© Sabine Iber

Großmutter
Wie aufgeregt ich bin. Bestimmt schon gefühlte zehnmal muss ich auf die Toilette, bevor es wirklich losgeht.
Was für ein wunderbares Geschenk zu meinem siebzigsten Geburtstag. Mein Gott, dass ich einmal so alt werde, hätte ich auch nie gedacht und dass ich mittlerweile schon 14 Jahre Witwe bin, dabei war mein Mann immer der fittere von uns. Mit Tochter und Enkelin nach Paris. Dass sie sich die Zeit für mich nehmen, dabei ist ja Samstag immer der wichtigste Tag im Geschäft. Und auch noch Paris! Es hätte auch Buxtehude sein können, Hauptsache Zeit mit ihnen.

Im Taxi plaudert mein Kind mit dem Taxifahrer, ach es klingt so schön, ich bin ganz stolz, und mir wird mal wieder bewusst, was ich als Kind alles versäumt habe, na wir mussten halt mit dreizehn schon arbeiten, da hatte man keine Zeit zum Lernen. Und wir Flüchtlingskinder schon gar nicht. Arbeiten war die Devise, und nachts, wenn meine Mutter vom Markt kam und nicht alles piccobello war, raus aufs Waschbrett mit nackten Knien. Trotz allem hatten wir es schön, obwohl meine Tochter mir immer vorwirft, ich würde alles verklären. Was allerdings stimmt, so ein inniges Verhältnis wie meine zwei miteinander haben, hatte ich nie zu meiner Mutter. Sie hängen aneinander wie die Kletten.
Klar, dass sie im Hotelzimmer im Ehebett schlafen. Mit einer Ruhe liegen sie wie die Löffelchen im Bett, dabei will ich doch jetzt was von der Stadt sehen. Schlafen kann man schließlich auch daheim, da kostet es nichts, aber , nachdem ich sie aufgescheucht habe, gibt es tatsächlich ein Programm. Eine wunderschöne Stadt. Und wie sicher sich mein Kind überall durchschlägt. Warum sie nur in der Schule immer so faul war. Und unser Paulinchen, herrgott, wie die Mutter. Die zwei! Können sich die ganze Zeit unterhalten, über das gleiche begeistern, amüsieren und beobachten. Fotografieren den Müll, der da am Rande des Brückenpfeilers liegt oder die armen Bettler, die da unten sitzen, anstatt die herrliche Kirche.
Abends bin ich dann doch erschöpft vom vielen Laufen und will mich ein bisschen hinlegen. Als ich aufwache bin ich allein.
Sind sie ausgeflogen, meine Vögelchen und haben mir einen Zettel hinterlassen. „Liebe Öms, du hast so herrlich geschnarcht. …Wir sind gegenüber in dem Café. Komm nach, wenn du wach bist.
Ich und schnarchen? Lassen sie mich einfach allein, waren wohl froh, das Loch erwischt zu haben, na gut, zieh ich mich mal an und tappel zu ihnen. Leicht verärgert, warum eigentlich, zieh ich mich an. Vielleicht plagt mich doch manchmal ein kleines Bisschen der Neid auf das enge Verhältnis der beiden. Eines, das ich weder zu meiner Mutter noch zu meiner Tochter je hatte. Damals war Krieg, alles hatten wir verloren, einschließlich meinen Vater. Sich um Gefühle oder Bedürfnisse zu kümmern, dafür war einfach keine Zeit. Und bei meiner Tochter hatte ich auch keine Zeit. Immer im Geschäft, meine andere Tochter, geistig behindert, wenn ich Zeit hatte, galt die ihr.

Ach, da drüben sitzen sie ja, meine zwei. Natürlich lachend, mit einem interessant aussehenden Mann im Gespräch. Sie sind ein Geschenk, dieses Wochenende ist ein Geschenk. Alles ist gut.

