© by Doris Pikal

Die Glockenhose

 Bei dem Gedanken an eine Glockenhose denkt man im üblichen Fall an ein Beinkleid, das vom Knie abwärts weiter geschnitten ist, als der Oberteil. Sie war einmal sehr in Mode. Mein Vater gehörte zu jenen, die dieser Mode absolut nichts abgewinnen konnte.

Trotzdem hatte er eines Tages auch eine Glockenhose, und zwar im wahrsten Sinne des Wortes.

Das kam so:

In diesem Jahr fuhren wir, mein Mann die Kinder und ich, in die Steiermark um mit meinen Eltern Weihnachten zu feiern. Das Auto vollgepackt mit Bananenkartons, in denen die Geschenke für die Kinder und die Eltern vor neugierigen Blicken sicher waren. Nicht zu vergessen der Katzenkorb mit unserem total verstörten Kater, der Autofahren im Katzenkorbgefängnis absolut nicht leiden konnte. Zwei Stunden jaulte er zum Herzerbarmen. Am Ende schien er schon richtig heiser zu sein. Doch mein Mann blieb unerbittlich. Er hatte schon seine bösen Erfahrungen bei Autofahrten mit ihm gemacht.

Ich kann Ihnen versichern – diese Ausfahrt war kein Vergnügen.

Es war sehr viel Verkehr. Jeder hatte es eilig, mancher zu sehr. Wir kamen an Autos vorbei, die einen Unfall gehabt hatten.

„Für die ist Weihnachten schon gelaufen!“ sagte mein Mann. Ich nickte und betete, daß uns nichts zustoßen möge.

Es war schon dunkel und außerdem neblig. Wir fuhren die Serpentinen zum Semmering hinauf. Kurz vor der großen Kehre, bei der man nun in den Tunnel abbiegen kann, hob sich plötzlich der Nebel. Er blieb unter uns zurück, wie ein dickes, flauschiges Kissen. Der Himmel war hell, von Sternen übersät, der Mond strahlte und in dem Gefühl, daß dies die Heilige Nacht war suchte ich instinktiv nach dem Weihnachtskometen. Wir alle verspürten plötzlich eine stille Andacht in uns, allerdings nicht lange, da der Kater wieder zu raunzen begann.

„Wir sind ja bald da“ versuchte ich ihn zu beruhigen, aber vergebens. In seinem Katzenkorb hatte er offensichtlich keinen Sinn für Weihnachtsgefühle

 

Wir kamen wohlbehalten bei meinen Eltern an. Meine Mutter hatte schon das Abendessen hergerichtet. Während wir Frauen mit den Kindern das Geschirr abwuschen und wegräumten, legten die beiden Männer die Geschenke unter den Christbaum. Als mein Mann allein in die Küche kam, wusste ich, daß nun bald das Christkind läuten würde. Mein Vater stand normalerweise mit dem Glöckchen hinter der Vorzimmertüre, läutete und wartete bis alle vorüber waren. Doch heuer stand er direkt vor der Küchentüre weil meine Mutter und auch ich wegen zunehmender Schwerhörigkeit das Glöckchen nicht hören konnten. 

Die Kinder aber hatten gute Ohren. Beim ersten Ton stürmten sie aus der Küche und rannten den Opa fast über den Haufen. „Es hat geläutet Opa“ rief mein Sohn im Vorüberlaufen.

Schnell versuchte mein Vater das Glöckchen zu verstecken.

Die Kinder sollten doch nicht merken, dass er geläutet hatte. Mein Vater hatte an diesem Weihnachtsabend nicht wie sonst seinen Anzug an, sondern seine schöne dunkle Krachlederne.

In seiner Not steckte er die Glocke schnell in seinen Hosenbund. Doch diese machte sich selbständig und rutschte die Knickerbocker hinunter bis zum Knie. Die Glocke war gut verborgen, denn eine Knickerbocker wurde unter dem Knie zugebunden. Sie konnte also nicht heraus. In diesem Fall war das ein Nachteil.

