© by Reinhard Schwarz

Klara wird groß

 Seit einigen Tagen muss sich Klara immer wieder wundern: Ihre Mama ist irgendwie anders als sonst: Manchmal muss sie sich plötzlich niedersetzen oder schaut mitten im Spielen und Reden verträumt ins Narrenkastl. Doch eines Tages, als Klara nach dem Kindergarten beim Mittagessen sitzt, verraten ihr die Eltern den Grund: Sie bekommt ein Geschwisterchen. Klara macht einen Luftsprung und wirft dabei mit Gepolter ihren Sessel um.  Auch die Saftgläser auf dem Tisch schwanken bedrohlich. „Wird es Bruder oder eine Schwester?“, fragt sie aufgeregt. „Das wissen wir ja noch nicht“, lacht der Papa. „Und es wird noch eine Weile dauern“, erklärt die Mama. Klara ist ein bisschen enttäuscht. Sie hätte ihr Geschwisterchen am liebsten gleich gehabt.

 „Es ist schon recht so“, meint der Papa, „wir müssen noch eine Menge vorbereiten.“ Klara denkt gleich praktisch: „Wo wird es denn schlafen? Bei mir im Zimmer?“ „Vielleicht später“, sagt die Mama. „Am Anfang wird es sicher bei mir sein wollen.“

 Solche Gespräche gibt es in der nächsten Zeit immer wieder. Klara macht sich viele Gedanken und hat viel zu fragen, nicht nur ihre Eltern, sondern auch ihre Freundinnen im Kindergarten.  Aber sie wird aus den Antworten nicht recht klug, denn jede erzählt etwas anderes. Außerdem glaubt sie zu bemerken, dass sich der Papa und die Mama mehr mit den Vorbereitungen für die Ankunft des Geschwisterchens beschäftigen als mit ihr. Und so ist sie auf einmal gar nicht mehr so sicher, dass sie ein Geschwisterchen möchte.

 Die Mama bemerkt es. „Schau, Klara“, sagt sie deshalb, „bevor auf die Welt gekommen bist, haben wir für deine Ankunft genauso viel vorbereiten müssen. Oder eigentlich sogar mehr, denn jetzt haben wir ja schon einiges. Zum Beispiel dein altes Gitterbett, für das du schon zu groß bist. Möchtest du das deinem kleinen Geschwisterchen schenken? Damit würdest du ihm eine große Freude machen. Und uns auch.“ Klara denkt nach. Ja, eine Freude will sie gerne jemandem machen, und so verkündet sie schließlich feierlich: „Ja, also, ich schenke dem Geschwisterchen mein altes Gitterbett.“

 Es geht aber nicht immer so einfach. Den Polster aus dem Gitterbett hat Klara noch in Verwendung und will ihn nicht hergeben, den braucht sie einfach zum Einschlafen. „Gut“, sagt die Mama, „ich verstehe, dass du ihn magst. Behalt ihn ruhig. Kriegt das Kleine eben einen neuen. Und vielleicht könnt ihr später einmal tauschen.“

 Das gefällt Klara, aber sie möchte noch etwas wissen. „Wie wird es denn werden? Schlimm oder brav? Ein schlimmes Geschwisterchen möchte ich nicht.“

 Darauf ist schwer zu antworten. „Wart es ab und freu dich einfach drauf“, schlägt die Mama darum vor. „Weißt du, jedes Kind, jeder Mensch ist ein bisschen anders.“ „So wie du und der Papa?“, fragt Klara. Die Mama lacht: „Und du und der Opa.“ Klara versteht: „Und die Kinder im Kindergarten.“

 Die Mama nickt und nimmt ihre Tochter in den Arm. „Du bist eben ein kluges Mädchen“, sagt sie, „ich bin stolz auf meine große Tochter…“