© by Renate Lind

 

Ein paar Tage aus dem Leben eines Katers

 

Ich weiß eigentlich gar nicht mehr genau wie ich hierher gekommen bin, hier in dieses Kukuruzfeld. Ich weiß nur noch, dass mein einziger Gedanke war: Flucht, weg von diesen Monstern! Sie hatten es getan, sie hatten es tatsächlich getan! Nie, niemals hätte ich das von ihnen gedacht. Vorgegaukelt haben sie mir ihre Liebe, ihr Streicheln, ihr Liebkosen. Alles war nur pure Falschheit. Nun sitze ich hier in diesem Feld hinter unserem Bahndamm und mir fehlt eines meiner wichtigsten Körperteile, dort wo noch gestern zwei kräftige, prachtvolle Kugeln prangten, war jetzt nur noch ein leerer Fellbeutel an meinem Hinterteil. Ich wusste ja bereits von ein paar Kollegen in der Nachbarschaft, dass einige unter diesen Zweibeinern zu diesem Schritt fähig waren. Aber doch nicht meine! Meine Zweibeiner hatte ich doch im Laufe der Jahre richtig nett gefunden, ja ich hatte sie sogar ganz gerne gehabt. Ich ließ sie in meinem Haus wohnen, und war auch sonst immer ziemlich tolerant, wenn sie mich mal wieder allzu exzessiv streichelten oder drückten. Und das taten sie meistens. Aber mit einem flinken Hieb meiner scharfen Krallen war dieses Problem schnell gelöst. Schwieriger war da schon die Nahrungsbeschaffung. Sie versorgten mich immer ausreichend mit Futter, aber wenn ich wieder mal das Gefühl hatte, dass ich an der Reihe war mit der Ernährung meiner Zweibeiner, dann gab es da schon einige Schwierigkeiten.

Ich erinnere mich noch sehr gut an eine Sache. Sie passierte im Sommer vergangenen Jahres. Es waren sehr warme und helle Nächte, und im Garten lief jede Menge fellbezogenes Futter herum. Ich hatte mir den Bauch schon tüchtig vollgeschlagen, da kam es mir in den Sinn, der Zweibeinerin doch auch einmal so eine leckere Mahlzeit zukommen zu lassen. Wie schon gesagt, ich mochte sie. Ein graues unvorsichtiges Fellchen war rasch gefangen, und ich brachte es durch das offene Fenster in das Zimmer meiner Zweibeinerin. Natürlich war das graue Fellchen noch lebendig, ich wollte meiner Lady doch nicht die Freude des Spielens und des Tötens nehmen. Voller Stolz sprang ich mit einem Satz auf ihre Decke. Als ich merkte dass sie munter war, ließ ich das graue Fellchen laufen.

Mein Gott, war das ein Theater!

Statt mit dem Fellchen zu spielen, ihm nachzujagen, es zu töten und es dann genussvoll zu verspeisen, sauste sie, mit einer Geschwindigkeit die ich sonst nicht von ihr gewohnt war, in die äußerste Ecke des Zimmers, kletterte auf das Kopfende ihres Bettes, klammerte sich an irgendeinen Haken fest und stieß ganz eigenartige spitze , grelle Schreie aus. Einen Augenblick lang war ich sehr konsterniert, aber dann kam ich zu der Überzeugung: Sie ist einfach zu blöd, sich die Nahrung selber zu töten. Blitzartig jagte ich dem Fellchen hinterher, das schon sein Heil in der Flucht versucht hatte und erledigte das auch noch für sie. Das leblose Fellchen schmiß ich neben ihr Bett. Sie aber packte mich, und schubste mich mit einem unsanften Schwung zum Fenster hinaus, wenige Augenblicke später kam auch das leblose Fellchen geflogen.

OK, dachte ich damals, sie hat einfach keinen Hunger, aber das hätte man doch sicherlich auch freundlicher sagen können.

Und nun sitze ich hier in diesem Feld, ab und zu huscht wieder so ein fellbezogenes Stück Futter vorbei—- aber nein, heute nicht, zu tief war ich gesunken, zu bodenlos war meine Enttäuschung, zu rabenschwarz war meine Stimmung. Das hätten sie wirklich nicht tun sollen. Sich so in mein Leben einzumischen.

Und schuld an diesem ganzen Dilemma war nur die Schwarzweiße. Warum musste sie auch den Nachwuchs, den wir miteinander gezeugt hatten, ausgerechnet in meine Schlafkiste werfen. Das war unter uns Vierbeinern überhaupt nicht der Brauch. Sie aber war, so nehme ich an, etwas Besonderes. Sie sagte einfach „ich liebe dich, und wir werden unseren Nachwuchs gemeinsam aufziehen.“ Ein paar Tage später fand ich eines Morgens fünf winzige, blinde und fast nackte Dinger in meiner Kiste.

