© Michaela Lipp

Ich bin ein Stück Fleisch! Ein Objekt der Begierde. Nein, nicht das was sie jetzt denken. Nein ich bin ein Schwein. Also ein Stück vom Schwein. Eine Schweinelende. In Österreich ein Schweinslungenbraten.
Bioqualität und warte nun auf einen Käufer, der mich begehrt. Ich liege, sorgfältig eingehüllt in einem klinisch reinen durchsichtigen Schlafrock, in einer Kühltheke. Ein wunderbares Licht beleuchtet meinen Körper. Ich bin schlank und rank, und meine Form sollte doch jeden anlocken.
Doch was ist das? Die kaufen diese runden Bratenstücke, und mich lassen sie liegen. Hei, hallo ich bin mager, bestimmt nicht so kalorienhaltig wie die Nacken-Steaks.
Jede Minute räkle ich mich verführerisch im Licht der Kühltheke. Aber irgendwie will mich keiner. Woran liegt es denn? Aber sagt nicht, dass ich zu teuer bin. Ey- Qualität hat ihren Preis, und ich bin jeden Cent wert.
Es wird Abend, das Licht ist aus. Neben mir liegt niemand mehr, ich habe so viel Platz, wie den ganzen Tag noch nicht. Aber jetzt bin ich müde vom Räkeln und vom Nichtstun. Na gut, ich schlafe ein wenig, morgen ist auch noch ein Tag!

Hier ist es so herrlich kühl, zwei Grad. Kein Kühlschrank kann mir das bieten.

Das Licht geht an. Ich fühle Bewegungen um mich herum. Wieder ist ein Tag des Verkaufes. Ich darf oben auf liegen, links sind die Steaks und rechts die Bratenstücke. Alle rund und dick. Und ich bin schlank, rank, verspreche einen Genuss der besonderen Art. Ich träume schon von Pfeffersoße und Gemüsebeilage. Ach schön …
Da fasst mich eine Hand an. Aber es ist kein erwachsener Mensch, nein ein Kind. Nein, nein, Finger weg. Er schreit laut: „Mama, Mamaaaa! Da ist eine Schlange!“, und rennt mit mir auf eine erwachsene Frau zu. Diese kreischt erst Mal auf und nimmt mich dann mit spitzen Fingern dem Knaben weg. „Das ist ein Stück Schweinefleisch, keine Schlange. Woher hast du das?“ Der Junge deutet ungefähr in Richtung Kühltruhe. Die Mutter legt mich jetzt einfach ab, und jetzt liege ich auf Wurstscheiben. Die sind zwar auch eingepackt, aber ich höre ihre Worte: „Weg mit dir, du rohes Stück Fleisch!“ „Geh runter von mir, man sieht mich nicht!“

Wieder werde ich herumgestoßen von Menschen, die Wurst wollen, aber keinen Schweinelungenbraten.

Die Rettung naht, eine Fleischereiverkäuferin sieht mich und nimmt mich hoch. Sie sieht mich an, ganz genau. Ich bin etwas schüchtern, warum ist die so nahe mit den Augen bei mir? Aber sie liest scheinbar das Etikett.
Sie trägt mich weg von den dummen Würstchen. Die sind ausgekocht und ganz schön frech.

Ah, jetzt darf ich wieder in meine eigene Kühltheke. Aber was machen die mit mir? Ich komme in eine andere Theke. Hier ist ein Durcheinander. Und dann klebt sie auch noch ein rundes rotes Schild auf meine Verpackung: 30% billiger, Ware in Ordnung.
Nein! Ich werde verramscht. Das darf doch nicht wahr sein! Ich edles Stück Schweinelungenbraten bin in der Wühlkiste gelangt. Ach, jetzt ist mir alles egal.
Dann fühle ich Finger an mir. Weiche, warme Finger. Aufmerksam schaue ich, wer das jetzt wieder ist. Eine Frau nimmt mich hoch. Sie hat ein freundliches Gesicht, warme Augen und lächelt mich an.

Sie sagt zu ihrem Partner: „Schau, den nehmen wir mit. Wir essen heute Schweinefilet vom Grill. Magst du das auch?“ Er nickt und lächelt sie an: „Klar meine geliebte Ehefrau, alles was du magst, mag ich auch.“
Ich werde vorsichtig aus der Kühltheke genommen und gekauft.

Jetzt weiß ich, alles wird gut!