 

Tochter
Frauenpower
Geilo! Ein Wochenende in Paris ! Ohne Männer! Nur Öms, Mama und ich. …
Die Stadt ist der Hammer, außerdem treffen wir dort Maurice, der als Austauschschüler an unserer Schule war. Wenn ich Mama so im Taxi plaudern höre, ärgere ich mich kurz über die Entscheidung, russisch zu lernen. … Das Hotelzimmer ist klein, aber ich schlaf mit Mama im Ehebett, das ist schon mal super. Kuscheln mit ihr ist herrlich, und ich hab sie ganz für mich. Dieses frühe Aufstehen wegen Öms ist ätzend.
Immer braucht sie einen Plan, nur nie die Zeit verplempern. Soll sie doch mal ein bisschen runterkommen, aber wenn ich sie dann so vor uns hermarschieren sehe, wird mir wieder bewusst, was sie für eine tolle Powerfrau ist. Wir sind überhaupt ein Gespann, wir drei!
Dieses eine Foto ist genial. Champs Elysee. Öms vorneweg, Hände auf dem Rücken, Mama hinterher, auch die Hände auf dem Rücken. Wie ähnlich sie sich sind, obwohl Mama das nie hören will.
Ich bin ziemlich aufgeregt, dass wir Maurice am Eiffelturm treffen. Und als ich ihn dann so mit seinen schwarzen Locken sehe, wirklich blöd, dass ich kein französisch spreche. Dafür unterhält sich Mama sehr angeregt mit ihm und kommt mit dem Übersetzen nicht nach. Diese Stadt ist so schön, lebendig. Tolle Menschen, und die Frauen, alle sehr chic, klassisch, feminin ohne überladen zu wirken. Wir fallen schon ein bisschen touristisch unangenehm auf in unseren bequemen Turnschuhen. Obwohl die Männer auch gucken. Meint Mama jedenfalls. Wieso gucken die mir hinterher, muss ich mal beobachten.
Stimmt, der eine am Nachbartisch schaute wirklich die ganze Zeit rüber. Er kam dann und hat uns eine Zeichnung geschenkt. Mama und ich, ziemlich gut getroffen.
Es ist ja mit meinen zweien wirklich meistens lustig, aber manchmal nervt Oma mit ihrem Aktionismus. Immerzu will sie alles sehen, wissen, und ruhig sitzen, Menschen beobachten kann sie nie lange. Das kann ich nur mit meiner Mama. Kein Wunder, dass die zwei so oft gestritten haben. Ein Wunder aber, dass wir alle so herzhaft viel lachen können.
Und, supercool, ich bekam meine ersten High Heels! Das Laufen muss ich noch lernen, nichts Peinlicheres wenn man in High Heels nicht laufen kann wie Carry in ihren Manolos, aber das schaff ich.
Oma hat sich natürlich nichts gekauft, und Mama freut sich über ihren pinkfarbenen Haarreif mit Paillettenmickymausohren. Sie trägt den jetzt immer beim Putzen und meint, man putzt da bedeutend besser.
Ich liebe meine Familie!

 

 

