© by Michael Schönberg

Hausfriedensbruch

 Ich war schon beim Bäcker, habe zwei Mehrkornbrötchen geholt und bereitete nun, wie jeden Morgen, das Frühstück für meine Frau zu. Während sie duschte, habe ich noch zwei Eier gekocht und liebevoll den Tisch gedeckt, einschließlich Kerze in der Mitte.

Auf einem Küchenteller arrangiert lagen Gurken, Tomaten, Paprika und ein paar Nüsse. Eine Auswahl an Wurst und Käse, dazu die zwei Eier in bunten Eierbechern. Marmelade und Honig in geöffneten Gläsern. Butter und Frischkäse, sowie einen Cappuccino und ein kleiner Tomatensaft. Dazu Teller, Besteck, Serviette.

Dann kam auch schon meine Frau aus dem Bad und freute sich über das auf diese Weise angerichtete Frühstück. Draußen schien die Sonne, und es war warm. Also öffneten wir die Balkontüre und ließen frische Luft herein. Mit dieser kam jedoch auch ungebetener Besuch.

Drei Eindringlinge besetzten die Brötchen und machten keine Anstalten, wieder zu verschwinden. Ihre schwarz-gelbe Sträflingskleidung ließ darauf schließen, dass sie nichts Gutes im Schilde führten. Meine Frau erschrak bei diesem Überfall. Sie stand rasch auf und ging hinaus.

Meine erste Aufforderung an die ungebetenen Gäste, zuerst das Brötchen und dann den Raum zu verlassen, blieb völlig unbeachtet. Auch meine zweite ultimative Aufforderung wurde ignoriert.

Ein klarer Fall von Hausfriedensbruch.

In den Vereinigten Staaten dürfte ich jetzt zur Waffe greifen und die Täter erschießen. Notwehr. Doch erstens sind wir nicht in den USA und daher habe ich zweitens auch gar keine Waffe.

Aber ein Küchentuch. Ein kariertes.

Ich ergriff also das Tuch und wedelte damit über der Brötchenhälfte herum. Nun kam Bewegung in die Bande. Wie wild schnellten sie hoch und flogen zur Balkontür. Dort verwechselten sie diese mit dem Fenster. Unruhig flogen sie vor der Scheibe hin und her. Meine gutmütige Art bestimmte mein weiteres Vorgehen. Ich nahm all meinen Mut und das Küchentuch und ging zum Fenster.

»Komm, kleiner Eindringling. Ich helfe dir, den Weg in die Freiheit zu finden.«

Mit dem Tuch wurde der erste Straftäter eingefangen, und gerade als ich ihn von der Scheibe abnehmen wollte, hörte ich ein kleines Knacken. Ich öffnete das Tuch, und der Häftling fiel leblos auf die Fensterbank. Da hatte ich wohl zu feste gehandelt. Ich schickte den leblosen Körper auf seinen letzten Flug, indem ich ihn über die Balkonbrüstung warf.

»Mach’s gut, Streifenmann. Fühle dich gedrückt.«

Mit der zweiten sollte es nun aber klappen. Schließlich wollte ich retten und nicht töten. Was soll ich sagen? Auch Nummer zwei und drei haben die Rettung nicht überlebt. Ich glaube, ich werde langsam alt und büße an Koordination und Sanftheit ein.

Als ich meiner Frau mitteilte, dass wir wieder unter uns seien, kam sie zurück. Endlich konnte sie in Ruhe frühstücken. Weitere ungebetene Gäste wurden nicht gesichtet, und daher mussten auch keine weiteren Rettungsversuche eingeleitet werden.

 

Aus dem Buch: Kurzstrecken Geschichten

Epubli Verlag 2017

ISBN: 978-3-746708-40-9

Alle Rechte beim Autor Michael Schönberg