© by Michael Schönberg

Die Frau mit dem Stein

 

Pünktlich um 12.30 Uhr verließ er das Büro an der Heinrich Heine Allee. Seine Mittagspause stand an. Endlich!

Im Konstruktionsbüro war es durch den Straßenlärm sehr laut, obwohl die Straßenbahnen schon einige Zeit unterirdisch fuhren. Der Autolärm war dadurch lauter geworden, da jetzt noch mehr Verkehr über diese Straße fuhr. Ein Fenster zu öffnen war somit unmöglich. Die Klimaanlage rauschte und trug zur Kühlung, aber auch zur Lärmergänzung bei.

Im Büro herrschte ständig Hektik und alle waren laut. Durch Telefongespräche und immer wieder diese kurzen Statements, wenn einer eine Idee dem anderen mitteilte, kam nie Ruhe auf. Und schon wurde wieder eine Karte an die Tafel geheftet, mit dem Namen des »Erfinders«.

Die Clipchartwand war schon so dicht behangen, dass sie eigentlich nicht mehr zu gebrauchen war. Sie hätten drei aufstellen müssen, so wie es Hans vorgeschlagen hatte. Doch man einigte sich auf eine. Immer wenn eine Idee verwirklicht war, sollten die Vorschläge dazu entfernt werden. Doch niemand wollte von der Tafel verschwinden. Ihr Name und Anregung sollte obenauf sein. Die Karten von Hans waren längst unter den anderen vergraben.

Jetzt schnell raus und die 45 Minutenpause nutzen, um runterzukommen. Kraft schöpfen für neue Ideen und deren Ausarbeitung.

Die Pause verbrachte er immer im Hofgarten. Diese Erholungsstätte lag nur 5 Minuten von seiner Arbeitsstelle entfernt. Doch diese Entfernung reichte, um in eine andere Welt einzutauchen. Eine Welt der Ruhe und Gelassenheit.

Von seinem Pausenplatz, einer Bank, konnte er auf den Märchenbrunnen schauen, der ab dem Frühjahr mit Wasser gefüllt wurde. Aus einem kleinen Frosch spritzte fontänenhaft ein Wasserstrahl heraus. Das plätschernde Wasser hatte für Hans eine beruhigende Wirkung. Hier tauchte er in den Bach der Ruhe ein oder in die Welt einer glücklichen Familie.

Der Märchenbrunnen war bestückt mit drei Kindern, die oben auf der Figur saßen. Manchmal träumter, es wären seine Kinder die dort verweilten. Schauten auf ihren Papa und Mama und erfreuten sich an der Liebe und Zuneigung ihrer Eltern, die ihnen viele Späße erlaubten.

War die Pause zu Ende, dann war auch das gedachte Familienglück erloschen.

Als er heute an »seiner« Bank ankam, auf der er immer seine Pause genoss, sah er, dass sie von einer Frau besetzt war. Hans schaute sich um, doch die beiden anderen Bänke in der Nähe von dem Brunnen, waren ebenfalls belegt, sogar mit mehreren Leuten. Kein Platz, um die benötigte Ruhe zu finden.

Er fasste den Entschluss: »Ich setze mich auf meine Bank, zu der Frau.«

»Entschuldigung, ist der Platz neben ihnen noch frei?«

»Ich sehe niemanden. Setz dich hin.«

Erstaunt darüber, dass sie ihn duzte, wusste er nicht genau, ob er sich setzen oder doch lieber wieder gehen sollte.

»Setz dich, keine Angst, ich beiße nicht«, schien sie seine Überlegungen zu hören.

Als Hans zu ihr rüber schaute, sah er, dass dies mit ihren schlechten Zähnen auch nicht wirklich möglich war. Faul und Lückenhaft »strahlten« sie ihn an.

Er setzte sich und rückte bis an den anderen Rand der Bank. So hatte er einen kleinen Abstand zu ihr. Zu ihr, der Fremden, dem Eindringling in seiner Entspannungszeit.

Hans lauschte wie immer dem Wasserplätschern, doch die Ruhe in ihm, wollte nicht aufkommen. Die Frau störte, sie nahm ihm das Gefühl des allein seins.

Der Märchenbrunnen und er.

Entschlossen sich wenigstens bei der Brotzeit nicht stören zu lassen, holte er seine Butterbrotsdose heraus. Der Ingenieur aß seine Brote immer auf dieser Bank. Das Essen in der Kantine war ihm zu teuer, die Atmosphäre, die Gerüche und die Gesellschafft der Kollegen unangenehm.

Es gab keiner seiner werten Kollegen, mit dem auch nur eine Minute länger zusammenbleiben wollte, als unbedingt nötig. In seinen Augen waren es Laberköppe, Angeber und Besserwisser.

Die Mittagsgerichte in den Restaurants oder »Freßbuden«, die es im Umfeld zuhauf gab, gefielen ihm wegen der Hektik nicht. Er könnte vom Büro aus über die Straße gehen und wäre in der Düsseldorfer Altstadt.

Die längste Theke der Welt. Heute eher die längste Freßbude der Welt. Nein, da wollte er auch nicht hin.

Er benötigte Ruhe.

Brote und eine Flasche Wasser waren sein Mittagessen. Doch er haderte nicht, oft sah er am Straßenrand Menschen, die nicht einmal das hatten. Manchmal packte er Extrabrote die er verteilte. Es freute ihn sogar, wenn er sah, dass so ein armer Kerl die Brote mit seinem Hund teilte.

Sollte er ein wenig Hundefutter kaufen, dachte er mehr als einmal. Verwarf aber den Gedanken oder vergass ihn wieder.

»Kann ich ein Brot abhaben?«

»Bitte?«

»Ich möchte ein Brot abhaben. Ich habe Hunger und habe gesehen, das du zwei Brote in deiner Dose hast.«

»Ja, das habe ich. Und sie sind gerade genug, um mich zu stärken für den Nachmittag. Ich muss noch bis um sechs arbeiten«,entrüstete sich Hans und drehte sich ein weig weg von der Frau.

»Komm, hab dich nicht so, gib mir wenigstens ein Halbes ab«.

Hans überlegte und als er in die Augen der Frau schaute, sah er ihren schmachtenden Blick. Er sah in die Dose und fragte sie: »Käse oder Salami?«

»Bitte Käse, da ich kein Fleisch esse.«

»Ach, auch noch wählerisch«, dacht er sich und im gleichen Moment wurde ihm klar, dass er sie aufgefordert hatte, zu wählen.

»Warum kann ich nicht bestimmen? Weshalb muss ich immer Alternativen anbieten. Möchtest du das oder das

Er war sich sicher, sie hätte das Salamibrot nicht ausgeschlagen. Doch woher wusste sie, dass er zwei Brote in der Dose hatte, bevor er sie aufmachte?

Als er ihr das Brot mit dem Käse reicht, kommt aus dem zu langen Ärmel des Pullovers eine zarte Hand hervor. Ihre Fingernägel sind zu seinem Erstaunen sauber und gepflegt. Die Hand passt nicht zu dem sonstigen Aussehen der Frau.

»Vieleicht ist sie eine Obdachlose, die erst seit kurzem auf der Straße lebt«, kam ihm in den Sinn, als er sie betrachtete. Doch die Zähne waren sicherlich schon länger in einem schlechten Zustand.

Ihr Gesicht empfand er alles andere als schön. Sommersprossen, Pickel, Hakennase und viele Falten.

Wie alt sie wohl sein mag, fragte er sich.

Die Kleidung sah aus, als wäre sie vom Trödelmarkt oder einem Secondhandshop. Über dem grauen Pullover trug sie eine hellblaue Regenjacke. Hans wunderte das, da kein Regen in Sicht war. Den Hals verdeckte ein Tuch mit den Farben des Regenbogens. Ihr grüner, knielanger Wollrock stand im Widerspruch zu ihrer sonstigen Erscheinung, da er einen sauberen, fast neuen Eindruck machte. Darunter sah Hans die hellgrüne Strumpfhose. Die war auf keinen Fall neu. Oder sollten die Risse ihre weiße Haut durchscheinen lassen? Die dunkelgrünen Schuhe rundeten ihr Outfit ab.

Während er so dachte, wo sie denn herkommt, aß er sein Salamibrot. Die Frau aß ihr dargereichtes Käsebrot langsam und bedächtig. Es sah so aus, als aß sie jeden Bissen voller Dankbarkeit.

Hans bekam ein schlechtes Gewissen, weil er ihr doch zuerst gar keins abgeben mochte. Jetzt, wo er sah, wie genüsslich sie es aufaß, freute er sich sogar, ihr doch eins gegeben zu haben. Schade, in der Brotdose war nichts mehr. Die kleinen Paprikastücke und Gurkenscheiben, die er jeden am Morgen mit eingepackte, hatte er schon zum Frühstück verzehrt. Die aß er immer direkt am Schreibtisch. Alle Kollegen aßen ihre morgendliche Mahlzeit ebenfalls an ihrem Arbeitsplatz. Nur die Raucher benutzen den kurzen Moment für Brot und Zigarette. Das am liebsten gleichzeitig.

Nach einer Weile, Hans hatte sein Brot schon längst aufgegessen, war auch die Frau mit ihrem Brot fertig.

»Ich bin älter als du je denken kannst ubd mein Aussehen ist genau so wie ich es mir wünsche.«

Den fragenden Blick von Hans beantwortete sie nicht, sondern sagte: »Es geht dir jetzt besser als vorhin«, und schaute ihn dabei freundlich an.

»Ja, das stimmt. Woher wissen Sie das?« Obwohl sie ihn duzte blieb er beim Sie.

»Der Herr gab uns die Augen, um zu sehen. Und ich habe gesehen, wie angespannt du warst, als du angekommen bist.«

»Harter Job und wenig Freizeit. Da verliert man schon mal das Strahlen.«

»Was ist mit deinem Job?«

»Ach, es läuft manchmal nicht so, wie es sein soll?«

»Es läuft nie, wie es sein soll!«

Meinte sie das jetzt verallgemeinert, oder auf mich bezogen. Hans war mehr als nur leicht irritiert.

