© by Helga Panagl

Man nennt es Liebe

 „Bitte, Mama!“

Mein Gott dieser flehende Ton, wie ich den kenne. Schon als sie noch in den Kindergarten ging, konnte sie mich mit diesem „Bitte, Mama!“ und dem dazugehörigen Augenaufschlag um den Finger wickeln. Aber jetzt nicht mehr! Wirklich nicht. Nein! Irgendwann muss auch ich erwachsen werden. Oder meine Tochter. Blödsinn, sie ist es inzwischen schon geworden, deshalb geht es auch nicht mehr um Schlüpfschuhe, die alle haben und sie daher auch unbedingt haben müsse, nein heute geht es schon um Größeres. Gleichviel, darum bleibe ich heute stark; so nehme ich es mir wenigstens vor.

„Mama, er ist wirklich ganz ein lieber Kerl, so sanft und nicht wie andere. Bitte.“

Mein Versuch ihre Bitte mit Schweigen zu übergehen, erweist sich als wirkungslos. Aber für mich ist mein Schweigen meine letzte Barriere, hinter der ich mich verschanzen kann. Daher versuche ich eisern mein Stillschweigen nicht zu brechen. Aber sie negiert meine Abweisung und bohrt und insistiert weiter in mich hinein, so nach dem Motto: ‚Steter Tropfen höhlt den Stein‘.

„Wirklich, Mama, er ist so lieb. Wenn du ihn kennenlernen würdest, dann wärst du von ihm auch ganz angetan wie ich.“

Kunststück, sie ist bis über beide Ohren in diesen Kerl verliebt, und ich soll ihr meinen Segen geben, zu allem Ja und Amen sagen. Aber dieses Mal gebe ich nicht nach. Dieses Mal geht es nicht um Schlüpfschuhe sondern um Gravierendes für die Zukunft.

„Mama, weißt du was, wir machen es so, ich bring ihn einmal mit und du entscheidest, ob er bei uns einziehen darf oder nicht. Ist das ein Vorschlag? Aber du wirst von ihm genauso begeistert sein wie ich.“

Das glaube ich weniger, aber bitte, sie soll sehen, dass ich kompromissbereit bin, ich werde mir den Kerl anschauen, dann werden wir weiter sehen.

„Also gut, bringst ihn halt“, meine Angebot klang ziemlich erschlagen.

„Mama, du bist wirklich die beste, die liebste Mama!“, und schon fällt sie mir um den Hals. Tränen der Dankbarkeit oder Liebe (?) stehen in ihren Augen. Sie hat mich jedenfalls wieder einmal herumgekriegt, ich habe nachgegeben, trotzdem komme ich mir wie ein Haustyrann vor, weil ich sie so lange bitten und betteln ließ, bis ich sie zum Weinen brachte.

„Danke, Mama, aber du wirst sehen, er schaut zwar aus wie ein Mafioso, aber er ist wirklich keiner. Danke, Mama, danke.“

Sie brachte umgehend Egon – so heißt er – ins Haus. Seither dreht sich alles um den Herrn Egon, er hat inzwischen alle, auch mich, um den Finger gewickelt mit seinem Charme. Er sieht wirklich, wie meine Tochter sagte, wie ein Mafioso aus. Schwarz vom Kopf bis zur Schwanzspitze, hätte ich schon bald gesagt, aber das stimmt nicht, denn die Schwanzspitze ist weiß. So wickelt er uns täglich um den Finger in seinem schwarzen Anzug, weißem Hemd und weißen Schuhen, die ja zur Standartkleidung dieser Gauner gehört. Seit Herr Egon bei uns wohnt – Mafioso hin oder her –  fühle ich mich trotzdem viel sicherer als vorher, ehe Herr Egon ins Haus kam. Unter uns gesagt, ich liebe ihn inzwischen auch, obwohl er alle Rechnungen und auch sonstige Post sofort in Empfang nimmt und, wenn ich nicht schnell bin, in tausend Futzerl zerreißt. Rechnungen Phh, für ihn gibt es nichts Wichtigeres als einen vollen Fressnapf, sowie alle zwei Stunden Gassi gehen und stundenlang gestreichelt werden.

Egon Gamasche würde man ihn  – wegen seines Aussehens – in einschlägigen Filmen oder Romanen nennen, ihn unseren neuesten Familienzuwachs aus dem Geschlechte der Border-Collies.