upcycling Sachen, die wie zu klein aussehen, aus Resten gemacht – so etwas trugen früher nur die *armen Leute*

Die heute-Mode – kostet nicht wenig Geld.

Die Menschen gehen gegen Entgelt auf abgesperrte Gelände und schießen sich gegenseitig mit Farbekugeln ab – Paintball – kostet Geld.

Sie gehen in Räume, in denen sie in einer bestimmten Zeit Rätsel lösen müssen – Rest the Room – kostet Geld.

Auch sitzen die Menschen heutzutage oft einsam am PC, um zu spielen. Rommé, Canasta, Billard usw. – alles kostet Geld. Oder sie spielen Rollenspiele. Dazu sag ich jetzt nichts. Aber das kostet auch Geld.

 

Manchmal wünsche ich mir die Zeit von früher zurück, obwohl – damals war auch nicht immer alles schön.