© by Ernestine Gira

Die Weinverkostung

 Ein Mensch, der liebt den Wein
will auch als Kenner jemand sein,
darum hält er hoch sein Glas,
und sucht darin nach „Veritas“.
Gilt‘s doch als äußerst schick,
mit der Hight-Society-Clique,
zu verkosten in des Winzers Keller,
vom Zweigelt bis zum Muskateller.
Erst lang das Glas er schwenkt,
dabei er drin die Nas‘ versenkt,
danach die Farb‘ er kontrolliert
und den Geruch erneut studiert.
Da wird gekostet und geschmeckt,
was der Geschmacksnerv nun entdeckt,
dann wird die Probe ausgespuckt,
wenn sie schmeckt, sogar geschluckt.
Jetzt ist der Höhepunkt erreicht,
wo der Mensch zuerst erbleicht,
eh‘ er salbungsvoll ermittelt,
was ihm gefällt und er bekrittelt.
Geschmack und Säure wunderbar,
der Abgang lang und reif, doch klar,
schmeckt er auch – ist nicht zu glauben –
tatsächlich noch nach Trauben.
Je länger die Verkostung dauert,
desto mehr am Gaumen lauert,
ein Chaos in des Menschen Mund,
der auch für‘n Kopf ist ungesund.
Schmeckt der Wein dann sauer,
ist es höchste Zeit für‘n Hauer,
dass er heimschickt das Verkost-Gesicht,
weil dieses schon die Wahrheit spricht!