© by Michaela Lipp

Die alte Maske

 Da liegt sie, die Maske, die ich so oft getragen habe. Sie zeigt ein lächelndes Gesicht, das nicht müde, nicht traurig, nicht unhöflich ist. In Franken, in meiner alten Heimat, trug man solche Masken an Fasenacht. Männer und Frauen trugen diese in Zellingen. Nun, die Männer natürlich einen freundlichen Mann, vielleicht mit Oberlippenbart. Mutige sogar solche Masken mit einem Vollbartmann, der eine Zigarette im Mundwinkel hängen hat. Aber keine Fratzen, keine Teufelsgesichter, keine Perchten oder gar Dämonen. Einfach nur normale Menschen, wie du und ich. Ich hatte auch so eine. Jetzt ist sie kaputt, eingerissen. Natürlich- sie war ja schon alt und lange getragen. Wahrscheinlich muss sie jetzt in den Restmüll, wobei…

Eine Nachbarin, die Lis, sie behängt immer ihren Christbaum nach drei König mit Masken und Girlanden. Der bleibt dann bis Aschermittwoch stehen. Sollte ich das auch so machen? Ach nein, die Maske hat ausgedient.

Sie steht auch für mein Leben in Deutschland:
Immer lächeln, immer freundlich, nett und höflich sein, stets ohne Anzeichen von Müdigkeit.

 Ich trug diese Maske sehr lange und sehr oft. Aber irgendwann wollte ich sie nicht mehr tragen, wollte nicht mehr perfekt sein, keine Emotionen verstecken. Nein, ich zog sie herunter von meinem Gesicht. Da war mein Innerstes auf einmal sichtbar, meine Müdigkeit, meine Traurigkeit. Und ich merkte, dass ich auch andere Emotionen habe: Freude, unbändige Freude, Fröhlichkeit, auch albern wie ein Teenager sein. Obwohl das jetzt doch schon dreißig Jahre vorher war. Ich wollte mich verlieben, wieder Schmetterlinge im Bauch haben und ja, auch mal eine Nacht durchfeiern, auch wenn mein Körper am nächsten Tag sagt: „Mach das nie wieder, hörst du!“

Die meisten Prinzipien waren mir immer noch im Hinterkopf, das machte meine strenge Erziehung aus:

Sei pünktlich, sein immer regelkonform, verstoße nicht gegen geltende Gesetze.

 Aber ich wollte leben, solange es möglich ist. Ja, ich wollte leben. Ich hörte auf, zu rauchen, ließ mir meine Haare wachsen. Ein neuer Job, keinen Alkohol mehr! Das waren meine Ziele. Ich war etwas über vierzig und wollte noch das eine oder andere nachholen.

 Ein Liebhaber trat in mein Leben. Aber ich merkte auch, ich habe Depressionen, die ich nicht ausgelebt habe. Auch das war unter der Maske versteckt. Ich ging zum Arzt und holte mir Hilfe. Inzwischen wurde mein Fremdgehen entdeckt. Ein Ehekrach war die Folge, ein Rauswurf aus dem Zuhause. Die Maske passte auch überhaupt nicht mehr.

Ich betrat einen neuen Lebensweg, wie ich dachte. Doch die Veränderungen in meinem Gesicht waren sichtbar und ja, auch fühlbar. Ich litt körperlich und seelisch. Es dauerte einige Jahre, bis ich wieder gesund wurde.

 In den letzten Jahren war dann Willi an meiner Seite. Er ließ mich sein, wie ich war. Aber er führte mich, wann immer ich Hilfe brauchte.

Er war meine Krücke, mein Stock. Und ich merkte, wie schön es ist, ohne Maske zu leben, zu zeigen, wer ich tatsächlich bin. Wer ich sein konnte, wenn alles richtig ist. Maskenlos und fast immer mit einem Lächeln im Gesicht.