© by Wine van Velzen

 

Ausschnitt aus der Fantasy-Trilogie:

„Das Erbe der Wächter“

 

Nodin schlenderte in den ausgeleuchteten Saal. Jedes Objekt wurde zusätzlich mit kleinen Lampen und Strahler in Szene gesetzt, was der Atmosphäre zugute stand. Links hinten im Raum war ein Buffet aufgebaut. Mit ausgelesenen Delikatessen der Region war es liebevoll zusammengestellt worden.

 Rechts ging es von einer schmalen Treppe zu einer kleinen Empore hinauf. Dort sah Nodin für einen kurzen Augenblick ein rot glitzerndes Abendkleid und einen Hinterkopf, auf dem eine Lockenfrisur kunstvoll hochgesteckt war. Dann war die Trägerin des Kleides auch schon nach hinten getreten und er konnte nichts mehr von der Fremden sehen.

 Im Saal verstreut haben sich kleine Gruppen gebildet. Immer wieder wurde er höflich gegrüßt. Gut gelaunt machte er sich auf zu einem Rundgang. Hauptsächlich ist er hergekommen, um sich das Goldfloß anzusehen. Ursprünglich wurde das 18 cm kleine Floß in Pasca gefunden. Welches die Eldorado-Zeremonie auf dem See Guatavita darstellte. Auf dem Floß befinden sich elf aufrechtstehende Figuren mit diversen Früchten und stilisiertem Kopfputz. Eine Gestalt überragte die anderen, trug Nasen- und Ohrenschmuck und saß auf einem Thron. Laut dem Katalog, den er in der Hand hielt, stellte die Figur vermutlich den Muiska König dar.

 Wie gerne hätte er dieses aus 80% reinem Gold hergestellte Floß in seiner eigenen privaten Sammlung gehabt. Anfragen zum Erwerb wurden nicht beantwortet. Auch noch so horrende Summen, die er anbot, wurden stillschweigend ignoriert. Dieses wunderschöne Kleinod würde er niemals besitzen. Er ging an den ausgestellten Kunstgegenständen vorbei, um in die Nähe seines Wunschobjektes zu kommen.

 Abrupt blieb er stehen. Das Gefühl, eindringlich beobachtet zu werden, ließ ihm die Nackenhaare aufstellen. Sofort drehte er sich suchend um. Diese Empfindung, die ihn überkommen hatte, zeugte nicht von irgendeiner Gefahr. Es war ein wohliger Schauer, der ihm bereits den Rücken hinunter strömte. Verwundert ließ er seinen Blick in dem Saal umherschweifen. Haften blieb er an zwei wunderschönen, veilchenblauen Augen, die ihn neugierig ansahen. Sein Blick konnte sich kaum von dem ihren lösen. Das rot glitzernde Abendkleid stand keine zehn Schritte entfernt, vor ihm. Es umhüllte eng anliegend und verführerisch einen kleinen aufregenden Körper, an dem alles an der richtigen Stelle war. Sinnliche Kurven, die sich berauschend an das Kleid schmiegten. Kastanienrote Haare, die aufgetürmt ihr herzförmiges Gesicht mit kleinen Löckchen umrahmten. Volle kirschrote Lippen luden geradezu ein, von ihm geküsst zu werden. Ihre Brüste, die sich reizvoll beim Atmen leicht auf und ab bewegten, raubte ihm den Atem. In Sekundenschnelle saugte Nodin jedes noch so kleine Merkmal von ihr auf. Ehe er sich dessen bewusst wurde, war er auf dem Weg zu ihr, ohne sie auch nur einen Augenblick aus den Augen zu lassen.

Vergessen war das goldene Floß, das er eben noch unbedingt sehen wollte. Vergessen all die Menschen, die sich hier aufhielten. Er wollte zu ihr. Sein Herz trommelte laut gegen seine Brust, und als er in sich hinein hörte, schrie es ihm entgegen: 

»MEIN! Meine Frau, meine Liebe! MEIN!«

Bei allen Dämonen auf Erden, er wollte diese Frau. Sie heiß und innig am ganzen Körper küssen. Sie streicheln und liebkosen, sie stürmisch an sich ziehen, um mit ihr gemeinsam in eine erotische Fantasie zu stürzen.

 Benommen sah Melina Scappi zu dem groß und gut gebauten Mann hinüber, den sie soeben entdeckt hatte. Sie schätzte ihn auf Mitte dreißig. Sein Anzug saß perfekt und ließen seine Muskeln und sein Sixpack bereits erahnen. Als er sich zu ihr umdrehte, dachte sie, noch nie so einen anziehenden, attraktiven Mann gesehen zu haben. Diese Ausstrahlung von gebündelter Kraft ließ ihr Blut rauschen. Seine ozeanblauen Augen betörten sie auf eine Weise. Als er sich in ihrer Richtung bewegte, zog eine leichte Röte über ihr Gesicht.

Oh Gott, wenn er mich anspricht, muss ich mich beherrschen, um ihn nicht augenblicklich hier auf diesem Parkettboden zu vernaschen.

Melina wurde noch eine Spur dunkler im Gesicht, da solche Gedanken eigentlich fremd für sie waren. Ärgerlich über sich selbst, schüttelte sie ihren Kopf. Obwohl sie Stilettos mit einem 12 Zentimeter hohen Absatz trug, reichte sie ihm nur knapp bis zu seiner muskulösen Brust. Den Kopf tief im Nacken, sah sie gespannt zu ihm auf. 