Die Aufregung unter den Zweibeinern war dementsprechend groß, aber sie waren nicht unfreundlich, im Gegenteil, sie polsterten meine Kiste noch zusätzlich mit weichen Tüchern aus, und taten ganz närrisch und verzückt. Aber dass ich jetzt keinen Platz zum Schlafen hatte, war ihnen ziemlich egal, überhaupt fühlte ich mich in den nächsten Tagen und Wochen vollkommen nebensächlich und total überflüssig. Meine einzige Aufgabe bestand darin, nachdem ich ja nun Weib und Kinder hatte, mein Revier, meinen Rayon sorgfältig zu markieren. Im ganzen Haus und auch im Garten verteilte ich diesen köstlichen Duft, der jeden Rivalen davon abhalten würde in mein Gebiet einzudringen. Bald schon hatte das ganze Haus diesen typischen Geruch, und ich war sehr zufrieden mit mir, ich hatte ganze Arbeit geleistet.

Aber diese Zweibeiner.

Sie behaupteten doch glatt es stinke im ganzen Haus, hysterisch begannen sie mit allerlei scharfen Putzmitteln an allen Ecken zu wischen und zu waschen und so musste ich immer wieder neue Duftmarken setzen und sie putzten immer wilder und entschlossener.

Und dann bemerkte ich es eines Tages.

Sie waren nicht mehr besonders freundlich zu mir, und in ihren Augen war so ein eigenartiges Glitzern. Auch lag eine gewisse Feindseligkeit in der Luft, und ich war auf der Hut.

Auch die Schwarzweiße hatte viel von ihrer Freundlichkeit verloren. Kaum näherte ich mich meinem Nachwuchs aus reiner Neugierde, fauchte sie mich bitterböse an und gab mir zu verstehen, dass es wirklich besser sei, mich von den Kleinen fernzuhalten. So gesehen war mein Leben zurzeit wirklich ein wenig trist, denn auch die Zärtlichkeiten der Zweibeiner galten von nun an ausschließlich meinen fünf Ablegern.

Ich ahnte noch nichts Böses, als sie mich eines Tages in den Transportkorb setzten und zu einem Zweibeiner fuhren, bei dem wir schon öfter waren, er hat mir in der Vergangenheit hin und wieder geholfen, wenn ich ein wenig krank war. Erst im letzten Moment fiel es mir auf.

Ich bin gar nicht krank!!!

Aber da war es schon zu spät, Dunkelheit senkte sich über mich, und von da an wusste ich nichts mehr.

Kaum hatte ich meine Gedanken wieder ein wenig beisammen, schleppte ich mich ins Freie und versuchte so weit als möglich zu verschwinden, und deshalb landete ich in diesem verdammten Kukuruzfeld. Einige Tage und Nächte sind seither vergangen, es ist kalt, es regnet und ich friere entsetzlich. Auch plagt mich der Hunger gewaltig, und ich gestehe, dass ich mich nach meinem Futternapf sehne. Ich werde zurückkehren, dachte ich, denn schlimmer als es mir jetzt geht, kann es in meinem Haus auch nicht sein. Mit nassem Fell, hängenden Kopf und Schwanz kehrte ich in mein Haus zurück und siehe da, sie waren glücklich mich wieder zu sehen, sie wickelten mich in eine warme Decke und gaben mir die köstlichsten Leckerbissen, und warme süße Milch. Also auf diese Art hatten sie mich schon lange nicht verwöhnt. Vielleicht sind sie doch nicht solche Monster? Nach kurzer Zeit war es mir fast völlig entfallen warum ich ihnen so böse war, ich hatte es einfach vergessen. Auch dem fellbezogenen Futter hinterher zu jagen fand ich jetzt unter meiner Würde. Warum auch, mein Futternapf war doch immer wohlgefüllt.

Und die Schwarzweiße ?

Nun, sie signalisierte mir, dass es Zeit wäre , wieder für Nachwuchs zu sorgen, aber das interessierte mich überhaupt nicht mehr, ließ mich völlig kalt. Mein Hauptinteresse galt eigentlich nur noch meinem Futternapf und dem Platz beim Fenster in der warmen Sonne. Nur hin und wieder in meinen Träumen tauchen Bilder auf von wilden Verfolgungsjagden, heiße Werbungen um eine schöne Katzendame und weiten Spaziergängen im bleichen Mondschein. Aber auch diese Träume werden blasser und blasser und eine allumfassende Trägheit macht sich in mir breit.