»Erzähl es mir, was nicht so läuft. Du hast doch noch 10 Minuten. Vieleicht kann ich dir helfen.«

Hans überlegte, ob er ihr über die Probleme bei der Arbeit erzählen soll oder besser schweigt. Früher teilte er die Sorgen seiner Frau mit. Dass sie ihm später die beruflichen Niederlagen einmal vorhalten würde, damit hatte er zu diesem Zeitpunkt nicht gedacht.

Mit 35 Jahren stand Hans schon am Ende eines Lebens. Das war zumindest die derzeitige Meinung über seine Lebenssituation. Es hatte nichts mehr zu erwarten, außer Niederlagen und Eintönigkeit.

Die Ehe gescheitert, da er nichts auf die Reihe bekam.

Seine Frau behauptete, er wäre nicht mal in der Lage eine Glühbirne zu wechseln. Sie fragte sich und ihn ständig, wie er den Ingenieurstitel geschafft hat.

Sie verließ ihn vor 5 Jahren, wegen eines Arbeiters. Der war mit der Bohrmaschine und dem Tapezierbrett aufgewachsen. Zielstrebig und die Dinge anpackend, redete er nicht nur, sondern setzte das in die Tat um.

Hans überließ ihr damals das Haus und mietete sich am anderen Ende von Duisburg eine billige Mietwohnung.

Alle Wohnungen in dem Stadtteil von Duisburg-Hochfeld sind relativ günstig. Nicht nur wegen dem hohen Türkenanteil auch klein Ankara genannt. Die große Mehrheit der hier sesshaften Bürger kamen aus dem Ausland. Sie nahmen es mit der Sauberkeit nicht so genau und deshalb war dieses Stadtviertel in einem sehr desolaten Zustand.

Ihm war das egal, er ging früh aus dem Haus und kam spät zurück. Die Einsamkeit bestimmte den Abend. Kaum, dass er mal Leute traf. Höchstens in der U-Bahn oder in der Regionalbahn. Da waren es dann so viele, dass er sich schon wieder die Einsamkeit wünschte.

»Ich warte, deine Zeit läuft ab«, riss ihn die Frau aus seinen Gedanken.

Ohne, dass er es verhindern konnte, redete er los:

»Ich bin in der Firma völlig fehl am Platze. Das neue Projekt muss fertig werden und die Vorschläge von mir landen ständig in der Tonne.«

»Hohl sie wieder raus und bearbeite sie, solange bis sie passen.«

»Dann haben die anderen ihn so verändert, dass man meinen Vorschlag nicht mehr erkennt oder haben ihn verarbeitet.«

»Sie haben deine Idee verwendet?«

»Ja, so machen sie es oft?«

»Dann bist du doch gut in deinem Job. Hilfst anderen zum Erfolg.«

»Was nützt es mir, wenn sie damit Ergebnisse haben und ich untergehe?«

Hans sah sie an. Sie, die Fremde. Er sah in ein Gesicht, was lächelte. Ihre Falten wellten sich um ein vielfaches, als sie sowieso schon taten. Doch ihr lächeln übertönte ihr aussehen. Lachte sie ihn aus oder machte sie sich gar lustig über ihn?

»Du gehst doch nicht unter! Sie wissen, dass du es warst, der sie auf die Spur gebracht hat, das Projekt weiter zu bringen, Du kannst stolz auf dich sein.«

Sie ließ ihm keine Zeit zu antworten, fast schroff sagte sie:

»Danke für das Brot, deine Zeit ist um, deine Arbeit ruft. Aber bevor du gehst, möchte ich dir was schenken.«

Er schaute sie erwartungsvoll an.

»Was sollte sie ihm schenken wollen? Freunde, Liebe oder ein zufriedenes Leben?«

»Nichts von alledem und doch alles. Hier, nimm diesen Stein. Er wird dir helfen und dich weiterbringen.«

Zögernd nahm er den Stein an.

Ein glatter, runder, schwarzer Stein. Nicht dicker als 5 Zentimeter und marmoriert. Wunderschön anzusehen und er strahlte eine leichte Wärme aus.

Verwundert fragte er sich, wie die Frau an so einen Stein kommt?

»Er gehört mir nicht, ich darf ihn aber verleihen. Trage ihn immer bei dir, hörst du? Du musst ihn ständig bei dir haben.«

Wie von Geisterhand wurde sein Kopf nach vorne gebeugt und dann wieder zurück. Was ein eindeutiges Ja bedeutete.

Nur kurz hielt er ihn in der Hand und schaute sich den Stein erneut an, bevor er ihn in die Hosentasche steckte, was die Frau mit Freude zur Kenntnis nahm.

»Es wird Zeit für dich.«

Hans sah auf die Uhr. Stimmt, seine Pause war fast um. Doch woher wusste sie, wie lange er Mittagspause hatte? Leicht verwirrt stand er auf und verabschiedete sich von ihr.

»Bis morgen Hans.«

»Mal sehen, wie es sich ergibt«, und schon war er wieder auf dem Weg zur Arbeit.

Er schaute sich nochmal kurz um, aber da war die Frau verschwunden. Erstaunt über ihr schnelles Verschwinden, blieb er stehen und sah sich um. Doch die Frau war nicht mehr zu sehen. Allzuviele Bäume oder Sträucher gab es nicht, wo sie hätte dahinter verschwinden können. Und doch, sie war weg.

Mit einem merkwürdigen Gefühl im Bauch und im Kopf,

beeilte er sich zu seinem Arbeitsplatz.. Jede verspätete Minute erfasste das Zeiterfassungssystem. Bis zum Monatsende musste die nicht geleistete Zeit aufgearbeitet sein. Zu lange Arbeitszeiten ignorierte das System. Eine Anfrage bei seinem Chef, das dies Ungerecht wäre, brachte ihm nur Ärger ein.

»Die anderen schaffen ihre Arbeit in der Zeit, deshalb habe ich bei der Instalation von dem Zeitsystem auf eine Plusrechnung verzichtet.«

Die Mitarbeiter sollten alle pünklich nach Hause gehen, war seine Überzeugung. Da freut sich die ganze Familie, und schon war er mal wieder der Dumme.

Kaum einer seiner Kollegen ging pünktlich aus dem Büro, aber keiner sagte auch nur einen Ton oder forderte gar eine Anrechnung oder rief nach einer Entlohnung.

Hans beschloss, es ihnen gleich zu tun und beschwerte sich danach ebenfalls nicht mehr. Überhaupt hatte er für sich still zu sein und keine Beschwerden mehr einzureichen.

Nicht darüber, wenn es zu warm im Büro wurde, weil die Klimaanlage ausgefallen war. Auch nicht über den Kollegen, der Knoblauchzehen in der Frühstückspause am Schreibtisch aß und das ganze Büro daran gteil haben ließ. Ein Fenster zu öffnen bedeutete Autolärm und Gestank.

Die Klimaanlage lief und verteilte so den Knofigenuss in alle Räume. An ein Ausschalten war aber nicht dran zu denken.

Er lernte schnell, ein »Mitläufer« zu sein. Lernte sich so zu verhalten wie die drei Bekannten Affen:

»Nichts sehen, nichts Hören und vorallem nicht Sprechen«

 

Auf dem Weg ins Büro fiel ihm ein, dass sie ihn Hans genannt hatte. Ihm war nicht klar, woher sie seinen Namen kennen könnte. Er erinnerte sich nicht daran, ihn erwähnt zu haben. Und doch wusste sie, wie er heißt. Sein ungutes Gefühl verstärkte sich. Wie von selbst glitt seine rechte Hand an die Hosentasche. So, als wollte er prüfen, ob das alles Real war, was er eben erlebt hatte. Langsam glitt die Hand in die Tasche und dort fühlte er den Stein, der immer noch eine leichte Wärme von sich gab. Der Stein war da, alles Wirklichkeit.

Hans dachte wieder darüber nach, dass die Frau ihn kannte.

»Vieleicht von früher?«

Schon wanderten seine Gedanken zurück bis in die Schulzeit. Zu den ehemaligen Freundinnen zählte er sie auf keinen Fall. Da er selbst ein gut aussehender Teenager war, wäre sie nicht in die engere Wahl gekommen, um mit ihm gehen zu können, wie man es früher nannte. Und nach der Schule war er ja mit Jutta zusammen, seine große Liebe. Die allerdings durch den Entschluss studieren zu wollen  beendet wurde. Nicht durch sein Studium, doch durch die Notwendigkeit, dass er nach Aachen und sie nach Heidelberg zog. Da halfen auch die ewigen Treueschwüre nicht. Zu erst kamen anstelle von täglichen Anrufen nur am Wochende die beschwörenden Liebesgrüße und deren Verlangen nach zärtlichkeiten. Und die nur noch durch Whatsap oder per Messinger. Die Worte: »Ich liebe dich« wurden durch: »Ich vermisse dich auch, aber es gibt soviel zu tun!«,  um dann in: »Mal sehen wann wir uns sehen. Ich melde mich« umgewandelt.

Nach 5 Monaten teilte sie ihm mit, dass sie sich anderweitig umgesehen hatte. Sie hatte es liebevoller ausgedrückt, doch das Ergebnis blieb gleich. Zeit zum Lernen hatte er jetzt genug und deshalb schaffte er es auch, sein Studium erfolgreich zu beenden.

Nach dem Studium lernte er Marita kennen. Eigentlich sie ihn und zwar auf einer Hochzeit von einem Freund von Hans. Im Laufe des Abends sprach sie ihn an. Sie hatte bemerkt, dass er nur wenige Leute kannte und die meiste Zeit alleine herumstand. Ihr erginge es ebenso und warum sich nicht zusammentun, um die Langeweile zu töten. Hans fand das amüsant und man verbrachte den Rest des Abends gemeinsam. Aber nicht gelangweilt. Angeregte Gespräche und kalte Drinks trugen dazubei, das sie am Ende seine Telefonnummer haben wollte. Danach ging jeder seine Wege.

Er glaubte nach zwei Tagen nicht mehr daran, das sie ihn noch anrufen werde.

Schade, hätte was werden können, schaute auf sein Handy und sah keinen verpassten Anruf. Dann nicht.

Nach einer Woche klingelte sein Handy und am anderen Ende war tatsächlich die verlorene Party-Bekanntschaft Marita. Sie käme am Wochenende geschäftlich nach Düsseldorf, und man könnte sich doch mal treffen, war ihr Vorschlag. Hans stimmte dem mehr als gerne zu.

