© by Rena Schandl

 

So runden kann nur das Leben!

             Noch nie hat sich ein Stück Gold so weich angefühlt. Kein Ring ist je geschmeidiger über meinen Finger gerutscht, nicht zu locker, nicht zu fest. Und ich trug schon immer Schmuck. Was Kleines für den Alltag, was Größeres bei passenden Gelegenheiten. Es soll wirken, aber niemals übertrieben. So halte ich es seit vielen Jahren – seit Jahrzehnten, um ehrlich zu sein.  

            Prüfend drehe ich den Ring am Finger weiter, vor und zurück, ziehe ihn bis zum Knöchel ab und stecke ihn wieder an. Ich möchte sicher gehen. Könnte ja sein, dass mich mein gutes Gefühl getäuscht hat. – Hat es nicht.

            Nun ziehe ich den Ring wieder ganz ab und untersuche sein Äußeres mit etwas Abstand. Es ist ein Ehering, ganz klar, und beim Schwenken gegen das Licht wird auf der Innenseite eine Schrift erkennbar. In schrägen Lettern.: „Dolfi“ und das Datum „10.IV.1923.“ Irgendeine hat am 10. April 1923 irgendeinen „Dolfi“ geheiratet.

            Der Ring ist das einzig fremde Stück in der Sammlung meiner vor kurzem verstorbenen Mutter.

            „Ich weiß auch nicht, wo der herstammt“, schüttelt meine Schwester Sylvia den Kopf.

            „In unserer Familie gab es keinen Adolf!“, setze ich prompt hinterher, um das gleich einmal richtig zu stellen.

            „Nein, gab´s nicht“, murmelt auch Sylvia.

            So weit. So gut.

            Nun . . ., auf welchem Weg auch immer er in Mutters Schmuckschatulle gelangt war . . . Dieser Ring hat vieles mitgemacht, so weich, so geschmeidig, wie er sich anfühlt. Die Ehefrau von diesem Dolfi hat geschuftet, und der Ring hat alles mitgemacht. Ja. Beide haben viel „mitgemacht“. So runden kann nur das Leben. Und dazu braucht´s Jahrzehnte. Wenn nicht ein halbes Jahrhundert oder mehr. Das gute Stück ist ja schon fast 100 Jahre alt.

            Wer 1923 geheiratet hat, war vor dem ersten Weltkrieg geboren worden, um 1900 oder früher. Und 1923 heiraten, zwischen Krieg und Weltwirtschafts-Krise, um die Vollendung des Elends ab 1938, 39 bis weit hinein in die Nachkriegsjahre des 2. Weltkrieges zu erleben? Hunger, Arbeitslosigkeit, Zerfall . . . , nein . . ., da gab´s bessere Zeiten. Zuvor und auch danach.

 

            Ich weiß das. Ja, Ich, die 1962 Geborene, weiß das schon . . ., denn . . . , wie von selbst wandern meine Gedanken zu Pinneberg, der sich da fragt:                                         

„Kleiner Mann. Was nun?“

 

            Wenn er vor lauter Angst um die Zukunft seiner werdenden Familie verzweifelt, wenn er aus Sorge um seine Emma, die er „Lämmchen“ nennt, und das noch nicht geborenen Kind fast verrückt wird, weil sich kein Licht am Horizont auftut. Keine Wohnung, keine Arbeit, nichts zu Essen und nichts fürs Kind . . . und – für ihn am Schlimmsten – kein Funken Selbstachtung mehr! – Nur die Abhängigkeit von der ungeliebten Schwiegermutter . . .

            Und dennoch: Pinnebergs und Lämmchens Liebe übersteht alle Unbill, weil sie mit Klugheit gepaart ist:

            „Nur im schlimmsten Fall nicht auch noch streiten! Die Schuld trägt er nicht und nicht sie. Aber ausbaden müssen sie´s! Es ist ihr Schicksal.“

            Fallada wusste, wovon er schrieb.

 

            Obs bei Dolfi und . . ., nun ja . . ., vielleicht nannte er sie „Annerl“, oder „Peppi“ – auch so war? Denn dieser Ring könnte auch Lämmchens Ring gewesen sein. Statt hier 1923 im Roman dann 1929, 30. Und nicht in Krems oder St. Pölten, oder irgendwo dazwischen, sondern eben in Berlin. Nicht am Land, sondern in der Stadt.

            „Wir, hier heraußen“, erzählten sie doch immer, „hatten es ja doch noch besser. Bei uns gab´s wenigstens Kartoffeln und Gemüse. Von den schönen Bildern und Wertsachen konnten die Stadtleut´ nicht abbeißen.“ Verwirklicht haben sich die Frauen zu dieser Zeit mit Arbeit, die schlecht oder gar nicht bezahlt wurde. Das Wort „Freizeit“ kannte niemand. – Ich weiß das. Alles.

            Aber ich hab´ keine Ahnung, wer die Frau dieses Dolfi war und wie es ihr tatsächlich ergangen ist. Ob sie glücklich war oder traurig oder beides. Ob sie gut war oder gehässig, großzügig oder neidisch. Eines aber ist sicher: Sie muss über viele Jahre diesen Ring getragen haben. Er hat ihr Leben begleitet, ihr Schicksal geteilt. Und ich stell´ mir vor: sie trug ihn mit Stolz, Demut und Zufriedenheit. Denn:

So runden kann nur das Leben!