© Michaela Lipp

 

Das erste Haustier, das meine Kinder bekamen, war ein Goldhamster. Sie nannten ihn Alex. Ein lieber, schon von Anfang an handzahmer Kerl. Ich wusste, als sie ein Haustier wollten, dass diese Begeisterung temporär sein wird. Dass mir dieser Hamster als mein eigenes Tierchen bleiben wird. Ein Hamster ist relativ pflegeleicht, leider auch nachtaktiv. Aber er war sehr schlau. Wenn die Kinder aus dem Haus waren, in der Schule, dann kam der kleine Kerl raus, machte Männchen in seinem Käfig und bettelte um Futter. Ein Stück Apfel, eine Karotte zu seinem Trockenfutter und er war zufrieden. Ein paar Streicheleinheiten, dann zog er sich wieder zurück. Er wurde sehr alt. Fast 4 Jahre war er bei uns. Die jungen Herrchen kümmerten sich nach ein paar Wochen nicht mehr um Alex. Er starb irgendwann, still, so wie er gelebt hatte. Er war mein Hamster bis zum Schluss.

 

Dann wollte ich wieder ein Haustier. Wir hatten ein großes Haus, einen großen Hof, so dass ein Hund das ideale Tier gewesen wäre. Ich fragte meine Familie, diskutierte und redete mit ihnen. Keiner meiner Männer wollte mich unterstützen. Nachdem der Vater „Nein, nicht mit meiner Hilfe!“ abwinkte, waren die teilweise bequemen Söhne natürlich auf seiner Seite. Also keinen Hund, keine Katze, keinen Hamster. Aber damit wollte ich mich nicht zufrieden geben. Ich besprach mich mit einer Freundin. Sie ist eine Pferdefrau. Einer Pferdefrau gehen Tiere über jeden und über alles, das ist meine Meinung.

Sie hatte sofort eine Idee. Einen Tag später bekam ich eine Telefonnummer von ihr und die Aufforderung dort anzurufen. Ich stellte meine Männer vor die Wahl, entweder ein Hund mit allen Aufgaben oder eine Katze, die sehr selbstständig war, nur ab und zu füttern und natürlich Kuschelzeit brauchte.

Dann war schnell entschieden. Am übernächsten Tag bekamen wir eine gebrauchte Katze. Shiva war ihr Name. Sie war eine Freigängerin gewesen, aber ihr Frauchen wohnte nun in einer Wohnung in der Stadt. Shiva weinte lautstark, weil sie nicht hinaus durfte. Schweren Herzens gab die Frau nun ihre Katze ab. Zu uns.

Bepackt mit Katze in der geschenkten Transportbox, einer kleinen Katzendecke, jede Menge Spielzeug, ein Katzenklo und ihre massigen Futtervorräte samt Schüsseln, brachte ich sie in unser zu Hause.

Im Wohnzimmer öffnete ich die Türe ihrer ungeliebten Transportbox. Lockte sie heraus. Kaum zu glauben, dieses Tier war zwar schon ein paar Jahre alt, aber sie hatte den Körperbau einer Jungkatze. Dünn, hochbeinig, aber sehr schnell. Drei Schritte auf dem Fliesenboden, dann war sie weg. Hinterm Sofa verschwunden.

Wir ließen sie in Ruhe.

Stunden später war sie noch hinter dem Sofa. Ich holte sie nach vorne, nahm sie auf den Arm und zeigte ihr, wo ihr Futter steht, ihr Kistchen, ihr Wasser. Stellte sie auf den Boden, so dass sie alles beschnuppern konnte. Phu, jetzt erst sah ich, dass die Katze ein Riss am Ohr hatte. Also beschädigt war sie auch noch.

Shiva war eine Sekunde später wieder hinterm Sofa, so wusste ich, sie kennt die Umgebung.

Die Kinder mussten sie in Ruhe lassen, und meinem Mann war das Tier sowieso egal.

In der Nacht weinte sie wieder, ich ging runter und tröstete sie, legte mich aufs Sofa und nahm sie auf den Arm. Aber hinter dem Sofa war ihr Platz. Drei Tage lang wohnte sie dort, weinte dort. Dann kam sie langsam nach vorne. Schritt für Schritt. Sie war schreckhaft, mochte keine lauten Geräusche, der Staubsauger war ihr Feind, ach es war mühsam mit ihr. Tagelang kümmerte ich mich um sie. Streichelte sie, aber kaum ging die Türe auf, kaum kam irgendwer nach Hause, war sie wieder in ihrer Zuflucht. Hinterm Sofa. Dort fand ich auch ihr Spielzeug, das sie sich nachts dorthin geholt hatte.