Sie käme am Mittwoch an, übernachtete im ICE Hotel am Bahnhof und wäre dann ab dem frühen Freitag-Nachmittag frei.

Hans einigte sich mit ihr, dass man sich im »Schlüsseltreff« treffen könnte. Das Lokal war direkt im Bahnhofsgelände und ein Aufenthaltsort für Leute die auf einen Zug warteten oder ankommende Personen. Dieses Restaurant galt schon lange als Treffpunkt für erste Treffen von Leuten, die sich kennenlernen wollten. Ein »Date Lokal«. Marita bestand jedoch darauf, dass man sich in der Nähe vom Infostand treffen sollte. Alleine wollte sie nicht in ein Lokal gehen.

Das gehört sich für ein Frau nicht, war denn ihr Standpunkt, dem Hans nur gutes Abgewinnen konnte.

 

Sie sah fabelhaft aus.  Ihr weißes, mit schwarzen Rosen bestücktes Sommerkleid bewegte sich leicht hin und her, wie sie mit schnellen Schritten auf ihn zukam. Hans hatte nicht mehr als 5 Minuten am Info-Stand gewartet, als er sie sah.

Die langen schwarzen Haare wehten ein wenig vom Wind, der vom Bahnsteig in den unteren Bahnhof hineinblies. Es schien, als wollte sie schnell bei ihm sein. Sie herzigste ihn liebevoll, so, als war man schon lange zusammen. Dabei waren sie sich doch nur einmal begegnet, eben auf dieser Hochzeit in Frankfurt.

»Mein Koffer ist noch im Hotel. Lass uns erst mal was trinken gehen. Ich möchte jetzt ein schönes kaltes Bier. Du hast ja gesagt, hier gibt es ein leckeres Düsseldorfer Bier.«

»Ja, das gibt es. Alt Bier. Schlüssel-Alt. Ein Bier von einer unseren Hausbrauerreien, die es iGott sei Dank noch in Düsseldorf gibt. Direkt da vorne. Komm, ich lade dich ein«, und zu seiner eigenen Überraschung nahm er sie bei der Hand und zog sie mit.

Sie ließ es zu und strahlte ihn an.

Schnell war ein ruhiges Plätzchen in dem sonst turbulenten Bahnhofsrestaurant gefunden. Marita und Hans tauschten sich aus, erzählten Episoden, aus ihrem Leben, was sie in Frankfurt nicht besprochen hatten, da ihnen dort die Zeit dazu fehlte. Sie merkten, dass sie zueinander passten.

»Wann fährt dein Zug?«, fast ängstlich stellte er diese Frage, da er befürchtete, dass es schon bald sein würde. Es war so angenehm sich mit ihr zu Unterhalten. Ein Gespräch mit Menschen außerhalb des Berufs, fehlte ihm nicht nur am Abend. In der Woche fiel ihm das gar nicht weiter auf. Doch das Wochenende zeigte ihm, das er keinen Gesprächspartner kannte, den er Anrufen oder mit dem er sich verabreden könnte.

»Mein Zug fährt am Sonntagnachmittag.« Dabei sah sie an und sendete ihm einen Luftkuss.

Hans fing an zu überlegen und zu rechnen. Jetzt ist Freitagnachmittag, sie kam vorgestern an, sie hatte ihm mitgeteilt, dass sie nur zwei Nächte im Hotel verbringen wird.

»Wo wird sie heute oder morgen schlafen?«, stellte er sich die Frage als der Kellner das dritte Bier brachte.

Langsam dämmerte es ihm und je weiter es ihm zum Bewusstsein kam, dass sie vielleicht bei ihm Übernachten möchte, wuchs seine Überraschung und Freude gleichermaßen an.

»Jetzt nur kein falsches Wort. Keine Angst zeigen. So tun als wäre es das natürlichste von der Welt, dass man nach nur einem Treffen zusammen nächtigt.«

Stärke zeigen, sie nicht verlieren, bevor er sie überhaupt erobert hatte. Dass Hans erobert wurde, merkte er erst viel später.

»Wir sollten hier was essen, bevor wir deinen Koffer holen und zu mir fahren?«

Hans setzte alles auf eine Karte. Zeigte ihr, dass er verstanden hatte und übernahm mit diesem Hinweis das Kommando.

»Ja, das wäre gut. Ich habe im Hotel gesagt, dass ich den Koffer bis spätestens um 18.00 Uhr abgeholt habe. Das würde passen. Kannst du mir von der Karte was empfehlen?«

»Sauerbraten, rheinischer Sauerbraten, mit Knödeln und Rotkohl. Eine echte Düsseldorfer Spezialität.«

»Hört sich lecker an, das nehm ich.«
»Willst du nicht mal in die Karte schauen? Sie haben auch noch andere gute Gerichte. »

Schon ertappte er sich wieder in der eigenen Unbeständigkeit. Sagen und fertig.

Marita nahm seinen gutgemeinten, aber überflüssigen Hinweis nicht an und erklärte:

»Nein, ich verlass mich auf dich. Das kann ich doch, oder?«

Hans nickte.

»In allen Belangen«, und schaute sie innig an.

Das Marita ihm das mal vorhalten würde, ahnte er nicht, wie auch. Jetzt war die Stunde der Annäherung. Die Zeit der Entzweiung in weiter Ferne.

Die beiden kamen sich nicht nur in den beiden folgenden Nächten und Tage näher. Nach zwei Jahren der Findung läuteten die Hochzeitsglocken. Sie bezogen ein Haus. Ein Glücksfall aus ihrer Sicht, als sie das Haus bei einer Versteigerung so günstig erwarben. Die Lage des Hauses, nahe am Düsseldorfer Flughafen machte ihnen im Gegensatz zu den anderen Interessenten nichts aus. Da beide keine großen Gartenfreunde waren, erschien es nicht so wichtig, dass der Garten tagsüber kaum zu nutzen war. Zu laut, um sich dort wohlzufühlen. Die Flugzeuge starten fast im 2 Minuten Takt und wenn sie umgekehrt über ihren Köpfen zur Landung ansetzten, konnte man fast die Köpfe der Passagiere in den kleinen Fenstern erkennen, so nah waren sie.

Im Haus hörte man bei geschlossenen Fenstern nichts vom Lärm. Der Vorbesitzer hatte da mehr als nur Schallschutzfenster einbauen lassen. Über den Fenstern befanden sich Schallobservierende Lüftungsschächte. Frischluft kam rein, der Krach blieb draußen, nur ein sanftes Rauschen war zu hören.

Die Liebesidylle verlor ihren Glanz, je länger sie zusammenwohnten. Nach und nach verdunkelte sich der strahlende Liebeshimmel.

Hans kam immer später nach Hause und war froh, wenn er im Bett lag Die Kommunikation zwischen den beiden verebbte, da Marita neben ihrem Job zweimal in der Woche einen Yoga-Kurs besuchte und mit Kopfhörer immer öfter durch den angrenzenden Wald joggte. Die anfallenden Arbeiten im Haus häuften sich. Kleine Reparaturen wurden immer öfters verschoben, keiner hatte Zeit oder Hans konnte das nicht. Ingenieure sind nicht immer gute Handwerker, musste Marita immer wieder enttäuscht feststellen.

Die notwendigen Reparaturen wurden schließlich von Fachkräften erledigt und trieben dabei die Haushaltskosten in die Höhe. Streit über die Kosten kamen auf, störten den Rest der noch vorhandenen Kommunikationszeit.

Seine Frau behauptet später, er würde noch nicht mal eine Glühbirne wechseln können und fragte sich mal wieder, wie er den Ingenieurstitel erreichen konnte.

Sie verließ ihn schon nach 3 Jahren Ehe, wegen einem Handwerker. Der war mit der Bohrmaschine und dem Tapezierbrett aufgewachsen und erledigte viele Aufgaben im Haus. Mehr als nötig war, denn auch Marita wusste ihn zu schätzen und nahm seine körperlichen Zuwendungen mehr als gerne in Anspruch.

Davon bekam ihr werter Gatte nichts mit. Er war froh, dass im Haus alles in Ordnung kam und er damit nicht belästigt wurde. Dass er zudem nicht mehr an die ehelichen Pflichten erinnert wurde, fiel ihm erst auf, als sie ihm mitteilte, dass sie die Scheidung eingereicht hätte. Sie packte ihre Koffer und zog zu Karl-Heinz, der mit dem Bohrer.

Nach kurzer Zeit einigte man sich, keine Trennungsschlacht wegen des Hauses zu veranstalten. Da Hans mit dem Haus völlig überfordert war, zog er aus und überließ es ihr. Damals bekam er von Marita den halben Wert des Hauses. Allerdings ohne das Inventar mit ein zu berechnen. Karl-Heinz half ihr die Summe aufzubringen.

Ja, mit Bohrer kann man viel Geld verdienen. Was Marita am Anfang sehr erfreute, stellte sich kurze Zeit später als Trennungsgrund dar. Karl-Heinz bohrte auch bei vielen anderen einsamen Damen, die ihn mehr als nur den Arbeitslohn zahlten. Sie bezahlten vor allem einen Liebeslohn.

Ein Anruf genügte und die große Handwerkerliebe fand ein jähes Ende.

»Hallo hier ist Frau Schmitz. Spreche ich mit der Sekretärin von Karl-Heinz, ich meine Herrn Behlen?«

Marita wollte schon aus der Haut fahren, besann sich aber eines Besseren. Ihr fraulicher Instinkt gab ihr zu verstehen, »Achtung!« Sie beließ die Frau in ihrem Glauben und spielte die Sekretärin.

»Ja, was kann ich für sie tun.«

»Ach, sind sie doch so freundlich und sagen ihrem Chef, dass ich ausnahmsweise Mal eine Rechnung benötige. Er möge die privaten Zahlungen mit einberechnen. Mein Ex hat sich bereit erklärt die Reparaturkosten vom Haus zu übernehmen und warum ihm dann nicht auch meine Bedürfniskosten bezahlen lassen. Schließlich hat er mich verlassen. Und ich bin heilfroh, dass ihr Chef ein Mann für alle Fälle ist. Ich hoffe, ich kann mich auf ihre Diskretion verlassen?«

»Ja, darauf können sie sich sogar hundert Prozentig verlassen Frau Schmitz.«

Am Abend musste dann Karl-Heinz das Haus zu hundert Prozent verlassen.

