© by Michaela Lipp

KÜWE

  „Da rollt ein Küwe!“ Ich habe ein Fragezeichen auf der Stirn. Die Kinder im Haus haben oft Langeweile, weil sie nicht rauskönnen. Dieses Homeoffice ist für alle sehr anstrengend. Ich beneide kein Elternteil, das sich jetzt mit der ganztägigen Homeoffice und Kinderbetreuen belustigen darf. Hut ab vor jedem, der das so schafft.

Ja, wenn das Wetter schön ist, wenn wir draußen im Garten sitzen können, plaudern wir schon mal mit den Kindern.

„Da rollt ein Küwe.“ Ich schaue, wo der Finger hinzeigt, ja da ist ein Eimer. Ich haue mir gedanklich auf die Stirn. Ä EMMA, klar. Ein Kübel.

„Was der wohl macht?“

Zwei Tage jetzt war der Gedanke in meinem Kopf, jetzt ist es eine fertige Geschichte:

 Ein Küwe erzählt uns diese auf Hochdeutsch für alle deutschsprachigen Leser

 „Ich erinnere mich eigentlich erst an die Zeit, in dem Weinkeller. Da stand ich unter dem Hahn am Weinfass um jeden Tropfen aufzufangen.

Mein Winzer nahm mich auch ab und zu zum Resteaufnehmen, also wenn er Wein getestet hat und er oder andere den Rest nicht auf den Boden schütten sollten. Also war ich so ein Resteeimer und Tropfenfänger. Und manchmal, ganz selten, wenn jemand kam, der dem Winzer nicht sympathisch war, bekam er einen Schluck aus dem Küwe.

 „Was hast du denn da für ein tolles Tröpfchen?“ Der Winzer war kurz überlastet und sagte dann sehr vornehm: „Das ist ein Cuvèe“. Ein Verschnitt sozusagen. Sollte er sagen, dass das die Reste der vorhergehenden Gesellschaft waren?

 Ja, irgendwann hat mich der Weinstein aber trübe gemacht, ich wurde aus dem Keller herausgenommen. Jetzt wurde ich als Wasserfänger unter einer Dachrinne gestellt. Ich durfte die Blumen gießen, das war toll. Auch Gemüse wurde von mir bewässert und wenn es viel geregnet hat, wurde das Wasser mit Schwung in die Wiese vor dem Haus befördert.

 Ja, das war schon jahrelang meine Aufgabe, am Anfang war es spannend, aber irgendwann einfach nur noch langweilig. Immer das gleiche, voll Wasser, ausgeleert und wieder warten. Ab und zu ein paar Stechfliegenlarven aufgezogen, das war es. Toll war manchmal, wenn ein Vogel bei mir trank, sich mit seinen kleinen Krallen festhielt und den Schnabel ins Nass gestreckt. Danach den Schnabel hoch in die Luft gereckt, so dass das Wasser in die Kehle laufen konnte.

 Es war Frühling, es war warm und es regnete lange nicht mehr. Ich hatte kein Wasser in mir, im Winter bleibe ich immer ganz leer. Jetzt aber fühlte ich den Wind. Und der war nicht nur schwach, es war eine starke Bewegung und ich lag auf der Seite.

 Ui, ich rollte hin und her. Und das machte Spaß sage ich euch. „Mehr, mehr“ feuerte ich den Wind an und er hob mich auf die Wiese. Kopfüber. Dann verließ er mich und ich lag da, erst mal ganz alleine, ohne Wind, ohne Wasser, nur im Gras. Das Gras kitzelte mich, aber ich kann ja nicht lachen. Dann kommt von unten aus der Erde eine Maus. „ Oh, wer bist denn du? Du liegst ja über meinen Mäuselochausgang.“

Ich stottere erst herum, kann mich die Maus verstehen? Doch dann bin ich mutig. „Ich bin ein Küwe und der Wind hat mit mir gespielt.“

Die Maus schaut mich an, rennt unter dem Rand raus, einmal um mich herum, schnuppert und meint dann: „Gut, du kannst bleiben, so habe ich auch einen überdachten Eingang, wie die Menschen.“ Ich schaue zu meinem alten Platz hin, noch niemand hat gemerkt, dass ich da in der Wiese liege. Dann sage ich zu der Maus: „Danke dir, es gefällt mir gut hier.“ Die Maus ist eine schlaue Maus, sie zieht das Gras rund herum so hoch, dass man mich vom Haus her nicht mehr sieht. „So kann ich dich behalten, Küwe.“

Klasse, ich bin ein Mäusevordach. Die Familie der Mäuse ist lustig, sie sind viele und sie kommen immer wieder heraus, um mich zu bewundern. Eine kleine Türe haben sie sich geschaffen, da auf der windgeschützten Seite. Das hat ein wenig gepikst, weil sie zwei kleine Stücke abgebissen haben. Aber bald war der Schmerz vorbei. Als ich zurücksah, so zwischen den Grashalmen durch, sah ich, dass ich ersetzt wurde. Ein neuer Küwe stand jetzt an meinem alten Platz unter der Regenrinne. Ich vermisse dieses Leben nicht mehr, hier ist Leben. Die Mäuse vermehren sich, ich lerne jedes Kind kennen und sie dürfen in meinem Schutz spielen.

Und dann passierte etwas Wunderschönes: Eines Tage kam, weil es regnete, eine Grille unter den Eimer. Sie schüttelte sich trocken und saß erst mal ruhig da. Und dann begann sie zu musizieren. Freiwillig blieb sie bei uns und machte Musik. Und es hörte sich hier im Eimer so schön an. Ich bin ganz verliebt in diese Musik. Die Mäuse singen ja auch manchmal aber so eine Künstlerin bei mir. Den ganzen Sommer verbrachten wir miteinander. Die Grille, die Mäuse und ich.

Dann kam ein Mensch und warf mich in den Müll.

Aber das wird eine andere Geschichte.