© by Katharina Tröstl

Es ist kalt geworden. Und dunkel. Es ist so dunkel in den letzten Tagen. Ich mag das nicht. Alles wirkt dann so düster. Irgendwie hab ich sogar ein bisschen Angst. Ganz alleine stehe ich hier. Na gut, ich möchte ehrlich sein: ich steh nicht ganz alleine hier, aber ich fühl mich so. Keiner spricht mit mir. Niemand schaut mich an. Nicht mal beim Vorbeigehen würdigen sie mich eines Blickes. Sie tun so, als sei ich gar nicht anwesend.

Naja, ich weiß schon, die Auswahl ist groß hier und vermutlich habe ich nichts Besonderes an mir, das sie dazu bewegen würde, sich mit mir zu beschäftigen. Wäre ich bloß ein bisschen ausgefallener. Oder größer! Wenn ich größer wär, würden sie mich bestimmt beachten. Wie eine graue Maus steh ich hier herum. Ich wirke so fad, fast schäme ich mich dafür. Vermutlich würde ich mich selbst auch nicht anschauen, wenn ich mir begegnen würde. Wäre ich bunter, ja dann schon! Wer farbenfroh ist, hat‘s immer leichter. Beachtung bekommt der, der außergewöhnlich ist und auffällt – ja, der bekommt Aufmerksamkeit. Ich hab fast das Gefühl, ich bin der einzige hier, der nicht auffällt. Alle anderen tun das – alle anderen sind…hm…ist das nicht komisch? Wenn alle anderen außergewöhnlich sind, sind sie denn dann noch außer-gewöhnlich? Bin nicht vielmehr ICH dann der außer-gewöhnliche?

Wenn ich ehrlich bin, möchte ich gar nicht auffallen. Ich möchte auch gar nicht bunter oder größer sein. Ich möchte einfach nur ich selbst sein. Und ich möchte gesehen werden. Vielleicht bringt mir jemand eine schöne Blume? Man kann auch gut mit mir reden. Ich hab immer ein offenes Ohr. Ich hör gerne zu. Und lange. Ich hab viel Zeit. Und Geduld.

Vielleicht besuchst du mich mal, wenn du Zeit hast? Ich warte auf dich – ich gebe dir alle Zeit der Welt. Ich verspreche dir, ich lauf nicht weg. Das tut so einer wie ich nämlich nicht…

Aus der Sicht eines Grabsteines