Mein Vater versuchte verzweifelt das Glöckchen aus der Hose zu bekommen. Es gelang ihm aber nicht gleich

Da mein Vater den Enkelkindern nicht gleich ins Kinderzimmer, wo der Christbaum stand, nachgekommen war, kam meine Tochter zu ihm zurück.. „Komm Opa“ rief sie und zog ihn vorwärts. „Klingeling“ machte es aus der Hose. Meine Tochter, die nicht wusste woher das Geräusch kam, hielt sich bei seinen Hosenbeinen fest und suchte abwechselnd rechts und links dahinter die Ursache des Glockentones. Nichts war zu sehen. Da kam Daniel zurück um zu sehen wo der Opa so lange blieb. „Der Opa kann nicht so schnell“ erklärte meine Tochter. Mein Vater versuchte das Läuten zu verhindern. Er rutschte vorsichtig mit den Pantoffeln weiter, um nur ja kein Geräusch zu verursachen. Doch mein Sohn war viel stärker als seine Schwester. Mit einem Ruck zog er an Opas Hand. „Klingeling“ machte es wieder. „Was war das?“ fragte er. „Die Glocke“ sagte mein Vater und deutete auf die Wohnzimmertüre. Ganz in der Nähe unseres Hauses war eine Kirche und im Wohnzimmer hörte man das Geläute normalerweise am deutlichsten. Mein Sohn lief zur Türe, öffnete sie horchte hinein und schüttelte den Kopf. Währendessen ging mein Vater weiter, die Hand ans Knie gelegt als ob er Schmerzen hätte und versuchte das vorlaute Ding da unten im Zaum zu halten

Im Zimmer angekommen ließ er sich in einen Sessel fallen und rührte sich nicht mehr. Es war ihm nicht möglich das Glöckchen ungesehen zu entfernen. Er war kein Sänger und sang nie mit. So fiel es auch nicht auf, dass er als Einziger beim Singen sitzen blieb.

Das Geschenke austeilen war die Aufgabe der Kleinsten, auch da konnte er sitzen bleiben. Voller Ruhe packte er seine Geschenke aus. Es waren fast immer dieselben Sachen die er bekam; sein Rasierwasser „Tabac Original“, grüne Hemden, manchmal ein paar neue Hausschuhe oder eine Krawatte, ein Buch, denn der Winter war die einzige Jahreszeit, in der er Muse hatte, zu lesen. In einem Paket befanden sich handgestrickte Modelstutzen. Seine Schwägerin hatte sie im Auftrag meiner Mutter angefertigt. Das war eine gute Gelegenheit die Weihnachtsklingel los zu werden.

„Willst du sie nicht gleich anprobieren?“ fragte ich meinen Vater und zwinkerte ihm zu. Er blickte auf seine Enkelkinder. Die waren sehr beschäftigt mit ihren Geschenken. Er beugte sich hinunter und lockerte das Lederband. Dann weitete er den Gummibund von den Stutzen die er anhatte und ließ das Glöckchen hineinrutschen. Als er die Stutzen auszog, hielt er den Klöppel innen fest, damit er ihn nicht noch einmal verraten konnte. Vorsichtig legte er den alten Kniestrumpf samt Inhalt in die Schachtel. Mit einem Seufzer der Erleichterung rief er „Na endlich!“. Wir dachten alle, er meinte die neuen Stutzen, stattdessen sprang er plötzlich auf und rief „Jetzt muss ich auf`s Klo!“

Später, als die Kinder schon im Bett lagen und schliefen, saßen wir noch geraume Zeit in der Küche beisammen und plauderten. Meine Mutter hatte von all dem nichts mitbekommen und lachte als ich ihr die Geschichte erzählte.

„Gell“ sagte ich zu meinem Vater „heute bist du ein bisschen geläutert worden.“

„Du hast keine Ahnung, was ich da mitgemacht habe. Ich hab schon so dringend müssen. Ich habe gelitten!“

„Jaja“, gab ich ihm recht und schmunzelte, „geläutert werden ist ja auch die Leideform!!!“