Zurück im Büro sah Hans die Kartenwand. Der Stein in seiner Hosentasche vibrierte leicht. Verunsichert tastete er an die Hose, in dem Moment hörte die Vibration auf. Innerlich fühlte er einen Zwang die Wand aufzusuchen.

Zielsicher steuerte er die Tafel an und holte die Ideenkarten hervor, auf dem der Name Lohmann zu lesen war. Er steckte sie alle an eine Seite und verschob die anderen Karten. Dabei bemerkte er zum ersten Mal, dass viele seiner Grundideen in dem Projekt steckten. Die Kollegen bekamen mit, was Hans da bewerkstelligte und fragten ihn, warum er die Karten sortierte?

»Ach wisst ihr, ich bin Neugierig, wie viele Ideen von mir schon in dem Projekt stecken. Ich freue mich darüber, dass ich Dinge angestoßen habe, die ihr dann weiterentwickelt habt. Schaut mal wie viele Ideenkarten es sind.«

Keiner der Kollegen sagte etwas. Alle sahen sich gegenseitig an und Hans sah ihre verwunderten Gesichter.

»Und das mit den Armen, das bekommen wir ebenfalls hin. Ihr wisst doch, was ich da im Kopf habe. Das wird schon.«

Die Anwesenden Mitarbeiter wussten nicht wirklich, was er meinte. Die Idee war im Kopf von Hans und dort gut aufgehoben. Verraten hat er sie bisher nicht. Kleine Hinweise auf Möglichkeiten waren alles was er preisgegeben hatte. Und die führten seine »Schmarotzer« auf eine falsche Fährte.

Nein, diesmal war er klug genug abzuwarten bis sie ihn benötigten. Wenn er auch nicht in der Lage war eine Glühbirne zu wechseln, wie die Ex glaubte, dass die Versuche der Kollegen das Problem zu lösen nicht zum Erfolg führen, dazu war er jedoch in der Lage. Es war sich jetzt mehr als sicher, dass seine Zeit kommen würde.

Hans setzte sich an den Schreibtisch und zum ersten Mal seit langer Zeit, genoss er die Zeit im Büro.

Er frühstückte heute Zuhause ausgiebiger. Trotzdem packte er Gurke, Tomate und Paprika in seine Pausendose. Er machte sich drei Brote zurecht. Dabei belegte er zwei mit Käse. Insgeheim hoffte er, die Frau wieder zu treffen. Sollte er sie im Park antreffen, würde er sie fragen, woher sie seinen Namen kannte und was es mit dem Stein auf sich hat. Dass er nicht nur Wärme ausstrahlte, sondern auch vibrierte. Er hatte ihn Zuhause neben die Butterbrotdose gelegt, damit er ihn nicht vergessen kann. Hatte er der Frau doch versprochen, ihn immer bei sich zu tragen. Freiwillig war sein ja aber nicht gewesen.

Zu den anderen Merkwürdigkeiten, die ihm aufgefallen waren, würde er sie bei passender Gelegenheit befragen, denn alle Besonderheiten zu besprechen, dafür reichte die Zeit der Mittagspause nicht aus.

Schon von Weitem sah er das Grün. Nicht das Grün der Bäume und Sträucher im Park. Nein, es war das Grün ihres Rockes und der Strumpfhose. Und ihr hellblauer Regenschutz. Mit eiligen Schritten näherte er sich ihr.

»Du bist heute aber sehr pünktlich. Warum hast du dich so beeilt? Du weißt doch, dass ich hier bin und auf dich warte.«

Ohne darauf zu antworten, holte er die Brotdose aus dem kleinen Rucksack hervor.

»Magst du ein Brot?«

»Sonst müsstest du doch drei essen. Ich nehme mir eins mit Käse, so wie du es vorhattest«

Hans machte die Dose auf und stellte sie zwischen sich und ihr. Sie nahm sich ein Brot und aß von dem Gemüse.

»Kommst du aus dieser Stadt?«

»Nein, mit der Regionalbahn aus Duisburg.«

Sie wusste also nicht alles stellte Hans fest.

»Warum bist du nicht in Düsseldorf geblieben?«

»Eine alte Geschichte. Da mag ich nicht drüber reden.«

»Verstehe ich, kaputte Beziehungen schmerzen lange, wenn man sie nicht selbst aufgelöst hat.«

Noch bevor Hans sie fragen konnte, woher sie das wusste, fragte sie ihn:

»Warum trägst du keine Designer Klamotten mehr, verdienst doch gutes Geld, hast ein dickes Sparbuch und könntest es dir leisten?«

»Da mach ich mir nichts draus. Seit ich mich von meiner Frau getrennt habe, trage ich keine Anzüge mehr und zieh lieber Jeans und T-Shirts an.«

»Hättest nicht alles auf den Müll werfen sollen, manchmal brauch man auch noch mal einen Anzug.«

»Ich wüsste nicht wofür.«

Im Büro wurde auf Anzug, Schlips und besonderes Outfit bewusst verzichtet. Alle sollten so Bequem wie möglich angezogen sein, nur dadurch würde man eine gute Leistungen erbringen können. Der Chef vertritt nicht nur diese Philosophie, sondern er lebt auch danach. Er trägt Jeans und Pulli, oder im Sommer kurze Hosen und T-Shirts.

Das war beim Senior-Chef noch anders. Anzug und Krawatte waren Pflicht.

 

»Es wird Zeit für dich, und denk an deine Idee. Sprich mit dem Chef.«

»Ja, mach ich. Versprochen.«

»Versprochen? Aber kein Versprechen, was du wieder nicht einhalten wirst.«

 

»Woher weiß sie, dass ich ein Versprechen nicht eingehalten habe?«

Am Bett der totkranken Mutter musste er ihr geloben, dass er sich mit seiner Schwester versöhnt. Doch dazu ist es bisher nie gekommen. Ihm stand nicht der Sinn, die Verhasste wiederzusehen. Zu groß war der Hass auf sie, da Hans der Meinung war, dass sie Mitschuld am schlechten Zustand der Mutter hatte, der dann zu ihrem Tod führte.

 

Hans wusste, dass die Pause bald zu Ende ist, doch es brannten in ihm die Fragen.

»Ich habe eine Frage!«

»Dann entscheide dich zwischen den beiden, die du im Kopf hast!«

»Was ist mit dem Stein, was hat er für eine Bedeutung?«

»Er wird dir bei den Entscheidungen helfen. Trage ihn bei dir und du wirst seinen Sinn erkennen. Alles eine Frage der Zeit, die du jetzt nicht mehr hast.«

Hans sah auf die Uhr. 30 Sekunden, bevor sie eine Vibration ausgelöst hätte.

»Woher verdammt hat sie ein so phänomenales Zeitgefühl? Oder hatte sie ebenfalls eine Uhr oder ein Gerät unter ihren Sachen verborgen, die ihr die Zeit anzeigte?«

Es war immer noch nicht klar, woher sie die Länge seiner Mittagspause wusste.

»Wahrscheinlich denkt sie, viele haben eine dreiviertel Stunde Pause und bei mir ins Schwarze getroffen.« Mit dieser eigenen Erklärung gab er sich zufrieden.

 

Im Büro und am Rechner zurück, las er eine Meldung von seinem Chef, die an die ganze Abteilung gerichtet war. Besprechungstermin um 15.00 Uhr im Chefsaal.

So genannt, weil er auf der Chefetage lag.

»Oh, im Chefsaal«, dachte Hans. Da ist dicke Luft angesagt. Für eine Bonusausschüttung, die üblicher Weise dort verkündigt wird, war es der falsche Zeitpunkt.

»Was wollte der Chef?«

»Weiß einer von euch, um was es bei der Besprechung geht?«, fragte er seinen Schreibtischnachbarn und hob dabei leicht den Kopf, um auch die anderen bei dieser Frage miteinzubeziehen. Doch der schüttelte wie viele andere auch nur den Kopf. »Nee, keine Ahnung, aber wir werden es ja bald erfahren.«

10 Minuten vor dem Termin trafen sich alle, um nach oben zu gelangen. In den Aufzug passten nicht alle hinein. Hans nahm die Treppe. »Warum sich hineinzwängen, wenn es doch nur 18 Stufen waren, bis zur nächten Etage.«

 

Sein Chef hatte auf der letzten Messe, »Haus und Hof« in Magdeburg, einer Gruppe von fünf superreichen Menschen, die schon alles haben, was es gibt auf der Welt, eine Dusche der Superlative versprochen. Hightech bis zum Abwinken. Natürlich würden davon fünf Stück gebaut. Damit war die »Waschmaschine« zwar kein Unikat, aber was Besonderes und nur sie kämen in diesen Genuss der morgendlichen Reinigung ohne selbst was zu tun. Der Rest der Welt werde sich weiterhin von Hand waschen müssen.

Sie besaßen alle den gleichen Hubschrauber, Jet, Jachten und fuhren identische Autos. Ihre Häuser, Wohnungen standen in den Nobelvierteln und sie besuchten gemeinsam Erotik-Hotels. Nur die Ehefrauen waren unterschiedlich, da hier nicht der Geschmack entscheident war, sondern die Liebe den Ausschlag gab.

 

Die versprochene Dusch-Anlage war schon sehr weit ausgereift, doch es gab da eine Schwierigkeit im Ablauf, die scheinbar nicht zu lösen war.

Es störten die Arme des Menschen, um den Wunsch der Superreichen zu erfüllen, waschen von Kopf bis Fuß ohne sich regen zu müssen. Ihre Arme absägen, damit der Ablauf funktioniert, war nur eine gedachte, nicht ernst gemeinte Lösung. Doch sie würde funktionieren.

 

Der gedachte Waschvorgang sollte wie folgt ablaufen:

Bevor der Gast seinen Duschraum betritt, wählt er an einem Display die Funktionen, die er haben möchte: Mann, Frau, Wassertemperatur, ganzer Körper, untere Hälfte, oberer Teil, die Sorte Waschlotion und viele andere Möglichkeiten, was das Herz begehrt. Kaum ein Wunsch sollte unerfüllt bleiben.

