© by Eva Novotny

Der Fund

Es war eine sonniger Frühlingstag, als uns die Sehnsucht nach der Natur aufbrechen ließ. Wir fuhren in Richtung Westen, bei Amstetten nach Süden abzweigend, über Waidhofen und die alte Stadt Weyer entlang der Enns bis in die Nähe von Altenmarkt, von wo man tief hinunter auf die Enns sieht, die wenig Wasser führte und wie ein wellenloses Band durch die noch unbelaubte Landschaft strömte. Diesmal hatte die Enns nicht ihre sanft dunkelgrüne Farbe, sie war auf Grund der Schwebstoffe der Schmelzwässer milchig erbsgrün und im grellen Sonnenlicht beinahe silbrig glänzend. Wegen des Niederwassers gab es am Ufer eine breite Schotterbank und so bat ich meinen Mann, doch hinunter zu fahren und neben dem Fluss unsere Mittagsrast zu halten. Neben einem verfallenen Herrschaftshaus mit moosbewachsener Treppe stellten wir das Auto ab und gingen die paar Meter zum Flussufer. Auf einem der wenigen größeren Steine ließen wir uns nieder und verzehrten einen Apfel. Das Knacken des Hineinbeißens kam mir laut vor, denn der Ort war sehr still. Das Fließen des Wassers verursachte einen gleichmäßigen, beruhigenden, rauschenden Ton und wir genossen die wärmenden Sonnenstrahlen. Die Kiesel ringsum waren hell, von der Sonne gebleicht, meist Kalkgestein, vom Wasser in Jahrtausenden rundgeschliffen. Lange hielt ich es nicht aus, sitzen zu bleiben, denn Steine übten immer schon eine große Anziehungskraft auf mich aus. Für mich waren sie Kunstwerke – jeder einzelne. Manche, mit besonderen Formen, regten mich an, Figuren zu legen, ich sah Gesichter und die verschiedensten Gestalten, andere zogen mein Interesse auf sich wegen ihrer schönen Farbe oder ihrer interessanten Oberfläche und Auserwählte musste ich aufheben, in Händen halten, ihre Glätte fühlen oder ihre Rauheit spüren. Aber ich war unersättlich und konnte mich an allen Steinen mehr freuen, als über ein gutes Essen. So wanderte ich mit gesenktem Kopf suchend umher, bückte mich hin-und wieder um einen besonderen Stein in die Jackentasche zu stecken, die schließlich schon schwer und ausgebeult war. Die gesammelten Schätze trug ich zu unserem Sitzstein und legte sie vor mir auf. Rasch hatte ich wieder die Taschen gefüllt und der Steine Haufen wuchs immer höher an. Plötzlich fand ich Steine, die von blauviolett schimmernden Fluss-Spat-Adern, eingegrenzt von leuchtend weißem Quarz, durchzogen waren. So etwas Schönes hatte ich noch nie gefunden. Nun wurde die Suche noch spannender. Dutzende Steine hob ich auf, drehte und wendete sie, in der Hoffnung die blauen Einschlüsse zu entdecken. Natürlich waren die schönsten Stücke groß und schwer, aber auch sie schleppte ich zum Schatzplatz. Mein Mann holte den Rucksack aus dem Auto und mir oblag es nun auszuwählen, welche mitgenommen werden sollten und wer hier zurückbleiben musste. Unwillkürlich dachte ich daran, wie es wohl war, als Menschen aus einer großen Zahl ausgewählt wurden, ob es ihre Schönheit, ihre Besonderheiten oder ihr Seltenheitswert war, der die Entscheidung beeinflusste? Der Rucksack war gepackt, die Jackentaschen an gestopft. Ehe wir aber aufbrechen wollten, musste ich mich nochmals bäuchlings auf die Steine legen, um dem Wasser zuzusehen und die Landschaft in mich einzusaugen. Ich fühlte mich als Stein unter Steinen, spürte die Wärme der Sonne, die sie gespeichert hatten und den Duft des Frühlings, den der sandige Boden ausströmte. Vor mir das endlose Kies Feld und dahinter der blassgrüne, ruhig strömende Fluss in Augenhöhe. Aus dem Blickwinkel eines Vogels überblickte ich das Rundum. Im Grau der Steine sah ich etwas, das seltsam aussah. Vier rötlichweiße gleichgroße steinerne Stäbchen. Im ersten Augenblick dachte ich an einen Tropfstein. Ich erhob mich auf die Knie und strecke meinen Arm nach dem halbversteckten Etwas aus, nahm es an mich und staunte. Es war ein verkehrt liegender, etwa 3cm großer marmorner Elefant. Oder sollte es ein Hund sein, denn der Rüssel schien etwas kurz geraten? Das Auge war ein Loch, wie mit einem Vier-Millimeter-Bohrer aus dem Stein gebohrt, ein Mund war eingekerbt und die großen Ohren hatten ebenfalls drei Linien eingeritzt. Der kleine Kerl sah entzückend aus. Alle seine Formen waren sehr rund und auch der kantige Rücken war vom Wasser abgeschliffen. Wie lange er da wohl gelegen war? Woher stammte er? Wer hatte ihn aus dem Stein geschnitten? Wurde er weggeworfen? Wurde er verloren? Asiatisch sah er nicht aus, er hatte auch keine Allerweltsform, er war etwas ganz Besonderes. Sein Hinterteil war ein eher rötlicher Stein, der Kopf bestand aus dem hellen Teil des Steins. Ich setzte ihn auf meine Handfläche und er schaute zu mir auf, so als wollte er mir sagen: „Nimm mich mit, ich bring dir Glück!“ Natürlich wollte ich ihn mitnehmen, aber der Gedanke, wer sein Erschaffer oder sein Besitzer war, ließ mich nicht mehr los. War er ein Probestück eines Steinschneiders, der es als misslungen befand und weggeworfen hatte? War es ein Spieltier eines Kindes, das es verloren hatte? War der kleine Elefant jemandem in Admont ins Wasser gefallen und hier angetrieben worden? Spielte sich gar Meister Stammel, der große Barock-Bildhauer und fertigte in einer Arbeitspause ein Spieltier für ein Kind, dem das Tier dann in den Fluss gefallen war? Wie alt ist wohl dieses Steintier? Gibt es vielleicht noch andere Tiere zwischen den Kieseln? Viele mögliche Geschichten durchkreuzten meinen Kopf und dabei dachte ich an den Wallfahrtsort Frauenberg bei Admont, dessen Kirche dort gebaut worden sein soll, wo es die Gnadenstatue ans Ufer der Enns gespült haben soll. Was – wenn es keine Zufälle gibt – wollte dieser kleine Elefantenhund mir sagen? Vielleicht doch nur, dass man mit offenen Augen durchs Leben gehen soll und dass man, wenn man sucht, auch so manches findet. Aber, um Besonderes zu entdecken, sollte man seinen Blickwinkel verändern, die Dinge aus der Sicht eines anderen betrachten. Auf die besonderen Dinge aber, auf die stößt man nicht bei der Suche, sie werden einem geschenkt. Es sind die Gaben, die uns Vorsehung- Zufall- Glück – wie immer man es nennen möchte – für eine Zeitlang anvertrauen, ….um sie dann an jemand anderen weiter zu schenken.