© Wilhelm Maria Lipp

Was ist da los? Von überall her tönt es in meinen Kopf: „Kauf mich! Nimm mich mit! Mit mir kannst du reiten und schwimmen!“
Ja, ich bin einkaufen. Im Supermarkt, wo ich all das finden kann, was auf meinem Zettel steht: Brot, Milch, Aufstrich, Glühbirnen, Batterien, Waschmittel, ein Tapetenmesser und ein paar Kekse für die Tante, die uns demnächst besuchen wird.
Eigentlich könnte es ein ganz normaler Einkaufstag sein. Wie jede Woche mindestens einmal bin ich im Supermarkt, aber diesmal höre ich die Stimmen im Kopf. Ich bleibe stehen, damit die Geräusche des Einkaufswagens nicht stören können. Ist das Einbildung? Bin ich dermaßen von der Werbung durchdrungen, dass ich mir diese Stimmen einbilde? – NEIN! Sie sind WIRKLICH da! Ich höre sie ganz deutlich. Allerdings ist es ein Stimmengewirr.

„Nimm mich mit, kauf Creamy Snacks!“, höre ich. Was bitte sind Creamy Snacks? Ja, ich soll Kekse einkaufen, aber sind Creamy Snacks Kekse? Ich schau mich um. Das ist doch Katzenfutter! Was soll ich mit Katzenfutter? Wir haben keine Katze, auch unsere Tante ist ohne Haustier. Wenn die Testesser suchen, dann meinen sie sicher Katzen und nicht mich. Zwar haben einmal meine Schwestern gesagt, als ich aus dem gemeinsamen Haushalt auszog, jetzt könnten sie ein Schwein durchfüttern, aber Katzenfutter habe ich bisher nie gekostet. Den Gang verlasse ich rasch.

„Kaufe mich! Probiere mich aus! Koste mich!“ Schon wieder reizt mich ein Angebot. Diesmal ist es sogar wirklich verlockend. Eine ganz spezielle Käsesorte, die der Schärdinand immer stibitzt, versucht sich mir schmackhaft zu machen. „Sei schneller als der Schärdinand!“ – Warum eigentlich nicht. Der Käse steht zwar nicht am Einkaufszettel, aber Käse kennt keine Tageszeit. Den könnte ich wirklich mitnehmen.

Brot, ich brauche Brot! Wo liegt es? Ah, dort bei der Backbox. Ja, die Backbox ist eine neue Errungenschaft im Supermarkt. Laufend gibt es frisch gebackene Ware. „Du magst doch Nüsse! Probier doch einmal das Nussbrot hier!“, schon wieder ist es laut in mir. „Vollkorn! Hol dir das Vollkornbrot! Nein, nimm mich, ich bin aus reinem Roggenmehl! Tu etwas für deine Gesundheit!“ „Ha, Roggenbrot und gesund? – Pass auf und schau auf die Inhaltsstoffe, da ist viel Malz drinnen, ungesunder Geschmackverstärker, damit es dunkel aussieht. Da bist du gesünder dran, wenn du mich, das ehrliche Nussbrot nimmst!“ – Was soll ich denn nun kaufen? Ich werde ganz irre. Ach, ich nehme das Bauernbrot von gestern aus der Schütte. Billiger geht es kaum – und Brot ist Brot. Außerdem schmeckt Frischbrot viel zu gut, das ist eher aufgebraucht. – So hab ich den lauten Stimmen ein Schnippchen geschlagen und trotzdem Brot gekauft.
Milch soll ich noch holen. In diesem Gang wird es ruhiger sein. – Irrtum. Gibt es das wirklich? Was bitte ist eine Heumilch frisch vom Bauern aus der Region?
Einen Liter Milch soll ich kaufen. Welche Milch? Fett? Halbfett? H-Milch? Frischmilch? Heumilch? Aus der Region oder wieder die vom Schärdinand? Nein, die kommt aus Oberösterreich. Die hat einen weiten Weg hinter sich. – Die Stimmen werden wieder lauter. – Lasst mich in Ruhe! Bitte! Ich möchte doch nur mit dem Einkaufswagen durch die Regalstraßen gehen und das mitnehmen, was am Zettel steht.

„Komm und hol mich! Mit mir kannst du reiten und schwimmen!“ – Schwimmen kann ich schon, aber geritten bin ich noch nie. Wo ist also diese Wunderware? – Hygieneartikel für die Frau? Tampons? – Wieso kann ich damit reiten? – Lasst mich zufrieden!

Ich flüchte mich zur Kasse, ich weiß, dass noch einiges fehlt, aber ich kann nicht mehr. Es ist zu laut. Bei der Kasse wird hoffentlich Stille sein.
Gefehlt. Hier geht es erst recht zu. „Probier mich! Die zarteste Versuchung seit es Schokolade gibt!“, „Die wahrscheinlich längste Praline der Welt“, „Trink ein Kaiser, bist ein Kaiser!“, „Vergiss nicht auf die Gummiringe!“, „Hast du noch Streifhölzer daheim?“, „Frischer Atem – Bonbons gegen Mundgeruch!“, „Sei gerüstet mit Durex! Unvergessliche Erlebnisse, einzigartiger Schutz, mehr Spaß am Sex!“. – Ruhe bitte! Ich schalte meine Ohren auf Durchzug, ich will nur noch zahlen und dann raus aus diesem Einkaufstempel.

„Darf ich Ihnen noch die Werbezeitung für diesen Monat mitgeben? Und am Kassenbon hier ist ein Gutschein für Ihren nächsten Einkauf!“, so verabschiedet sich die Kassierin von mir. Endlich draußen.

„Aktionswochen für Kaltprodukte“, höre ich noch im Wegfahren. „Ab morgen gibt es alles zum Grillen in unseren Frischeregalen! Kommen Sie bald wieder!“