Der Mensch betritt nach den Eingaben den runden Duschraum. Die Zugangstüre schließt sich und bildet von da an einen geschlossenen Kreis.

Die Person wird als erstes mit einer warmen Dusche auf den Körper befeuchtet.

Die Temperatur des Wassers ist auf seine gewählte Wärme eingestellt. Der Gast hat die Möglichkeit durch Kommandos in der Duschkabine: »Wasser bitte um zwei Grad wärmer« oder »kälter« die Temperatur zu verändern. Alle Vorgänge sind über Sprachkommandos veränderbar.

Zuerst kommen die Düsen mit der Waschfunktion zum Einsatz. Dabei wird bewusst auf den Kopf verzichtet. Der wird gesondert behandelt.

Unterschiedlich bei Mann und Frau arbeiten sie so, dass der gesamte Körper zuerst mit warmem Wasser abgesprüht wird.

Von den Seiten fahren dann vier drehende, lappenhaltige  Bürsten an den Körper. So wie bei einer Autowaschanlage. Doch diese Lappen waschen nicht nur, sie massieren den Menschen. Jeder einzelne Lappenstreifen besitzt ganz feine Noppen. Die Haut wird dadurch angeregt und bereit für den nächsten Gang. Alle Konturen werden per Laser abgegriffen. Damit berechnet das System wo und wie die einzelnen Lappenbürsten arbeiten müssen. Keine Stelle wird ausgelassen.

Schritt für Schritt wird nun der Körper gewaschen.

Für die Region zwischen den Beinen wird der Gast aufgefordert sich mit seinen Füßen auf die markierten Fußabdrücke am Boden zu stellen. So ist eine Intimwäsche gewährleistet.

Wenn der Kopf an der Reihe ist, wird die Person aufgefordert, den Kopf aufrecht zu halten, Mund und Augen zu schließen.

Im Ablauf gibt es aber wie schon erwähnt eine Schwierigkeit: die Arme.

Sie stören den gesamten Waschgang. Da wo sie sind, kann nicht gewaschen werden. Sie selbst zu waschen ist auch nicht so einfach, ohne dass der Gast zu sehr mitarbeiten muss. Das aber ist ja unerwünscht.

 

Genau darüber hatte Hans nachgedacht. Doch diesmal hat er seine Idee nicht preisgegeben. Kleine Hinweise ja, doch den eigentlichen Clou nicht.

 

Der kleine Saal war bis auf den letzten Stuhl besetzt. 10 Plätze für zehn Mitarbeiter.

Zehn Ingenieure beteiligten sich an dem Projekt. Alle nicht freiwillig. Freigestellt von ihren sonstigen Arbeiten. Ihre Aufgabe war mehr als nur zukünftiges Duschen. Mit diesem Projekt wird das normale Bad Geschichte sein.

 

Der Chef begrüßte kurz die Anwesenden, um dann schnell auf den Grund der Versammlung zu kommen.

»Meine Herren. Termin. Es ist an der Zeit, dass wir das Projekt »Nur Zähne putzen ist nicht mit drin«, zu Ende bringen. Der Auslieferungstermin ist in 8 Monaten und wir sind immer noch in der Entwicklung. Da stelle ich mir die Frage, wo bitte meine Herren verbringen Sie ihre Zeit oder mit was?«

Die Mitarbeiter sahen ihrem Chef an, dass er nicht für Späße aufgelegt war. Er wollte Vorschläge, Fakten und Erfolge.

»Ihnen sollte klar sein, dass wir auf der Nächsten Messe erst gar nicht hinfahren werden, wenn das Projekt nicht rechtzeitig fertig ist oder gar scheitert.«

Danach drehte er sich um und sprach zu der einzigen anwesenden Frau:

»Frau Habelsmann, erläutern Sie doch mal den Herren, wie viel Geld die Firma schon in das Projekt gesteckt hat und wie hoch die Einlage der wartenden Käufer ist. Ich fordere alle Anwesende auf, genau zuzuhören.«

Die Buchhalterin veröffentlichte die Zahlen anhand von Tabellen, Beispielen und erläuterte den Anwesenden den derzeitigen finanziellen Stand der Firma. Währen des Vortrages hörten alle aufmerksam zu. Das wäre auch ohne Ansage von Herrn Granisch der Fall gewesen.

Rot, die Zahlen wiesen ein starkes Rot auf.

Nach dem Vortrag bedankte sich der Chef bei ihr und wieder zu den Mitarbeitern Gewand:

»Kurz um. Wenn das Projekt nicht fertig wird und die Kunden zurücktreten vom Kauf, ist die Firma Pleite.«

Stille herrschte im Raum. Totenstille.

Herr Granisch stand vor den Mitarbeitern und schaute jedem einzelnen in die Augen. Viele ertrugen das nicht und senkten hilflos den Kopf. Hans hielt dem Blick stand.

Nach der einzelnen »Visite« sprach er weiter:

»Es herrscht dringend Bedarf an Vorschlägen, Hinweisen, Ideen. Ruhe war Gestern, Ich erwarte von jedem von Ihnen, dass er um seinen Job kämpft. Vergessen Sie das Zeitsystem, das ist jetzt abgeschaltet, weil Sie die Arbeitszeit nicht mehr unterschreiten, und die Plusstunden für den Erhalt des Unternehmens einbringen werden.«

Der Stein in der Hosentasche von Hans vibrierte, nachdem die Rede von seinem Boss beendet war. Gott sei Dank machte er dabei keine Geräusche. Er hörte auf und begann von Neuem.

Als Herr Granisch und Frau Habelsmann Anstalten zum Verlassen des Raums machten, meldete sich Hans zu Wort.

»Herr Granisch, darf ich was sagen?«

Nicht nur Herr Granisch sah zu Hans hinüber, der aufgestanden war. Zögernd, aber er stand und alle konnten ihn sehen. Gut, dass der Stein ruhig war. Nicht auszudenken, wenn seine Kollegen die vibrierende Hosentasche entdeckt hätten.

Der Chef blieb stehen, schaute ihn wartend an und sagte:

»Ich bitte darum, wenn es uns weiterbringt!«

»Ich denke schon.« Die Stimme von Hans zitterte, doch er nahm alle Kraft zusammen und redete weiter.

»Unsere Probleme bei dem Projekt sind neben den elektronischen, der Wasserdichtigkeit die Arme. Den beiden Gliedern, die an jedem normalen menschlichen Körper hängen. Das ist gut so, da unser Kunde sie nicht heben oder bewegen soll.  Wenn doch, verliert das Zukunftsprojekt seine ganze Wirkung.«

»Das alles wissen wir und nun?«

Sichtlich nervös geworden, verlangte er nahezu zwingend nach einer Erklärung, einer Lösung.

»Darf ich Ihnen meine Lösung zu dem Problem erläutern? Zumindest denke ich, dass es eins unserer schwierigsten Probleme beseitigen wird. Es wird aber was dauern?«

»Wir haben alle Zeit der Welt, jedenfalls bis zur Messe  Herr, Herr ?«

Dem Chef fiel der Name des Mitarbeiters nicht ein. Schon wollte die Buchhalterin, die auch mal im Personalbüro aushalf und deshalb die Namen aller Beschäftigten kannte, dem Chef aus der Not helfen, als Hans sich selbst vorstellte.

»Lohmann, Hans Lohmann Herr Granisch.«

 

»Herr Lohmann, legen Sie los. Wir sind gespannt auf Ihren Vorschlag«

Herr Granisch hatte sich wieder hingesetzt.

»Die Arme des Kunden können wir nicht ignorieren oder verschwinden lassen. Warum auch. Der Käufer soll sie nicht bewegen. Soweit unser Bestreben. Doch eine Veränderung der Lage der Arme ist unausweichlich. Doch nicht vom Kunden. Wir heben für ihn die Gelenke an. Nicht er wird die Arme bewegen, nein, unser System wird es für ihn erledigen. Bitte lassen Sie mich ein Team bilden, um meine Idee umzusetzen.«

Während er redete wurde Hans immer ruhiger. Er war in seinem Elan. Die Idee, die er bisher nur im Kopf verarbeitete, teilte er jetzt direkt dem Chef mit. Diese Idee würde nicht auf einer versteckten Karte landen. Hans war sich sicher, er braucht keinen Nachweis, dass diese Idee von ihm kam.

 

Nach seiner kurzen Einlassung wartete er ab, was Herr Granisch darauf antworten würde.

Die Stille im Raum war fast unerträglich. Keiner wagte etwas zu sagen, jede Bemerkung wäre jetzt unpassend. Und zum spaßen waren sie nicht geladen.

Wollte er nicht in der Versenkung verschwinden, hieß es schweigen. Jeder der im Raum saß, war es bewusst, sollte die Idee von Hans zum Erfolg führen, würden sie alle ihren Arbeitsplatz behalten und die Firma aus den roten Zahlen geführt.

 

Herr Granisch sah Hans an, nach einer Weile stand er auf und sagte:

»An wen haben Sie gedacht Herr?«

 

Jetzt machte Hans bewusst eine kleine Pause. Sein Stein in der Hose wurde wärmer und wieder kälter.

»Damit meine Idee umgesetzt werden kann, würde ich mir für mein Team folgende Mitarbeiter wünschen: Herrn Weil für die Elektronik, Herrn Berg für den Bereich Sanitär. Wichtig wäre Herr Duda für die Stahlkonstruktion. Die Technik übernehme ich selbst.«

Warum gerade diese Herren Herr Lehmann?«

»Sie sind nach meiner Meinung die Besten in ihrem Fachbereich. Vor allem aber sind sie teamfähig und das müssen wir sein, um schnellstmöglich fertig zu werden.

Ich sage bewusst wir, Herr Granich, der Einzelne wird scheitern.  Auch meine Idee wird nur zum Erfolg führen, wenn ich die Hilfe von meinen Kollegen bekomme.«

Jeden Mitarbeiter, den er für sein Team benannte, schaute er bewusst an. So als wollte er ihn einschwören auf die anstehende Aufgabe.

Der Auserwählte fühlte sich zuerst unwohl in seiner Haut. Die Vorstellung, mit diesem Mitläufer zusammen zu arbeiten, war für sie unvorstellbar.

Doch nachdem Hans ihnen in die Augen gesehen hatte, merkten sie in sich eine Veränderung.

