Garten der Entscheidung
Ich war schon neun Jahre an dieser Schule im oberen Waldviertel – engagiert beim Bildungswerk und im örtlichen Chor, beliebt und angesehen, glücklich im Haus und ausgestattet mit Umbauplänen für ein Atelier. Mein Gatte, Abteilungsleiter im Hochbau, Bauleiter und künftiger Baumeister…Also alles bestens.
Dann kam aus heiterem Himmel das Angebot, seiner Firma, eine Filiale in einer anderen Stadt zu übernehmen, wegzuziehen und neu anzufangen. Wir würden ein Firmenhaus bekommen und sollten uns einmal alles ansehen.
So fuhren wir, Überlegungen wälzend nach Horn, wo ein leeres Grundstück auf uns wartete. Es war der Garten des Vorbesitzers, der nach Insolvenz Bürogebäude und Liegenschaft verwaist zurückgelassen hatte.
Wie ein altes Gesicht, das die Schönheit der Jugend erahnen lässt, zeigte sich der Garten. Sorgfältig angelegte Terrassen mit Obstbäumen, von Polsterpflanzen gesäumte Wege, ein zerbrochener Grabstein von einer wilden Rose gehalten und einige braune Kolben, die einen ehemaligen Gartenteich erahnen ließen.
Noch nie vorher war ich dagewesen und doch fühlte sich alles vertraut an. Wir streiften durch unser mögliches neues Wohngebiet und fuhren zuversichtlich, bald eine Entscheidung zu finden, nach Hause.
War es bei meinem Gatten die berufliche Herausforderung, die bei der Entscheidung im Vordergrund stand, so war es bei mir der Garten, der mich verzaubert hatte.
Wir entschieden zugunsten des Neuanfangs. Wir ließen den Garten rund ums Haus planen, der große Teil blieb aber Naturgarten, Spielwiese für unsere jeweiligen Stubentiger und Augenweide zu jeder Jahreszeit.
Mein gärtnerisches Talent hält sich in Grenzen, aber ich freute mich an allem, was zu mir kam um zu wachsen und zu blühen.
Der Verkauf des halben Gartens traf mich hart. Ich habe darüber viel geschrieben und schlussendlich damit ausgesöhnt, zumal unser Kater ein eingezäuntes Reich bekam, in dem er ohne Gefahr Abenteuer erleben konnte. Unser Patenkind, ihres Zeichens Gartenplanerin, half, den verkleinerten Platz stilvoll zu bepflanzen. Einmal konnte er schon seine blühende Kraft entfalten, einen Winter lang zauberte der Frost bizarre Gebilde in die vertrockneten Gräser.
Schon wieder steht dem Garten eine Änderung bevor. Am Montag sind die Bagger aufgefahren, um eine Baugrube auszuheben. Ein Haus wird gebaut. Die durchdringenden Geräusche der retour fahrenden Lastautos sind ständig zu hören.
Die Aussicht wird anders, und wir werden nach dreißig Jahren Nachbarn haben.
Diese Woche habe ich den befreundeten Gärtner eingeladen, mir professionell zur Seite zu stehen, unser kleines Gartenstück zu pflegen.
Corona hat mich gelehrt, Veränderungen gelassener hinzunehmen. Ich sehe den Bau mit etwas zuversichtlicheren Augen. Der Garten kommt mir wie ein Spiegel meiner Seele vor. Ich werde älter, verkleinere meinen Radius, lasse mir helfen. Wer weiß, wie lange ich die wechselvolle Geschichte dieses Gartens noch miterleben darf. …