© by Johanna Blümel

Ansichten einer Dungfliege

Ich kam in der dicken, cremig-warmen Fülle eines Kuhfladens zur Welt. Es war also nicht das Licht der Welt, das ich als erstes sah, als ich mein Ei verließ.

Meine Eltern habe ich nie kennen gelernt. Meine Mutter hat mich im Mist hinterlegt und machte die Fliege. Naja, auch ihr ist es nicht anders ergangen, wie sollte sie es besser wissen. Aber immerhin hat die Wärme und Feuchtigkeit des Fladens meinen Lebensbeginn begleitet und der Dünger meiner Kinderstube gab mir Nahrung.

Natürlich hat jeder Mist einmal ein Ende.

Als unser Fladen vertrocknete, suchten wir Jungdungfliegen das Weite.

Wir mussten jedoch nicht in die Ferne schweifen, denn das Gute fiel oft nah. Es soll ja Leute geben, die mit dem Mist des Lebens nichts anzufangen wissen, aber das liegt an ihrer falschen Sichtweise.

Der Pillendreher, auch als Skarabäus bekannt, macht runde Kugeln aus dem Kot und gibt diese Pille seinen Kindern. Manche dieser Käfer machen aus diesen Kugeln ein Brautgeschenk. Welcher Mann kommt je so billig weg bei seiner Braut? Und die Braut gibt sich die Kugel schon am Beginn der Beziehung. Verrücktes Leben.

Wenn uns Dungfliegen der Mist über dem Kopf steht, sind wir in unserem Element. Den Spruch: „Wenn dir das Leben eine Zitrone bietet, mach` Saft daraus.“, finde ich flach wie einen Kuhfladen. Das Leben bietet nicht so viele Zitronen wie Mist, aber nur der frische Fladen ist so etwas wie ein „Fliegen-Smoothie“.

Natürlich, mir hat der Kot den Einstieg ins Leben erleichtert, aber wesentlich ist es, aus allem wieder raus zu kommen. Zumindest den Kopf, damit die Sicht und die Gedanken wieder klar werden können.

Meine erste Lebenserkenntnis war, ich bin von Kot umgeben, aber ich darf nicht drin bleiben, noch muss ich jeden anfliegen. Alles zu seiner Zeit.

Auch ich pausiere gerne, genieße die Sonne und putze mich – ich bin ja keine Schmutzfliege. Aber während solcher Pausen oder Unachtsamkeiten kann es schon vorkommen, dass mich etwas trifft, was keine sonnigen Gefühle auslöst.

Alles Putzen vergeblich, die ganze Arbeit hin und welcher Hintern das war, kann ich auch nicht immer klären.

Die Fliege machen kann ich danach nicht gleich, dazu muss ich erst wieder ins Reine mit mir kommen. Bleibt also nichts anderes übrig, als wieder von vorne mit dem Putzen zu beginnen.

Die meisten „Misterzeuger“ ziehen weiter ohne, dass sie wissen was sie angerichtet haben, etlichen ist es gleichgültig. Hauptsache mein Gras ist grün.

Ich kann es nicht verhindern, dass man mich mit Dreck bewirft, aber ich lasse ihn nicht auf mir sitzen. Reinigen, loslassen und gefährliche Stellen meiden, muss ich immer wieder lernen. Manchmal kommt aber auch ein Regenguss von oben und reinigt mich, unverhofft und gründlich. Das genieße ich. Schließlich brauche auch ich Wasser.

Daraus lernte ich, alles, das aus dem blauen Bereich von ganz oben kommt, reinigt und wärmt, alles aus dem dazwischen, kann mal geben, mal nehmen, und immer wieder fühlt man sich eben etwas „beschienen“.

So meinen wir Dungfliegen: „Wenn du im Mist steckst, schau, dass du möglichst bald den Kopf frei bekommst. Nicht aus jedem Dreck wird Dünger und nicht aus jeder Zitrone kommt Saft. Manches müssen wir einfach „stehen lassen“ lernen, ohne es zu verstehen.