Ja, sie fingen an, an die Idee zu glauben. Zu glauben mit ihm den Erfolg zu schaffen, den sie so dringend benötigen. In der ganzen Zeit, in der Hans gesprochen hat, sahen ihn alle an. Ihn, den Unscheinbaren, den Duckmäuser.

 

»Bravo, Bravo, Herr Lohmann. Ich denke, das könnte klappen.« Dann klatschte Herr Granisch nicht überschwänglich. Nein es war ein Anerkennungsklatschen.

Zaghaft schloss sich einer an, dann der nächsten und kurzen Zeit später alle.

Verlegen schaute Hans in die Runde und in die Augen vom Chef.

 

»Sie bekommen ihr Team. Und ich bin mir sicher, ich bin überzeugt, dass sie es mit diesem Team schaffen werden, ihre Idee umzusetzen.«

Herr Granich beendet die Besprechung.

»Die genannten Herren bleiben bitte im Raum. Bei den anderen bedanke ich mich für die Aufmerksamkeit, und die Bereitschaft Herrn Lohmann zu unterstützen, falls er ihre Hilfe benötigt. Ich denke wir haben uns verstanden.«

In kleiner Runde wurde das Projekt »Arme« besprochen.

Viele Kollegen kamen an diesem Tag zu ihm und versicherten ihm ihre Mitarbeit.

Einige biederten sich förmlich an. Kannten sie bis heute Morgen noch nicht mal seinen Namen, so taten sie jetzt, als wären sie die besten Freunde im Arbeitsleben.

 

Der Morgen gestaltete sich wie immer. Butterbrotsdose mit drei Brote, Rohkost fanden den Weg in den Rucksack. Heute auch zwei Äpfel. Den Stein in die Hosentasche eingepackt, fuhr er zur Arbeit. Die Leute in der U-Bahn drängelten und lärmten wie immer, aber das war Hans egal. Er erfreute sich des Lebens.

Mittagspause stand an..

Hans wurde von einem Mitarbeiter zum Mittagessen eingeladen, was er ablehnte. Es zog ihn zum Park, zu der Bank und insbesondere zu der alten, sonderbaren Frau. Mit eiligen Schritten lief er zu der Frau, ihr mitteilen, was für einen Erfolg gestern erlebte.

 

Als er an der Bank ankam, war diese leer. Nicht ganz, ihr buntes Halstuch war dort festgebunden. Er sah sich um, ob die Frau in der Nähe war und sich vieleicht nur die Füße vertrat. Hans hoffte so sehr, dass sie in der Nähe war. Er wollte ihr die Ereignisse von Gestern und von seinem Erfolg berichten. Doch die Frau war nicht zu sehen. Nur ihr Schal zeugte davon, dass sie den Ort besucht hatte.

Er nahm den Schal und sah, dass dort ein Zettel eingebunden war. Ängstlich aber Neugierig nahm er das gefaltete Blatt an sich. Vorsichtig entblätterte er es und las:

»Hans, du hast dein Ziel erreicht. Sei dir sicher, du wirst das Projekt schaffen. Den Stein benötigst du nun nicht mehr. Schenke ihn einen Menschen, der am Boden liegt, der Hilfe benötigt.«

Erst jetzt bemerkte er, dass der Stein kalt war. Er nahm ihn aus der Tasche und sah ihn an. Der Stein war immer noch rund, schön und schwarz marmoriert. Doch es fehlte etwas. Was, das konnte er nur fühlen. Nähe, der Marmorstein war ihm nicht mehr nah, so wie in den letzten Tagen. Ohne diese Wärme und Glanz, sah er aus wie jeder andere Stein der rund geschliffen war.

 

»Wenn du Ideen hast, gehe sie an. Du wirst es schaffen.

Besorg dir einen guten Anzug. Vergiss mich nicht und wenn dich jemand um ein Butterbrot bittet, gib eins ab.«

 

Unterschrieben war der Brief mit: Justitia.

 

Hans legte den Stein Zuhause auf die Kommode im Flur.

Wenn er morgens zur Arbeit fuhr, berührte er ihn vorsichtig. Kälte war alles was er empfand. Der Stein war kalt, so wie seine Gefühle zu dem Stein.

An dem Garderobenschrank hing der bunte Schal der alten Frau. Obwohl klar war, das die Frau bestimmt nicht wieder auftauchen würde, schaute er bei jeder Mittagspause erwartungsvoll zu der Bank, sobald er sie sehen konnte. Nein, sie ist nicht da, waren seine enttäuschenden Gedanken.

Warum er sich einen guten Anzug kaufen sollte verstand er trotz intensivem Nachdenken nicht.

Doch das sollte sich bald klären.

 

Den Stein verschenkte er nach geraumer Zeit an die Wirtin von dem Lokal »Zur kleinen Kneipe«, auch klein Fortuna genann. Seine ehemalige Stammkneipe in Düsseldorf Flingern.

Wenn er mal Durst auf ein Feierabendbier hatte, suchte er diese urige Kneipe auf. Hier trafen sich Rentner zum Skat oder Menschen, denen die Decke auf den Kopf fiel und Leute, so wie Hans, die sich auf ein schönes frisch gezapftes Altbier freuten. Am Wochenende lief der Fernseher und alle Gäste schauten sich die Sportschau an.

F95-Fortuna Düsseldorf. Egal, ob die Mannschaft gewann oder mal wieder mit hängenden Köpfen in die Kabine ging, gefeiert wurde.

Doch die Idylle wurde jäh zerstört, nachdem einige Gäste sich beschwerten, dass das Bier nicht mehr so schmeckte wie früher.

»Gepantschtes Bier, verdünntes Gesöff verkaufen, um sich an uns Kunden zu bereichern«, waren nur zwei der vielen Beschimpfungen, die die Wirtin zu hören bekam. Ihre Beteuerungen, dass sie das Bier nicht verändert hätte, blieben unerhört.

Die Fangruppe verließ als erstes die Kneipe: »Schlechtes Spiel kann ja mal vorkommen, aber schlettes Bier geht ja mal gar nicht. Dat kannste alleine Saufen.«

Durch weitere üble Nachreden blieben nach und nach auch die anderen Gäste weg und Regina stand kurz vor der Aufgabe. Nur durch die Zimmervermietungen an die im Ort arbeitende Monteure konnte sie das Haus und die Kneipe halten.

Hans hatte sich für die Frau entschieden, da er schon damals nicht an ihre Schuld geglaubt hatte.

»Könnte der Stein nicht auch ihr helfen, Unrecht zu beseitigen«, waren seine Überlegungen. Nach der Arbeit fuhr er dort vorbei und setzte sich an die Theke. Bestellte sich ein Bier und schaute sich um. Nur vier Gäste saßen in dem Lokal. Ein Arbeiter an der Theke und zwei ältere Herren, die er von früher kannte.

 

Die Wirtin erkannte Hans und sprach ihn an: »Hallo Hans. Warst lange nicht hier!«

»Du weißt doch, ich lebe jetzt in Duisburg und da liegt das Lokal nicht gerade auf der Strecke, wenn ich nach Hause fahre.«

»Und was treibt dich heute hier hin?«

»Auch wenn du mich für verrückt hältst, aber nimm diesen Stein und trage ihn immer bei dir. Er wird dir helfen.«

»Wobei wird er mir helfen?«

»Das weiß ich nicht, aber mir hat er geholfen.«

Hans erzählte ihr von der Begegnung mit der alten Frau und seinen Erfolg in der Firma. Die Wirtin nahm den Stein und zapfte Hans ein Freibier.

»Du musst mir versprechen, dass du ihn immer bei dir trägst«, dabei schaute er sie streng an.

»Versprochen!«

Natürlich wurde das Projekt in der Firma von Hans rechtzeitig fertig und der Betrieb gerettet.

Mehr noch. Die fünf Kunden, die das Projekt: »Nur Zähne putzen muss man selber« bestellt hatten, waren so zufrieden, dass sie für weitere Badezimmer ihrer anderen Wohnungen, Häuser nachbestellten. Damit war die Firma über Jahre gesichert.

Hans wurde zum ständigen Projektleiter befördert und sein Team mit einem festen Bonus versehen. Doch alle baten ihren Chef, die Zahlungen an die gesamten Mitarbeiter zu verteilen. Hans, der das angeregt hatte, fand diese Regelung gerechter. Schließlich trug jeder was zum Erfolg bei.

Daraufhin verdoppelte der Chef die Summe.

 

»Vergiss mich nicht ganz«, hatte die Frau Hans gebeten, bevor sie verschand.

Sich an sie zu Erinnern fiel ihm nicht schwer. Ihr Regenbogenschal hing an der Garderobe. Jeden Morgen fasste Hans ihn kurz an, bevor er das Haus verließ.

 

Ein wenig später zog er zurück nach Düsseldorf und lernte am Rheinufer seine spätere Frau kennen. Als die Hochzeit anstand, musste seine Braut fesstellen, das Hans keinen Anzug besaß. Man einigte sich auf einen Anzug für die Kirche und eine Kombi fürs Standesamt. Ein Jakett und zwei Hosen waren also nötig und man ging einkaufen.

Bei der Anprobe in einem großen Kaufhaus sah sich Hans im Spiegel den Sitz des Jaketts an, da sah er im Spiegel hinter seinem Rücken die alte Frau. Sie lächelte und winkte ihm mit ihrem Regenbogen Schal zu. Schnell drehte sich Hans um, doch da war nur noch er im Spiegel. Seine Blicke durchwanderten das Umfeld, in der Herrenabteilung doch die alte Frau blieb verschwunden.

»Ich denke das Sakko sitzt ausgezeichnet, findest du nicht?«

Seine zukünftige Frau riss ihn aus seinen Gedanken und dem sinnlosen suchen nach der Alten Frau.

Anzug, Zusatzhose, zwei Hemden und zwei Krawatten waren dann auch recht schnell eingekauft. Schon deshalb weil Hans nach Hause wollte, sehen, was es mit dem Schal auf sich hatte, den er Zuhause wägte.

War es überhaupt »sein« Schal den er bei der Frau gesehen hatte oder besaß sie davon mehrere?«

Zuhause angekommen, schloss er behutsam die Türe auf, obwohl er mit mehr als einer Einkaufstüte bepackt war.

