© by Michaela Lipp
Die Bank
Hier sitze ich nun und überlege erst einmal, wen ich mir wünschen soll:
Meinen älteren Sohn, der gerade ›unrund läuft‹?
Einen meiner Liebhaber? Nein, alles vergangen!
Oder doch einen Verwandten? Nein, meine Großeltern nicht, diese Zeit auf der Bank ist etwas Besonderes. Aber auch nicht Peter Alexander oder Robin Hood.
Spannend wäre für mich der Walther von der Vogelweide, aber den würde ich nicht verstehen mit seinem mittelhochdeutsch.
Nein, jetzt aber weiß ich es: Ich wünsche mir meinen Freund Glenn her. Kurz schließe ich die Augen, dann höre ich Schritte. Schwer ist es, die Augen zu öffnen, diesen Moment zu erleben. Aber Schritte? Das stimmt ja nicht. Ich reiße die Augen auf: Doch, da ist Glenn, er geht auf seinen eigenen Beinen – alleine, ohne Hilfe- auf mich zu. Aufrecht!
»Glenn« sage ich »Glenn, du hast keinen Rollstuhl?« Da lächelt er sein schiefes Lächeln, das er immer auflegte, wenn wir uns sahen.
»Meinst du echt, dort wo ich bin, fahre ich auf dem Stuhl herum? Nein, Michaela, ich kann zu Fuß gehen, überall hin, wo ich will.«
»Und heute zu mir?«
»Ja, ich habe lange auf diesen Moment gewartet, dass das hier passiert. Und ich habe dir noch jemanden mitgebracht: Mops, komm her!« Hinter Glenn stolziert ein großer weißschwarzer Kater hervor, setzt sich hin und wartet. Etwas gelangweilt sieht er aus. Ich bin verblüfft. Da sagt Mops:
»Willst du noch immer schauen, oder kannst du Glenn einmal umarmen? Er hat sich das ja gewünscht. Dein Freund war traurig, klar hat er dich weggeschickt, aber so hat er es ja nicht gemeint.«
Ich schlucke, ja – diese Worte- wenn auch von einem dicken, aggressiven Kampfkater ausgesprochen, tun gerade sehr weh. Aber ich stehe auf, gehe auf meinen Freund zu und umarme ihn.
»Du bist ja viel größer, als ich« sagt da Glenn zu mir.
»Ja« nicke ich »ja das war mir auch nicht klar, nachdem ich dich nur sitzend erlebt habe.« Jetzt setzen wir uns auf die Bank. Mops springt leichtfüßig auch hinauf und legt sich dann quer über uns beiden. Ich lächle und sage dann zu dem Kater:
»Wehe ich spüre deine Krallen!« Doch Mops schnurrt leise und sagt dann:
»Dich habe ich nur einmal gekratzt, da kannte ich dich noch nicht, aber ich habe dann immer brav auf deinem Luftbett geschlafen auf deinen Bauch, an deiner Seite, so wie bei Glenn.«
Ich wende mich meinem Freund zu:
»Glenn, ich wollte mich so gerne von dir verabschieden, aber…« Mir laufen die Tränen über die Wangen, acht oder neun Jahre lang waren wir Freunde am PC und später in der Realität geworden. Glenn trocknet mir die Tränen, so wie ich ihm früher bei den Besuchen das Gesicht abgetupft habe.
»Meine Feeoline, ich wollte ohne dich sein, dich nicht belasten. Schon beim ersten Koma, als du damals mit deinem Mann da warst, war es komisch. Du hast mich geweckt, nur wegen dir bin ich nochmal aufgewacht, ich hatte die Wahl, zurück zu dir oder die Türe ins Licht. Ich bin nochmal zurück, obwohl ich wusste, dass dieses Leben in diesen missgestalteten Körper so schwer sein wird. Ich wollte dich noch einmal sehen, um dich dann zu verabschieden zu können. Ich habe das mir Wichtigste noch tun können. Aber du nicht! Mops hat auf mich gewartet und gesagt, ich soll nicht egoistisch sein. Jetzt sagen wir beide uns ›Adieu‹. Schön dass es uns beide so gegeben hat. Du hast mir das Gefühl gegeben, ein normaler Mensch zu sein. Kein Krüppel, der immer weniger tun kann, immer weniger Muskeln hat. Danke dir dafür.«
Ich betrachte Glenn, seinen liebevollen Blick, spüre ihn auf meinem Gesicht.
»57 Herzen« er lächelt und hält meine Hand fest. Ich lehne mich an meinen zerbrechlichen Freund. Er schaut mich irgendwann an.
»Ich muss los, meine Feeoline. Danke Dir. Lebe wohl. Du hast übrigens einen sehr guten Mann in Willi gefunden.«
Glenn steht auf, im gleichen Moment springt Mops leichtfüßig wie ein kleiner junger Kater von uns herunter. Glenn dreht sich nochmal um, Mops an seiner Seite. Dann verschwinden die zwei und ich bleibe zurück. Beruhigt und wissend, alles ist ausgesprochen. Ein paar Tränen dürfen noch herunter laufen, aber das sind die Tränen, die ausdrücken, was ich für ein Glück mit diesem Freund hatte.
Liebe Michi, mir fällt nur mehr „wow“ ein, sonst bin ich wie immer sprachlos wegen deiner berührenden Geschichten. lg Margit