Also diese gebrauchte, beschädigte Katze war anstrengend. Es dauerte Wochen, bis sie sich im Erdgeschoss bewegte. Schön war es, als ich Timo sah, wie er und sie auf dem Sofa lagen und fernsahen. Ja, sie wickelte langsam alle Männer in der Familie um die kleine Kralle. Auch merkte ich, dass sie komischerweise viel Futter brauchte. Ich bekam raus, dass sie morgens den ersten, der runter kam, um Frühstück anbettelte, dann mich und später die Kinder auch noch, und wir Dummköpfe waren ja so tierlieb, dass wir ihr jeder für sich etwas Gutes tun wollten. Wir machten dann aus, dass nur noch einmal am Tag Nassfutter gefüttert wurde. Die junge Dame war sehr wählerisch. Manches Futter war so lecker, dass ich dann dankbarerweise gleich fünf Päckchen kaufte (weil sie nicht alles mochte und ich froh war), dann aber mochte sie das Futter am übernächsten Tag nicht mehr, sah es nicht mal mehr mit ihrem Po an. Sie roch daran, sah mich vorwurfsvoll an und meinte lautstark: „Igitt, das kann ich doch nicht fressen, das schmeckt doch nicht!“ Sprach’s, und schaute den Futtertrog nicht mehr an.

Ja, es war schwer, diese Katze satt zu bekommen. Sie hatte Angst vor allem, was sich bewegte. Eine Spinne brachte sie an den Rand der Panik. Damit spielen ging nicht, die bewegte sich ja.

Ich nahm sie immer mit nach draußen, wenn ich Wäsche auf hing oder irgendwas außen tat. Das gefiel ihr gut. So begann sie, sich auf der Terrasse einen Liegeplatz zu suchen. Sie hatte bald einen Stuhl mit ihrer Decke drauf und lag gerne in der Sonne. Die Vögel rundherum mochten sie auch, da sie niemals jagte, eher Angst hatte. Ihre Decke war begehrt im Frühling. Es waren immer ihre Haare drauf. Schnabelweise wurden die Haare dort von den Vögeln herausgezupft. Wahrscheinlich waren alle Vogelnester rundherum dick mit Katzenhaaren ausgepolstert.

Ewald, mein Mann, wollte ihr etwas Gutes tun und baute eine Katzenklappe ein. Er legte sich hin und schob die Katze immer wieder durch. Aber das machte sie nicht gerne. Also wurde die Klappe mit Klebeband hochgebunden. So kam sie dann ohne Hindernis hinein oder hinaus. Aber sie brachte die Klappe nicht auf, als wir sie wieder runterließen. Sie war einfach zu vorsichtig, es ging nicht. Ewald baute danach den Schließmagneten aus, so dass die Klappe wirklich nur ein leichter Windschutz war. Auch jetzt brachte meine Katze diese Klappe nur mit viel Energie auf. Aber sie schaffte es. Bald ging sie Tag und Nacht nach draußen.

 

Im zweiten Jahr bei uns zuhause lernte die Katze auch das Obergeschoss kennen. Da waren zwei Kinderzimmer. Herrlich, bei Carsten war das spannend, weil unter dem Bett immer Staub war. Ich war da oben nicht für Sauberkeit zuständig, wenn die Zimmer nicht aufgeräumt waren. Die Katze strich erst mal durch den Staub, und dann machte sie wunderschöne Staubabdrücke auf das schwarze Leintuch. Sie bekam bald Zimmerverbot. Carsten schloss die Türe immer, aber wenn er die Türe vergaß, dann war sein Ärger groß. Natürlich passte sie auch nachts auf, wenn er nur kurz auf dem Klo war und die Türe offen ließ. Dann war sie natürlich in seinem Bett. Es war immer ein wenig ein Hase und Igelspiel zwischen den beiden.

 

Klar schlief sie meistens unten, aber wenn es Gewitter gab, war diese Angstkatze in meinem Bett zwischen meinen Beinen, auf meinem Bauch oder auf meiner Brust. In meinem Arm geschmiegt wartete sie ab, dass es aufhörte zu blitzen und donnern und zu regnen.

Manchmal wurde im unteren Stockwerk auch gestritten, wenn ihr mal wieder ein Kater ins Haus gefolgt war. Oft waren Haare, Blut und sonstiger Schmutz herumgelegen. Auch Morgengaben wie tote Mäuse. Shiva verachtete das alles nur. Sie kam ängstlich zu mir ins Bett, und wir mussten nur einmal zum Arzt mit ihr, weil eine Kralle weg war.

Einmal war sie auch bei mir, als ich auf der Treppe ein dumpfes Trappeln hörte. Shiva war ja eine kleine, zierliche Katze. Sie machte ja nur so ein leises Trippeln. Ich schaltete das Licht an, ein großer Kater kam zu uns ins Schlafzimmer. Er maunzte herzzerreißend und bettelte, dass Shiva zum Spielen aus dem Bett kommt. Ach ich bat ihn, zu gehen, drohte mit einen Hausschuh. Warf ihn in seine Richtung und traf ihn dummerweise am Kopf. Ich verjagte den von Liebeskummer getriebenen Kater, und meine Katze ging diese Nacht nicht mehr aus meinem Bett.

Als ich vor Jahren die Familie verlassen musste, ließ ich die Katze dort. Sie war dort Zuhause, wie die Kinder, und es brach mir beinahe das Herz. Kinder und Katze zurückzulassen war so schwer, so traurig.

Vor ein paar Jahren verschwand sie spurlos. Ich wusste nicht, was losgewesen war, wahrscheinlich hatte sie sich zum Sterben irgendwohin versteckt.

Sie war 17 oder 18 Jahre alt geworden.

 

Shiva, du warst mein Quell der Ruhe.