Mutter
High Heels in Paris
Drei Tage Paris. Ein geniales Geburtstagsgeschenk zum siebzigsten meiner Muttl. Nur wir drei! Paris, die Stadt der Liebenden, mit herrlich verrückten Jugenderinnerungen erschien mir gerade richtig für uns. Allein der Flug war schon total amüsant und der sympathische Taxifahrer, sie machen einem das Ankommen in anderen Städten um so vieles netter, plauderte munter drauf los. Mit einem perfekten Gemisch aus Fränkisch-Französisch beeindruckte ich meine beiden und hinterließ fürs erste den Eindruck, dass in der Schule doch nicht alles umsonst gewesen war. Wie gut, dass beide kein Französisch sprachen. Das Hotelzimmer war klein, aber gemütlich und wir wollten ja sowieso nur drin schlafen.
Auf uns warteten zweieinhalb Tage Sehenswürdigkeiten, gutes Essen, freundliche Franzosen und jede Menge Spaß.
Meine Mutter, eher vom Typ, „was machen wir heute, wie ist der Plan?“ und leicht generalstabsmäßig und meine Tochter und ich, eher so, gemütlich, genießen, beobachten, sich treiben lassen und mal sehen was kommt.
Wie gut, dass das Rahmenprogramm stand.
Viel Laufen, Besichtigen, gut Essen. Klassisch, Eiffelturm, Notredam, Montmartre, Champs Elysees auf der einen Seite rauf, Muttl vorneweg, Hände auf dem Rücken, wie Beethoven wir hinterher, unbedingt in den Macaron Laden rein, drei herrlich pastellige, aber völlig überbewertete, sündhaft teure Macarons gekauft, auf der anderen Seite der Champs Elysee wieder runter. … Souvenirs kaufen. Mit meiner Tochter ein stundenlanges, herrliches Erlebnis.
Mit meiner Muttl, typisch Kriegsgeneration “wir ham ja alles“ nach kurzer Zeit, eher anstrengend. Gott sei Dank stand in der Ecke ein bequemer Beobachterstuhl auf den wir sie dann platziert haben.
Ein junges Mädchen kann ja einen Sack überstülpen und sieht noch toll aus. Was hatten wir Spaß mit all dem unnützen, wunderbaren cocolores. Voller Begeisterung kam sie plötzlich mit weiß-schwarzen High Heels in Lack. Allein die Vorstellung darauf zu stehen, geschweige denn darin zu laufen bereitet mir Gelenksschmerzen. Sie sahen, dank der Schnürsenkel nicht billig, sondern richtig rattenscharf aus, und auch Muttl, die in ihrer Jugend, bevor Hüfte, Knie und Hallux ihr einen Strich durch die Rechnung gemacht hatten, begeisterte Absatzträgerin war, hatte keinerlei Einwände beim Kauf.
Sie waren vom Preis her so, dass man sie sich als Erinnerung an das Wochenende in Paris auch schön im Regal vorstellen konnte. Der Anblick, als meine Tochter freudestrahlend mit diesen Ungetümen an den Füssen aus der Kabine kam, war unvergesslich. Mit nur fünfzehn cm am Fuß wird aus dem Kind eine Frau, der Hammer!
Sie strahlte wie ein Honigkuchenpferd, und die Überraschung war groß, als sie abends, nach einem wirklich anstrengenden Lauftag zum Essen diese Schuhe anzog. Ihre ersten Schritte vom Aufzug zur Straße glichen einem Fohlen, kurz nach der Geburt.
Wir schwankten die Rue entlang, und von französischer Anmut hatte das wenig. Ich bin mir sicher, bei mir wäre der Absatz nach ein paar Metern abgebrochen, aber unter dem Elfengewicht hatte er es leichter. Wir hatten noch unvergessliche Tage in Paris, allerdings in Turnschuhen.
Zuhause dachte ich gar nicht mehr an die Schuhe.
Umso größer war die Überraschung, als meine Tochter am ersten Schultag die High Heels trug.
Einen guten Geschmack hatte sie schon immer. Nicht gerade gewöhnlich, aber in seiner Ungewöhnlichkeit nie unschön. Da kam sie also mit ihren schwarz-weißen Lack-Highheels, einer schwarzen Leggings und einem übergroßen schwarzen Pulli.
Ich verkniff mir jeden Kommentar. Sowas erledigt sich von selbst, dachte ich mir. Waldorfschule, Birkenstock, dicke Socken, Schotterweg bis zum herrlichen Steinergebäude.
Wie sie so aus dem Auto stieg und über den Schotter schwebte (es sah mittlerweile richtig gut aus, sie musste geübt haben) spürte ich ihn wieder, diesen übergroßen, warmen Kloss, so mitten im Herz, dieses anschwellende Mutterglück. Die Schuhe stehen mittlerweile wirklich im Schrank, bei einem der Absatz abgebrochen, die Schnürsenkel zerfranst.

Und ein paar Mal schon wurde ich angesprochen. „Sie sind doch die Mutter von Paulina, die immer die hohen Schuhe anhatte?“