»Was ist los, warum gehst du nicht rein?«, fragte ungeduldig Petra, seine Braut.

Hans sagte nichts, drückte die Türe auf und sah zu

seiner Garderobe, die er aus der alten Wohnung mitgenommen hatte.

Der Schal war nicht mehr da!

Petra drückte sich an Hans vorbei, der wie gebannt auf die Garderobe starrte.

»Sollte er sie nun vergessen?« Für Hans war klar, auch ohne diesen Schal würde sie für immer in seinem Herzen bleiben.

»Was ist los«, wiederholte Petra sich. »Ist was nicht in Ordnung?«

»Der Schal von der alten Frau ist weg.«

»Wie weg?«

»Schau doch selbst oder siehst du ihn irgendwo?«

Da Petra seine Geschichte mit der alten Frau kannte, ihr aber nie richtig glauben schenken konnte, zweifelte sie nun nicht mehr an seinen Worten.

 

Zur Hochzeit lud er auch seine Schwester ein. Endlich konnte Hans sich mit ihr aussprechen und aussöhnen.

Unter den vielen Geschenken war auch eine Regenbogenkarte auf der geöffnete Hände auf zwei Köpfen lagen und der Spruch:

»Meine Hände werden immer schützend über euch sein.«

Als sie die Karte öffneten sahen sie ein Bild von einem Engel mit einem runden schwarzen Stein in der Hand.

 

 

 

Drei Tage nach der Übergabe kam nach der Öffnung des Lokals die alte Frau herein.

»Verzeihung, darf ich mal ihre Toilette benutzen?«

»Ja, da hinten um die Ecke.« Regina erkannte die Frau sofort. Hans hatte sie ihm ja ausführlich beschrieben.

Zurück, setzte sich die Frau an die Theke und fragte Regina: »Hast du den Stein bei dir?«

Verwirrt schaute die Wirtin die Frau an.

»Hatte Hans ihr berichtet, dass sie jetzt den Stein besaß? Doch wie sollte das gehen. Er kannte doch noch nicht einmal ihren richtigen Namen oder gar ihre Adresse, hatte er ihr erzählt. Wie also hätte er diese Information weitergeben können? Und doch war die Frau da.«

 

Nach diesen Überlegungen sah sie sich die Frau und ihre Kleidung genauer an. Hans hatte nicht übertrieben. Wie ein Regenbogen war sie gekleidet. Altes und neues vermischte sich zu einem bunten Reigen.

Regina nickte und holte den Stein aus einer kleinen Geldtasche, die sie an einer Kette um den Hals trug.

»Gib ihn mir und zapf mir ein Bier.«

Zögerlich sah sie die Frau an.

»Kindchen, ich will ihn dir nicht stehlen. Ich will ihn nur mal berühren. Habe ihn schon lange nicht mehr in den Händen gehalten.«

Sie streckte ihre Hände aus und Regina übergab ihr den Stein.

Die alte Frau nahm ihn in ihre Hände, die sie anschließend wie zu einem Gebet faltete.

»Denke daran, mir ein Bier zu zapfen.«

Auch hier zögernd, zapfte sie und stellte ihr dann ein Bier hin.

Nachdem die Frau ihr ausgetrunken hatte, gab sie Regina den Stein zurück.

Als die ihn wieder in die Hand bekam, war er zu ihrer Verwunderung warm und sein Antlitz strahlender geworden. Die Wärme schob sie auf die Hände der Frau, die ihn wohl zwischen ihren Händen erwärmt hatte. Den Glanz ebenfalls.

»Mal sehen, wie lange sich die Wärme hält«, dachte Regina und packte den Stein wieder in die Geldbörse.

»Wenig Gäste in deinem Lokal, Regina.«

»Sie kennen meinen Namen?« Sie erinnerte sich an die Worte von Hans, der berichtet hatte, das sie ihn mit dem Vornamen angesprochen hatte. Er war sich sicher, dass sie sich vorher noch nie begegnet waren.

»Üble Nachrede geht in vielen Fällen nicht gut für den aus, den es trifft, den sie bezichtigen.«

»Woher wissen sie, dass mir übel mitgespielt wurde?«

»Gut, dass du immer genug Bier im Keller hast. Zapf mir noch eins.«

Regina wollte sie gerade fragen, ob sie auch Geld hat um das Bier zu bezahlen, als der Stein in ihrem Geldbeutel anfing zu vibrieren. Sie verwarf die Geldfrage und zapfte ein weiteres Freibier.

»Alles gut. Der Stein ist am richtigen Platz.«

Der erwärmte sich ein wenig mehr, dafür hörte die Vibration auf.

Die Wirtin lief kurz nach hinten in die Küche und als sie wiederkam, war die Frau gegangen.

 

Vier Wochen veränderte sich nichts. Kaum Gäste und kaum Umsatz. Der Stein strahlte indes immer noch Wärme aus. Von den Händen der alten Frau kann das aber nicht mehr sein, stellte Regina fest. Wohl doch was Besonderes, was sie da am Hals trug, bewirkt hat er bis dahin jedoch nichts.

Den Briefkasten öffnete sie ungern. Kein Wunder, denn die wenigen Briefe die sie bekam, waren Rechnungen. Doch diesmal war es keine Zahlungsaufforderung, nein, es war ein Brief vom Gericht.

»Was will das Gericht von mir? Das Verfahren ist doch eingestellt. Und falsch geparkt habe ich in letzter Zeit auch nicht.«

Der Stein auf ihrer Brust, den sie trotz Unglaube an eine Hilfe nicht entfernt hatte, wurde wieder wärmer, sodass Regina ihn mehr als sonst spürte. Mit zittrigen Händen öffnete sie den Brief.

Ihr wurde mitgeteilt, dass die Brauerei, die sie damals beliefert hat, bei einem Verfahren wegen Bierstreckung angeklagt wurde. Bei der Beweisaufnahme wurden in den Unterlagen weitere Gastronomie entdeckt, die ebenfalls verdünntes Bier erhalten hatten. Darunter auch ihr Lokal »Zur kleinen Kneipe«.

Sie sollte als Zeugin aussagen und dazu beitragen, dass die Brauerei verurteilt wird.

»Sollte sie rehabilitiert werden?« Doch was nützt das, die meisten Gäste hatten sich andere Kneipen gesucht und waren dort zu Stammgäste geworden.

Unruhe kam in ihr auf. Dazu gesellte sich die Hoffnung auf bessere Zeiten.

Aus dem Schrank nahm sie den Ordner mit dem damaligen Vorgang.

Da der Brauerei damalig nichts nachgewiesen werden konnte, dass sie verdünnten Bier geliefert hatten, wurde das Verfahren eingestellt.

 

An diesem Tag bekam sie wieder Besuch von der alten Frau.

Nach der Bitte zum WC gehen zu dürfen und dem Wunsch nach einem Bier setzte sie sich erneut an die Theke.

Das Bier war diesmal schnell gezapft und ebenso rasch geleert. Regina zapfte ihr ein zweites. Dabei sah sie zum ersten Mal auf die zarten und gepflegten Hände, von denen auch Hans gesprochen hatte.

Sie passten nicht zu dem alten Gesicht und den grauen Haaren.

»Der Brief ist nur der Anfang. Rufe deinen Anwalt an. Du solltest die Brauerei auf Schadensersatz verklagen.«

»Woher wissen Sie, dass ich einen Brief bekommen habe?«

»Regina, anstatt Fragen zu stellen, solltest du mal die Scheiben von deinen Schaukästen reinigen. Es ist ja kaum zu lesen, was da steht. Dabei ist es wichtig, dass sie lesen können, was du ihnen anbietest. Danke fürs Bier.«

Kaum dass sie das gesagt hatte, stand sie auf und ging hinaus. Nicht wie eine alte Frau, sondern flott und sehr eilig.

 

»Warum sollte sie die Scheiben der Kästen reinigen?«, fragte sich die Wirtin.

»Steht doch eh immer das Gleiche auf der Getränkeliste und die kennen die wenigen Gäste auswendig.«

Wie unter Zwang nahm sie einen feuchten Lappen, die Schlüssel für die Kastenschlösser und ging hinaus. Was sie sah verwunderte sie. In dem Moment vibrierte auch der Stein.

In dem einen Schaukasten war ein Zeitungsartikel von der Zeitung der Region. Dort wurde der Skandalbericht über die Brauerei gezeigt. Ebenso die betroffenen und geschädigten Kneipen und Restaurants. Ein Zeitungsausschnitt, der erst am nächsten Tagen erscheinen wird. In dem anderen Kasten hing die Anklageschrift vom Gericht.

Regina putze die Scheiben, als würden dort die Kronjuwelen zu sehen sein. Kein Fleck und kein Staubkörnchen sollten die Berichte verdecken. Als sie wieder in die Stube ging, hörte die Vibration des Steins auf.

Sichtlich verwirrt zapfte sie zwei Bier, und zwei Kurze die von den beiden älteren Herren bestellt wurden.

»Eigenartig, sonst tranken sie nur Bier.«

Als sie die Getränke servierte und »zum Wohle« sagte, ergänzte einer der beiden:

»Auf bessere Zeiten.«

»Wie kommst du jetzt darauf?«

»Ach, fiel mir so ein. Hätte ja auch »zur Feier des Tages« sagen können. Das hatte ich auch noch gedacht.«

Regina war das alles nicht geheuer.

»Was passiert hier?« Eine Antwort bekam sie darauf nicht.

Am Abend kamen ehemalige Stammgäste und beteuerten Regina, schon immer gewusst haben, dass sie es nicht war, die das Bier verdünnt hatte.

Schnell hatte es sich herumgesprochen, dass der damalige Lieferant der Schuldige war, der ihnen die Lust auf ein schönes gezapftes Altbier vermiest hatte. Wut kam auf und auch Scham. Hatten sie doch die Unschuldsbezeugungen der Wirtin nicht geglaubt. Nach und nach kamen sie zurück. Einige taten so, als wären sie nie weggewesen. Regina nahm alle so, wie sie waren. Sie freute sich über den Andrang im Haus. Es war ihr nicht egal, wie sie sich benommen haben, aber nun konnte sie mit ihrer kleinen Kneipe überleben. Und nur das ist wichtig.

