© by Maria Gansch

Karottengrün

 Das kleine Mädchen sitzt verzweifelt am Küchentisch. Schon wieder hat sie etwas falsch gemacht. Beim Tischabräumen ist ihr ein Häferl zu Boden gefallen. Ausgerechnet Mutters Lieblingshäferl. Es war nicht ganz kaputt, bloß der Henkel war weggebrochen. Grad in dem Augenblick kam Mutter herein. Natürlich ging die Leier wieder los: Was für ein dummes ungeschicktes Kind sie ist, nicht einmal den Tisch kann sie abräumen ohne dass sie alles fallen lässt. Jedes Mal ist etwas kaputt, bald haben sie keine Häferl mehr. Sogar aufpassen muss die Mutter, dass das Mädchen nichts Verkehrtes ins Maul steckt, weil es alles kosten willst. Ständig muss sie sagen: „Wenn du das isst stirbst du!“

Leise schlich sich das Mädchen hinaus in den Gemüsegarten. Am Rande des Karottenbeets blieb sie stehen. Soll sie? Soll sie nicht? Mutter sagt „Karottenblätter sind giftig!“, und wirft sie achtlos auf den Misthaufen. Einmal muss ein Ende sein.

Langsam zupft das Mädchen ein Blatt nach dem anderen von verschiedenen Karotten ab. Das Kind isst langsam, es geschieht nichts. Sie fällt nicht um und bekommt keine Bauchschmerzen. Sie schmecken ihr nicht, und ihr wird schlecht. Langsam geht sie aus dem Garten, unter dem Zwetschgenbaum bleibt sie eine Weile sitzen.

Fast erleichtert steht sie auf und denkt: „Wenn das so ist, kann ich den Schnaps und die Medizin der Nachbarin aus der großen rotbraunen Flasche auch probieren!“