© by Michaela Lipp

Das Weißbrot auf dem Einkaufszettel

 Mein gelernter Beruf ist Verkäuferin im Lebensmitteleinzelhandel. (Einzelhandelskauffrau).

Nach meiner Lehre wurde ich in dem Laden beschäftigt, in dem ich mein drittes Lehrjahr beendet hatte. Inzwischen war ich die Vertretung des Marktleiters. Mein Titel war „Erstverkäuferin“ und ich war zuständig für 27 Angestellte, wenn der Chef nicht da war. Ich hatte die Verantwortung, den Ladenschlüssel und musste alles erledigen. Oftmals war diese Situation einen Tag die Woche, manchmal nur einmal im Monat oder auch von Freitagabend bis Mittwoch früh! Und später hatte ich diese Verantwortung auch für den kompletten Chefurlaub. Da bekam ich dann doch meistens einen weiteren Verkäufer zur Seite gestellt.

 Samstags fingen wir oft um sechs Uhr am Morgen an, um den Laden für den halben Verkaufstag richtig zu bestücken. Die Bäcker lieferten schon bald, und auch die Obstlieferung war da. Wir arbeiteten Hand in Hand und freuten uns aufs Wochenende. In den 80er Jahren war samstags bei uns um 13 Uhr Geschäftsschluss. Viele meiner Freunde waren schon am Freitag im Wochenende-Modus, wir Verkäuferinnen eben noch nicht. Immer musste ich freitags recht bald heim, weil ich am Samstag arbeiten musste. Aber egal, so war es. Ich hatte einen Beruf, der mir Freude machte, und ich verdiente mein eigenes Geld.

 So ist es auch verständlich, dass wir uns nach Ladenschluss alle beeilten. Die Jüngeren, um etwas vorzuschlafen, dass für den Samstagabend noch etwas Energie aufgetankt war. Die Verheirateten, um ihren Wochenendputz oder Sonstiges zu erledigen.

Ladenschluss war um 13 Uhr. Dann durften wir die Wurstabteilung/Käseabteilung leer räumen, sie auswaschen (mit einem Wasserschlauch), danach trocknen und desinfizieren. Die Kassiererinnen konnten auch ihre Abrechnung machen und wir, die Chefs, dann die Einzahlung für die Bank vorbereiten, den Wochenabschluss erledigen, und alles in die Zentrale senden.

Die Dame von der Obstabteilung musste auch alles ausräumen, auswaschen und darauf achten, dass so wenig, wie möglich verdorbenes Obst oder Gemüse übers Wochenende herumlag. Manchmal war ein Durchkommen durch den Laden kaum möglich. Wir mussten ja selbst auch unsere Einkäufe bezahlen, es war ein Gewusel und ein Zusammenhelfen aller Mitarbeiter.

 Jetzt kommt der Mann ins Spiel, um den es in meiner Geschichte geht: Der Rentner.

Der Rentner war ein Stammkunde von uns. Er wohnte im Ort (das Ganze spielte sich in einem größeren Dorf ab).

Er hatte einen kleinen Hund und war unter der Woche mehr als einmal da. Für Samstag hat er immer ein Weißbrot bestellt. Eine Stolle Brot. (Hier in Österreich würde man Wecken sagen). Da ich den Namen von dem Herrn nicht mehr weiß, werde ich ihn einfach „Rentner“ nennen. Samstags kam er immer kurz vor Ladenschluss und holte sich sein Brot ab. Bis dahin war alles gut. Aber er ließ die Zeit immer mehr schleifen und kam jedes Mal später in den Laden. Viertel nach Eins wurde es manchmal. Mein Chef machte stets gute Miene zum bösen Spiel. Wir alle waren bald sehr genervt, ja fast wütend auf den Rentner. Wir mussten immer Rücksicht nehmen, dass der Rentner nicht über den Wasserschlauch fiel, nicht in unseren Wasserpfützen (Wasserlacken) ausrutschte. Natürlich war es nass, es lag Schmutz herum, wir arbeiteten schließlich. Wir mussten nochmal die Wurst frisch aufschneiden. Er wühlte im Gemüse oder im Obst herum. Der Rentner ließ es sich nicht nehmen, sein Brot immer später abzuholen und sich weitere Einkäufe auszusuchen. Dadurch verschob sich unser Start ins Wochenende immer weiter nach hinten.

„Der Kunde ist König“, das war uns von der Geschäftsleitung eingetrichtert worden. Ich schmiedete einen Plan. Nachdem der Chef immer abwinkte, wenn ich ihn darauf ansprach, nahm ich das ganze selbst in die Hand. Mein Chef hatte sich am Freitagabend in sein langes Wochenende verabschiedet. Ich musste die Verantwortung für ein ganzes langes Wochenende bis zum Mittwochmorgen tragen.

Es war am Samstag zu Mittag um 13 Uhr. Ich schloss die Eingangstüre ab, und nur noch die Ausgangstüre war für die letzten Kunden offen. Um 13.10 Uhr waren alle Kunden draußen, nun wurde auch die Ausgangstüre geschlossen. Die Mädels im Laden schufteten, ich rannte hin und her, wollte ich doch allen ein paar Minuten eher Wochenende gönnen. Da klingelte es an der Lagertüre, das war unser Hintereingang und der Personal Ein- und Ausgang. Ich wappnete mich. Ich ahnte, wer da war. Inzwischen war es 13.15Uhr. Ich atmete tief ein und öffnete die Türe. Dort stand der Rentner und meinte: „Ich brauche doch mein Brot.“

Und ich sagte zu ihm: „Wir haben seit einer Viertelstunde geschlossen. Es tut mir leid, wir müssen heute alle pünktlich weg. Ihr Brot geht an den Bäcker zurück, ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende.“ Sprach’s und schloss die Türe.

Wieder klingelte es an der Türe, nochmal öffnete ich, und er meinte: „Ich werde mich beschweren, wie ist ihr Name.“ Stolz sage ich ihm meinen Nachnamen und auch, dass mein Chef ab Mittwoch wieder im Geschäft ist. Dann zog der Rentner vor sich hin schimpfend von Dannen.

Ich war zweigeteilt, auf der einen Seite war es wichtig für mich, das einmal erledigt zu haben, auf der anderen Seite hatte ich Angst, dass ich Ärger bekommen würde.

Ich schrieb am Wochenende eine Nachricht an meinen Chef, die ich ihm am Dienstagabend auf den Schreibtisch legte. Er sollte wissen, was auf ihn zukommen würde, ein ärgerlicher Rentner.

Da es im Dorf ein paar Cafés mit Bäckereien gab, die auch am Wochenende offen hatten, würde der Rentner nicht verhungern, sicherlich nicht.

Ich hatte am Mittwoch frei, erst wieder am Donnerstag sah ich dann meinen Chef. Natürlich war der Rentner da gewesen und hatte sich bitterlich über mich beschwert. Aber mein Chef kannte mich, und er stand hinter mir, auch wenn er das nicht öffentlich zugeben durfte. So hatte er zu dem Rentner gesagt, dass ich in dieser Zeit die Verantwortliche gewesen bin und das, was ich mache, nicht in seinem Bereich liegt. Er würde mich natürlich auf mein Fehlverhalten ansprechen. Zu mir aber sagte er: „Mach ein geknicktes Gesicht und entschuldige dich. Fertig!“

 Ab diesen Zeitpunkt war der Rentner zum Brotkaufen wieder vor 13 Uhr da. Alle Mitarbeiter freuten sich mit mir und klopften mir auf die Schulter.