Der Zaubergarten
Am Weg durch das kleine Dorf entdeckte ich einen seltsamen Garten. Eine Hälfte des Gartens war wunderschön, voller Grün und den herrlichsten Pflanzen. Die andere Hälfte bestand nur aus Rasen und dieser war fast vertrocknet.
Ich beschloss, mir diese außergewöhnliche Konstellation genauer anzusehen. Beim Näherkommen bemerkte ich, wie sich die Luft um mich herum veränderte und sich angenehme Schwingungen von der grünen, üppigen Seite auf mich ausbreiteten. Sobald ich mich jedoch ein paar Schritte auf die andere Seite zu bewegte, wurde es zunehmend kühler und zeitgleich machte sich ein unangenehmes Gefühl in mir breit. Sofort begab ich mich wieder auf die andere Seite und setzte mich ins hohe Gras. Bunte Schmetterlinge flatterten mit ihren zarten Flügeln umher, Bienen tummelten sich fleißig in den Blüten der herrlichen Blumen und ein Mistkäfer schob eifrig seine Mistkugel auf dem weichen Wiesenboden zu einem winzigen Hügel, wo er seine in der Kugel befindliche Brut in Sicherheit brachte. Die Vögel zwitscherten und es herrschte Ruhe, die ich selten zuvor gespürt hatte.
Plötzlich trat hinter den Bäumen, am Rande des Gartens eine weibliche Gestalt hervor. Sie sah so lieblich und strahlend aus, dass ich mich sofort von ihr angezogen fühlte. Sie ging auf mich zu und sagte mit angenehm warm klingender Stimme:“ Hallo, mein Name ist Miranda, schön einen Besucher in meinem Garten zu sehen.“ Ich stellte mich ebenso vor und begann mit ihr zu plaudern. Miranda freute sich sehr, weil ich ihren Garten so sehr bewunderte. Auf meine Frage, warum nur eine Hälfte des Gartens so wunderbar und üppig ist, reagierte sie sehr emotional und traurig erzählte sie:“ Vor ungefähr fünf Jahren verstarb meine Mutter. Dieser Garten war meiner Mutter Lieblingsort und wurde von ihr geschaffen und gestaltet, wobei auch die andere Seite des Gartens so wunderschön wie diese war. Mein Vater übergab meiner Schwester und mir je eine Hälfte dieser herrlichen Oase, mit der Bedingung, das Erbe unserer Mutter in Ehren zu halten und dafür zu sorgen, dass es weiterhin ein traumhafter Ort zum Verweilen für Mensch und Tier bleiben sollte.“ „Seit diesem Tag kümmere ich mich um jede Pflanze und jeden Baum auf meiner Seite des Gartens.“ „Ich bestreue sie jeden Tag mit Liebe, spreche mit ihnen und bitte den Wettergott um ausreichend Regen, damit alles wunderschön gedeihen kann.“
„Meine Schwester Monja hingegen, verliebte sich in einen jungen Mann, der ganz und gar verlogen und berechnend war.“ „Er liebte sie nicht, sondern wollte nur an das Vermögen meines Vaters.“ „Monja war so geblendet von diesem Mann, dass sie alles tat, was er verlangte.“ „Sie waren dauernd auf Reisen und Monjas Leben bestand nur daraus, ihrem Geliebten zu dienen, seinen Haushalt zu führen und all seine Wünsche zu erfüllen.“ „Ihre Gartenhälfte vernachlässigte sie dadurch so sehr, dass bereits alles zu verwelken begann.“ „Als unser Vater bemerkte, wie blind meine Schwester in ihr Verderben lief, enterbte er Monja und belegte sie mit einem Fluch, der zu ihrem Besten sein sollte.“
Miranda erzählte mir von dem Fluch und ihrer unglücklichen Schwester. Der Vater, der ein sehr mächtiger Mann war, entschied mit den Vorsitzenden der Fauna und Flora der umliegenden Ländereien, dass sie Monja unterstützen würden, den Garten wieder erblühen zu lassen. Jedoch nur, wenn sie ihren Geliebten verlassen und die wahre Liebe finden würde. Der junge Mann hingegen verließ Monja, da sie enterbt war und bei ihr nichts mehr zu holen war. Sie war todunglücklich, verfiel in tiefe Traurigkeit und verließ ihr Haus nur einmal im Jahr, um Mirandas Gartenhälfte zu bewundern. Sie wollte, dass auch ihre Hälfte wieder so schön erblühte, doch sie glaubte nicht daran, sich nochmals zu verlieben. Geschweige denn, die wahre Liebe zu finden. Also vergrub sie sich immer wieder in ihrem Haus.
Miranda erzählte, dass eigentlich heute der Tag war, an dem sie sich jährlich blicken lässt. Ich war neugierig und so plauderte ich mit Miranda noch ein wenig, um vielleicht einen Blick auf die mysteriöse Schwester zu erhaschen. Nach einiger Zeit kam plötzlich eine kühle Brise auf und eine Gestalt trat aus den verdorrten Bäumen hervor. Ich erstarrte, denn ich hatte noch nie eine solche Schönheit gesehen. Die Traurigkeit in ihren Augen unterstrich die Verletzlichkeit dieser wunderschönen Frau. Sie kam durch das vertrocknete Gras auf Miranda und mich zu. Ich sprach sie an und sie blickte mir in die Augen. Plötzlich begann sich die Luft zu erwärmen, ein Glitzern trat in ihre Augen und sie errötete leicht.
Miranda rief unterdessen: „Schaut mal, dort drüben!“
Ich drehte mich um und sah, dass in einer Ecke des verkommenen Gartens eine Rose erblühte und kleine, hellgrüne Grashalme zu sprießen begannen. Monja sah mich an und wir erkannten, wie sehr wir uns zueinander hingezogen fühlten. Sofort danach erreichte ein warmer Sommerregen den Garten und immer mehr Pflanzen und Blüten entstanden auf wundersame Weise. Vorsichtig näherte ich mit Monja, nahm sie in die Arme und drückte sie an mich. Sie schmiegte sich an mich und lächelte über meine Schulter hinweg Miranda an.
In den nächsten Tagen trafen Monja und ich uns immer wieder und wir verliebten uns heftig ineinander. Ihre Hälfte des Gartens fing an sich richtig zu erholen und nach einem Monat konnte man von vertrockneten Pflanzen und verdorrten Bäumen fast nichts mehr sehen.
Ein Jahr später, auf den Tag genau als ich Monja das erste Mal sah, heirateten wir.
Mein Schwiegervater und Miranda waren ebenso glücklich wie wir. Der ganze Garten, also beide Hälften, erstrahlten nun in voller Blüte. Alles war grün und bunt. Es wimmelte von Insekten und vielen Singvögeln. Die Bäume wiegten sich im Wind und ließen ein angenehmes Rauschen vernehmen.
Inmitten dieser Schönheit spielten gemeinsam Mirandas und unsere Kinder. Für mich bedeutete dieser Anblick vollkommenes Glück.
Es ist unfassbar was Liebe vermag!