© by Wolfgang N. Kraus

Der Wein und die Liebe
(aus dem Buch „Finale“)

Ein funkelnder Sternenhimmel in einer lauen Sommernacht, untermalt vom leisen Wellenglucksen des Sees im Dialog mit sanfter Bar-Piano-Musik. Die kam aus den Lautsprechern der idyllischen Taverne, auf deren Terrasse sie an einem kleinen Tisch saßen, verliebt, und wie unter einem Glassturz nur einander wahrnehmend, vom Gemurmel der wenigen anderen Gäste völlig ungestört. Vor ihnen eine Schale mit gesalzenen Erdnüssen als kleine Knabberei und zwei Gläser Rotwein mit denen sie nun anstoßen wollten auf ihr Jubiläum zur würdigen Feier von zehn glücklichen gemeinsamen Jahren. Der feine und lang klingende Ton beim Anstoßen zauberte noch ein weiteres Lächeln in ihre Gesichter bevor sie mit der üblichen Theatralik die Gläser an ihre Lippen führten: Kurz innehalten, die Farbe des Weines gegen das Licht prüfen, eine zwar ausladende, aber ruhige Schwenkbewegung in Form einer liegenden Acht, danach aufmerksames Betrachten der ölgleichen Schlieren die der Wein am Glas hinterlässt, schließlich ebenjenes zur Nase führen, riechen, beurteilen und endlich trinken. Übliches Prozedere, aber sinnlos, denn keiner der beiden war echter Kenner und es ging ja auch in keiner Weise um den Vergleich des Weines mit einem anderen. Aber so machte man es wohl eben.

Nach diesem ersten Schluck setzten beide ihre Gläser wieder ab. Sie stellte ihres vor sich auf den Tisch während er das seine mit tiefsinnigem Gestus noch wog in seiner Hand.
„Ist dieser Wein nicht so wie unsere Liebe?“, fragte er zärtlich sein Gegenüber.
„Wie unsere Liebe?“, fragte sie zurück und nahm noch einen Schluck, um so vielleicht zu erahnen, was er meinen konnte, fand aber nichts und sagte: „Wie meinst du das?“

Er richtete sich ein wenig auf, das Glas immer noch in seiner Hand wiegend, und sprach mit feierlicher Stimme vom Weinstock, der, fest verwurzelt in der Erde, Früchte trieb, die er Wind und Wetter trotzend und als Lohn dafür von der Sonne geküsst zu vollendeter Reife brachte.

Schelmisch meinte sie, dass sie diese Ähnlichkeit noch nicht gefunden habe. Denn während ihr Herz voll sei mit Liebe für ihn, wäre ihr Weinglas inzwischen leer und das sähe sie doch als dramatischen Unterschied. Außerdem müsse er sie gar nicht so tadelnd ansehen, denn schließlich habe sie erst ein Glas getrunken und lieber solle er nach-schenken. Das tat er natürlich und fuhr dann fort, noch ein bisschen theatralischer, um seine Wirkung zu erhöhen. Vom Saft aus den gepressten Trauben dozierte er, der noch ein Weilchen auf deren gemarterten Schalen ruhen durfte, bevor ihm die sorgsam und wohldosiert zugesetzte Hefe stürmisch perlendes, spritziges Leben einhauchte, das sich erst im wohligen Heim des alten Holzfasses langsam beruhigen wollte, um in dieser Umgebung mit der Zeit zu seiner Reife zu finden.

Während dieser Ausführungen hatte sie immer wieder an ihrem Glas genippt, prüfend, ob sie das Gesagte wohl würde nachvollziehen können und er hatte ihr Glas immer wieder aufgefüllt, aber ohne seine Rede zu unterbrechen. Nun, am Ende seines Vortrages wiederholte er seine Frage:
„Also, ist dieser Wein nicht so, wie unsere Liebe?“
„Ich glaube nicht“, kicherte sie und musste so richtig loslachen, als sie sein verdutztes Gesicht sah. Es fiel ihr gar nicht leicht, sich wieder zu beruhigen, und als sie es endlich geschafft hatte sagte sie zu ihm:
„Weißt du, ganz drin in mir fühle ich, dass meine Liebe zu dir viel, viel mehr zu bieten hat als diese Flasche Wein! Und ich glaube, wir sollten rasch aufbrechen von hier.“

Natürlich verstand er ihre Anspielung sofort, rief hastig nach dem Kellner und rundete beim Zahlen vielleicht ein bisschen zu sehr auf. Dafür fanden sich die beiden schon sehr bald auf dem Weg zurück in ihr Quartier. Allerdings musste er sie ein wenig stützen, was aber keinesfalls ihre Schuld sei, wie sie betonte. Mit einer Stimme, die so fest war wie es ihr Kichern eben zuließ, bestand sie darauf, dass ihr unsicherer Gang wohl an ihren Schuhen liegen musste. Die, mit diesen hohen Absätzen, die sie nur ihm zuliebe angezogen habe, erlaubten ein stabiles Gehen auf diesem gepflasterten Weg eben nicht. Von seinem liebevollen „Aber sicher!“ ein wenig provoziert wollte sie ihm den Beweis nicht schuldig bleiben. Ein kurzer Kick, und ihr rechter Schuh flog in hohem Bogen davon, ein zweiter Kick, und ihrem linken erging es nicht anders.
„Siehst du?“, rief sie lachend, „Jetzt geht es viel besser“. Mit beiden Händen umarmte sie seinen Hals, er fasste sie liebevoll um die Hüfte und solcherart gestützt verloren sie sich im Dunkel der Nacht.

Am nächsten Morgen fanden ein Wanderer und eine Joggerin die beiden Schuhe, einen am Rand des Weges, den anderen hängend auf einem Strauch. Sie tauschten einen amüsierten Blick und setzten ihre Wege wieder fort. Über die Zeit dazwischen ist nichts bekannt.