 

Bestärkt durch die Aussage der alten Frau, rief die Wirtin ihren Anwalt an und bekam wenig später einen Termin bei ihm. Als Nebenklägerin bereitete er für sie die Schadensersatzklage vor.

Beim Zusammenrechnen des Ausfalls vibrierte der Stein immer dann, wenn sie den Preis für das ein oder andere zu gering ansetzte.

Es dauerte nicht lange und sie erhielt einen Brief vom Rechtsanwalt der Brauerei. Der bot ihr einen Vergleich an. Das Angebot war üppig und Regina beschloss, es anzunehmen, obwohl ihr Anwalt sie bestärkte, ihren gesamten Anspruch einzufordern. Wohl auch aus eigenem Interesse. Ihr war es genug und beendete so den Rechtsstreit auf die schnelle Art.

 

An einem Morgen, Regina hatte nur 5 Stunden geschlafen, schellte es an ihrer Haustüre.

»Post« hörte sie über die Sprechanlage. Es war ein Einschreiben ohne Absender.

»Hallo Regina. Du hast Recht bekommen und du wirst in deinem weiteren Leben, was nur dich betrifft, kein Unrecht mehr erleben.

Du solltest dir zwei Angestellte suchen, um den weiter ansteigenden Gästestrom zu bewältigen. Lass dir helfen und hilf dadurch andere.«

Seit dem Erhalt des Steins und dem ersten Erscheinen der alten Frau waren fünf Monate vergangen. Das Geschäft lief wirklich gut und sie hatte mehr als nur gut zu tun.

Am Wochenende kamen, wenn auch noch vereinzelnt, Fortuna Anhänger zurück in die kleine Kneipe. Natürlich lief dann auch der Fernseher wieder und Fangesänge erklangen bis spät in die Nacht.

Sie dachte immer häufiger darüber nach, sich Hilfe zu holen. Von morgens um 11. – bis abends weit nach 23.00 Uhr war für sie sehr anstrengend geworden. um 7.00 Uhr war sie zum Einkaufen unterwegs. Nur das Notwendigste, obwohl die Gäste nach kleinen Häppchen, belegte Brötchen, eine Bockwurst verlangten. Es gab aber nur Mettwürstchen. Alles andere war nicht zu bewerkstelligen. An den Wochenenden half ihr der ein oder andere Freund, doch die mussten gebeten werden, kosteten viel Geld und soffen selbst soviel wie rein ging.

 

Am Ende des Briefes stand in den Farben des Regenbogens geschrieben:

»Du benötigst den Stein nicht mehr. Gib ihn an eine bedürftige Person weiter, die du kennst und Hilfe benötigt.«

Unterschrieben war der Brief mit: Justitia.

»Justitia?  War das nicht die Göttin für Gerechtigkeit?« fragte sich Regina und war sich gleichzeitig sicher, dass sie Recht mit ihrer Annahme hatte.

 

Mit leichtem verweintem Gesicht nahm sie ihren kleinen Geldbeutel ab. Der Stein war kalt. Sie überlegte, ob sie ihn nicht doch behalten sollte. Einfach so als Erinnerung. Kaum dass sie das dachte, wurde der Stein so heiß, das sie ihn fallen lassen musste.

Regina hatte verstanden.

Sie musste sich von ihm trennen. Dem Stein, der ihr die Zukunft zurückgebracht hatte.

Weil sie nicht wußte, wem sie den Stein überreichen könnte, legte sie ihn in ein Kästchen.

Sobald ihr einfallen würde, wem geholfen werden muss, würde sie ihn hervorholen und weiterrreichen. Doch nach kurzer Zeit vergas sie den Stein und auch die alte Frau.

 

Zwei Tage später meldeten sich gleich drei Personen auf den Aushang, den die Wirtin in den Schaukästen ausgehangen hat. Zwei von den dreien stellte sie für das Lokal ein. Ein Ehepaar aus der Türkei, die noch nicht lange in Deutschland lebten. Ihre Deutschkenntnisse waren aber gut. Der Mann hatte von seinem Vater die deutsche Sprache gelernt, da dieser viele Jahre bei Mannesmann gearbeitet hatte. Die Frau hatte bis dahin einen Job in einer Wäscherei. Familienbetrieb, in dem nur deutsch gesprochen wurde. Am Anfang war es sehr schwer für sie, doch das kommt ihr heute zu gute.

Die dritte Person, die sich bewarb, eine ältere Frau, die einen Job benötigte, aber für eine Kellnerin zu unbeweglich war, da sie eine Gehbehinderung hatte und sich für den Thekendienst bewarb, wurde nach ihren Kochkünsten befragt.

»Ich habe drei Kinder und einen Mann versorgt. Das ist alles, was ich an Kochkünsten aufweisen kann.«

»Das ist genau das, was ich brauche und gesucht habe.«
Sie stellte die Frau mit Namen Rosa für die kleine Küche ein. Das meiste des Angebots bereitete Rosa Zuhause vor. Kuchen, Frikadellen und belegte Brötchen. Die Gäste waren mehr als zufrieden.

 Die kleine Kneipe lief gut und ihr Personal war goldrichtig. War sie früher allein, so hatte sie nun eine richtig kleine Familie. In der Zwischenzeit konnte sie sich und dem Personal einen freien Tag gönnen.

Montags ist Ruhetag.

Alle zusammen hatten das Schild im Fenster aufgestellt. Der Montag war für alle ab sofort der Sonntag.

An einem Samstagmorgen hörte Regina ein leichtes Brummen.

»Wo brummt es denn hier?«, fragte sie sich und versuchtes es zu lokalisieren.

»Das kommt aus dem Wohnzimmer und als sie den Raum betrat stellte sie fest, das das Geräusch aus der Vitrine kam. Genauer gesagt aus der Schatulle, wo sie den Stein deponiert hatte. Das Kästchen vibrierte leicht. Regina faste es an und sofort hörte die vibration auf. Als sie die Hand wegnahm fing die Vibration wieder an. Sie Begriff, das die Schatulle wollte, das sie geöffnet wird. Was Regina dann auch tat und den Stein herausnahm. Er wurde in der Hand sofort warm. Ein zurücklegen erwies sich als unmöglich, da er sofort wieder vibrierte. Sie nahm ihre Brusttasche, steckte den Stein dort hinein und hing sie sich um den Hals. So wie sie getan hatte, als der Stein ihr geholfen hat.

Nicht wirklich verstehend trug sie den Stein den ganzen Tag mit sich herum.

An diesem Tag feierte eine Hochzeitsgesellschaft bis in den Frühen Morgen hinein. Sie hatten das ganze Lokal gemietet und Rosa hatte das kalte Buffet geliefert. Die Gäste waren voll des Lobes und konnten immer wieder mal zugreifen, was sie dann auch taten.

Um fünf Uhr am Sonntagmorgen schickte Regina die letzten Gäste nach Hause. Das Personal nahm noch einen Absacker und trat danach ebenfalls den Heimweg an.

Kurz bevor sie abschließen wollte, wurde der Stein in der Brusttasche warm. Als sie sich der Türe näherte um abzuschließen viebrierte der Stein. Regina blieb stehen und wußte nur einen Moment später warum der Stein so reagierte. Warum er aus dem Kästchen geholt werden wollte:

Es öffnete sich die Türe und die Alte Frau trat ein. Der Stein wurde wärmer, ja so heiß, da sie das Täschchen ablegen mußte.

»Guten Morgen Regina ich bin gekommen um den Stein zu holen. Du brauchst ihn nicht mehr, es gibt aber noch viele »Steinsammler« die ihn dringlichst benötigen«, dabei ging sie zum Tresen und setzte sich.

Regina sah die Frau an, war aber nicht in der Lage was zu sagen oder zu reagieren.

»Zapf mir ein Bier, die Zapfanlage ist ja noch auf.«

»Stimmt, die hatte sie vergessen abzuschalten, doch woher wußte sie das«, ihre Gedanken kreisten in der Welt des unerklärlichen, während sie zur Theke ging und der Frau ein Bier zapfte.

Die Frau nahm den Stein aus der Tasche und legte ihn zwischen ihre zarten Hände.

Durch die Haut und Finger war zu sehen, das der Stein leuchtete. Der Stein verschwand dann in ihre Manteltasche und sie griff nach dem Bierglas.

Hastig trank die Frau und verlangte ein zweites von der Wirtin. Regina kam der bitte nach und stellte ihr das Bier auf den Tresen.

Gerade wollte sie der Frau was fragen, als sie hörte: »Du kannst die Zapfanlage nun abstellen. Ich werde kein weiteres Bier mehr trinken. Danke.«

Ohne nun was zu sagen oder zu fragen, kniete sie Regina hin und legte den ein und anderen Hebel um, damit die Zufuhr gesperrt wurde.

»Sagen Sie mal, was hat es mit Stein…..« Regina stoppte mit ihrer Frage. Die Frau saß nicht mehr auf dem Hocker.

»Vielleicht ist sie ja auf die Toilette gegangen« und machte sich auf um dort nachzusehen. Da fiel ihr ein, das sie die Türe zu den Toiletten schon abgeschlossen hatte. Die wurde verschlossen, weil Diebe schon einmal durch ein Klofenster eingedrungen waren.

Da konnte die Frau also nicht sein, doch wo war sie?. Die Türe vom Ausgang hatte sie nicht benutzt, da sie beim zufallen immer ein lautes Geräusch machte, da das Schloss nicht mehr so gut funktionierte.

Auch wenn Regina sich noch so sehr bemühte die Frau im Lokal zu finden, sie blieb verschwunden. Ihr Bier hatte sie jedoch noch ausgetrunken.

Ziemlich verwirrt ging sie erneut zu der Ausgangstür um diese zu verschließen, doch als sie den Schlüsser herumdrehen wollte, merkte sie das die Türe bereits verschlossen war.

»Ist sie nach oben in die Wohnung gegangen?, fragte Regina sich und war auch schon auf den Weg zur Türe mit der Aufschrift »Privat«. Ein herunterdrücken der Klinke bestätigte ihr jedoch, das diese auch verschlossen war.

Die Wirtin löschte das Licht und ging hinauf in ihre Wohnung. Dort hing an der Garderobe ein bunter Schal mit einem Zettel: »Vergiss micht nicht. Justitia«

 

Michael  Schönberg