© by Paul Kumpfmüller

Seelenwanderung

Ausflug – hin und zurück

Man darf nicht über den Horizont hinaus sehen, sonst entschwindet man den Blicken der Erde, man geht verloren zwischen den Wolken des Himmels oder man löst sich auch im haltlosen Blau, sagte die zweifelnde, unsichtbare Seele.

Oft schon hatte die Seele versucht, einen Fixpunkt zu finden, – aber selbst die Sonne, dieser scheinbar ewige Zeiger am Ziffernblatt des Seins, strich nicht wirklich ewig über das Firmament, auch sie – war doch nur  e i n  brennender Stern – unter vielen, der einmal – verlöschen würde.

Das Schöne, die Natur, Blumen, Wiesen und Wälder, die Weite des Meeres, Tiere und Menschen, – ja selbst leblose Dinge, wie Bilder, Skulpturen, Musik, oder Gedichte, – erfuhren im Innern der Seele eine wundersame Wandlung, ein Lebendigwerden.

Aber die Natur selbst war nicht  n u r  schön, – sie war auch grausam, unerbittlich, scharf trennend, wie die Klinge eines behauenen Steines aus der Urzeit, scharf trennend durch die Klinge menschlicher Technik, menschlicher Irrnisse, oder erstickend, in Muren, Lawinen und Erdbeben, oder verpesteter Luft.

Und doch ging immer wieder auch ein entzücktes, entrücktes, verzaubertes Beben durch die Seele.
Schön, zu leben, dachte die Seele, in solchen Augenblicken. Schön das Schöne zu fühlen, – aber was steckt hinter dem Schönen?
Was steckt hinter dem Leiden? – Was versteckt sich hinter dem Horizont?

Die Seele kam wieder ins Träumen.

Hinter dem Strich, der sich kreisrund um uns zieht, da wird wohl das Paradies sein, oder das Nichts?
Wird es anders sein – als hier?
Oder Himmel  u n d  Hölle in einem, wie hier auf der Erde ? –

Tastend strich die Seele weiter, die Sonnenstrahlen entlang, durch Schnee und Regen hindurch. Der Wind blies einmal entgegen, verteidigend und abwehrend, – dann wieder war  e r  es, der zog und riss, mit ausgebreiteten Armen, – um nicht mehr so einsam sein Lied pfeifen zu müssen. Hungrig auf Gesellschaft, umwarb er grob bis zärtlich jeden Vorbeikommenden. –

Die Seele trieb dahin, – sie merkte gar nicht, dass sie den Horizont schon längst überschritten hatte.
Sie war jenseits des Horizontes – bereits wieder auf dem Rückweg.