 Der Hauch ihres Parfüms, der nach der frischen Brise an einem Herbstmorgen duftet, stieg ihm in die Nase. Nodin beugte seinen Kopf zu der Schönheit hinunter.

»Darf ich fragen, mit wem ich die Ehre habe?«

Melina räusperte sich. Sie sah ihn direkt in die eisblauen Gletscheraugen. Die dunkle angenehme Stimme zog sie sofort in ihren Bann.

»Melina Scappi, ich bin die Kunsthistorikerin dieser Ausstellung«, sagte sie mit ihrer melodischen Stimme bebend. Nervös sprach sie weiter, weil sie Angst hatte, er würde gleich wieder gehen. »Ich komme aus Italien. Normalerweise betreue ich private Kunstsammlungen. Ich untersuche Gegenstände auf ihren Erhaltungszustand, erforsche und beschreibe ihre Entstehungsgeschichte. Es ist das erste Mal, dass ich für eine öffentliche Ausstellung tätig bin.«

Nervös fuhr sie sich mit ihrer Zunge über die vollen Lippen.

»Dann darf ich Ihnen gratulieren, Melina. Wie es aussieht, haben Sie sich viel Arbeit und Mühe gemacht. Auch den Katalog, den Sie verfasst haben, zeugt von Ihrem Wissen und Können«, raunte Nodin ihr leise ins Ohr.

Melina errötete vor Freude über das Kompliment dieses beeindruckenden Mannes.

»Ich würde Sie gern auf einen Drink einladen«, sagt er und nahm galant ihren Arm.

Nodin führte sie zu der kleinen Bar im hinteren Teil des Saals. Ohne Widerspruch ließ sie sich von ihm führen.

 Nodin konnte es nicht glauben. Noch nie war er einer Frau so schnell verfallen. Niemals zuvor hatte er dieses Gefühl, endlich angekommen zu sein. Sein Herz schrie, MEIN!!! Und das verwirrte und ängstigte ihn. Wie könnte er sich auf diese Frau einlassen? Wie sollte er mit ihr ein normales Leben führen? Sein ganzes Leben widmete er bisher dem Kampf und seiner geliebten Familie und der Gilde. Verwirrt über die Gefühle, die er für diese kleine attraktive Person empfand, runzelte er nachdenklich die Stirn. Natürlich hatte er im Lauf seines Lebens die ein und andere Affäre, aber all diese Verhältnisse dienten lediglich dem Zeitvertreib und seinen körperlichen Trieben. Das hier mit Melina Scappi war etwas anderes. Niemals hatte er so intensiv für eine Frau empfunden. Er war wie verhext von ihr. Alles an ihr zog ihn magisch an. Diese kurvenreiche Figur, ihre Lippen, die ein umwerfendes Lächeln auf ihr hinreißendes Gesicht zauberten. Diese melodisch klingende Stimme, die ihm den Atem raubte, so wie ihre veilchenblauen Augen, mit denen sie ihn nach wie vor erwartungsvoll ansah.

 Er reichte Melina ein Glas eisgekühlten Champagner, dabei strich er zärtlich über ihre ringgeschmückte Hand. Sofort durchfuhr beide ein erregendes Prickeln, dass sie geschickt verbargen.

Melina erzählte von ihrem Zuhause in Italien. Wie sehr sie das Meer liebte. Dass sie im Astor wohnte, bis sie in einer Woche zurück nach Italien fliegen würde. Die Worte sprudelten aus ihr heraus. Sie hatte das Gefühl, sie müsste diesem attraktiven Mann ihr ganzes Leben offenlegen. Nodin hörte ihr interessiert zu. Alles, was sie sagte, speichert er sofort ab. Nicht ein Wort würde er vergessen.

 Eigentlich hätte sich Melina für alle Gäste zur Verfügung halten sollen, um jegliche Fragen über die ausgestellten Kunstobjekte zu beantworten. Aber irgendwie konnte sie sich nicht von diesen arktisblauen Augen abwenden. Noch nie hatte sie solche Emotionen für einen Mann empfunden. Aus dem Augenwinkel sah sie, dass Mathias Berger ihr schon wieder diskret zuwinkte. Widerwillig nickte Melina ihm zu und wand sich mit einem bedauernden Augenaufschlag an Nodin.

»Es tut mir leid, aber ich muss Sie jetzt verlassen. Die anderen Besucher haben auch ein Recht auf mich. Es war schön Sie kennengelernt, zu haben.«

»Das verstehe ich«, erwiderte Nodin nicht gerade glücklich darüber, sie gehen zu lassen. Zärtlich hauchte er ihr zum Abschied einen Kuss auf die Hand. »Ich würde Sie morgen Abend gern zum Essen ausführen«, sagt er leise zu ihr. »Bitte nehmen Sie die Einladung an, Melina.«

»Sehr gerne«, gab sie ihm zur Antwort und schon wieder zog eine leichte Röte über ihr Gesicht.

Ein Lächeln spielte um Nodins Lippen.

»Um neunzehn Uhr werde ich Sie in der Hotellobby abholen.« 

 Die Kunsthistorikerin ging auf Mathias Berger zu, der einen Augenblick lang mit ihr sprach. Nickend wand sie sich von ihm ab, um mit den anderen Gästen ins Gespräch zu kommen. Immer wieder sah sie sich nach Nodin um, konnte ihn aber zwischen all den Gästen nicht entdecken. Ihre Gedanken schweiften an diesem Abend oft ab, sie konnte es kaum erwarten, diesen Mann wiederzusehen. Obwohl sie es nie für möglich hielt, hatte sie sich unsterblich verliebt.