© Michaela Lipp

 

Mit Bauchweh wache ich auf: „Mama, ich bin krank!“ Aber Mama lacht: „Heute ist der Mathe Test, du bist nicht krank, du gehst in die Schule.“ Es fällt mir wieder ein, heute ist der Test mit der Quadratwurzel. Gestern habe ich anstatt zu lernen Dick und Doof im Fernsehen angesehen. Natürlich heimlich von der Treppe aus, so dass meine Eltern nichts gemerkt haben. Immer, wenn es lustig war, habe ich mir auf die Faust gebissen, dass niemand mein Lachen gehört hat. Die Faust ist heute ganz blau und rot und hat viele Zahnabdrücke.

„Aber Mama, ich habe immer noch Bauchweh.“ Jammere ich. Sie ist unerbittlich: „Nix da, du gehst. Raus aus dem Bett, Zähne putzen, waschen, kämmen und anziehen.“ Das Anziehen ist so schwer, ich bekomme die Hose kaum angezogen, und schlecht ist mir auch. Ich sage schon gar nichts mehr. Mama denkt eh schon, ich bin ein Schauspieler. Beim Zähneputzen übergebe ich mich. Blöde. Dabei gehe ich doch gerne in die Schule. Mathe macht Spaß. Die Quadratwurzel auszurechnen ist sehr anspruchsvoll, aber ich glaube, ich habe den Bogen raus, hab es schnell kapiert, wie immer bei Mathematik.

Ich gehe zum Bus, mein Frühstück habe ich eingepackt, ich wollte nichts essen. Alles im Rucksack. Jetzt geht es los. Der Mathe- Test ist in der ersten Stunde. Ich habe noch mehr Schmerzen im Bauch. Meine Stirn ist schon nassgeschwitzt, Gummibeine habe ich auch.

Der Lehrer kommt ins Zimmer und teilt die Aufgaben aus. Verkehrt herum müssen wir sie hinlegen. Als alle ihre Blätter haben, dürfen wir sie umdrehen. Er fragt mich noch: „Ist alles gut bei dir? Du siehst so blass aus?“ Ich winke ab, will diesen verfluchten Test hinter mich bekommen. Ich dreh das Blatt um und sehe die erste Aufgabe: Die Quadratwurzel von 1296. Die Zahlen hüpfen auf einmal auf dem Blatt herum. Die Eins und die Zwei spielen nachlaufen und die Sechs und die Neun machen Purzelbäume und dann:

SCHWARZ

Ich wache liegend auf. Mein Bauch tut weh. Liege ich in meinem Bett, hatte ich einen blöden Albtraum? Ich drehe den Kopf, nein ich bin nicht zuhause. Ich will aufstehen, aber das tut auch weh. Wo bin ich? Ich drehe den Kopf in die andere Richtung, da sitzt Mama. Ich frage sie: „36?“ Sie schaut mich an. Sie hat geweint. Dann schüttelt sie den Kopf. Neben ihr sitzt Papa, auch der schaut sehr komisch, auch der hat Tränen in den Augen, ich glaube, das sah ich noch nie bei ihm. Mama sagt, immer noch kopfschüttelnd: „Was willst du mit sechsunddreißig? Du bist mit einem Blinddarmdurchbruch heute Morgen ins Krankenhaus gekommen. Schier wärst du gestorben.“

 

„Die Quadratwurzel aus 1296 ist 36!“