© by Eva Novotny

Spinnengeschichte

 Immer, wenn der Herbst naht, zieht es vermehrt Spinnen ins Haus. Abgesehen davon, dass ich es nicht übers Herz bringe, sie wegzusaugen, aber auch nicht jeder nachlaufen will um sie ins Freie zu befördern, denke ich, dass sie auch nützliche Haustiere sind, indem sie Motten und Fliegen dezimieren.

Mein Schreibtisch steht vor einem Fenster mit Blick in den Garten. Das Fenster öffne ich nie, weil am Fensterbrett Zeitschriften und allerhand andere Dinge liegen, der Bildschirm davor steht und eine Schreibtischlampe am Tisch befestigt ist. An den beiden Fensterseiten hängt ein gelb-oranges Vorhangteilaus einem durchscheinenden Stoff, rechts in der Ecke steht ein altes, hohes Ladenkasterl auf dem der Drucker seinen Platz hat.

Eines Tages bemerkte ich, dass von diesem Drucker zum Vorhang ein zarter Spinnfaden gespannt war und kurz darauf entdeckte ich eine winzige Radnetzspinne mitten in ihrem regelmäßig gewebten Netz. Man konnte das Netz gegen das Licht kaum wahrnehmen.

Jedes Mal, wenn der Drucker ratternd etwas ausdruckte und dabei sich ganz wenig bewegte, zitterte die kleine Spinne im Netz, aber sie verließ ihren Platz nicht. Tagelang harrte sie am selben Ort aus, tagelang gab es keine Beute, aber sie wartete geduldig.

Als ich nach einem zweiwöchigen Urlaub zurückkehrte, war die Spinne noch immer da. Sie hatte unterdessen ihr Netz etwas verlegt. Es spann sich jetzt vom Bildschirmrand zur Schreibtischlampe und ich konnte  im Abendlicht der Lampe das Wunderwerk Netz erkennen. Wovon lebte sie? Keine Motte, keine Fliege war zu sehen. Ein einziges Mal beobachtete ich, wie scheinbar ein kleines Fliegerl ins Netz gegangen war, denn ich  sah sie etwas Winziges einwickeln, sie drehte und wendete das kleine Päckchen.

Danach verrückte sie ihr Netz um 30cm nach links und wartete wieder geduldig, bewegungslos auf ein Opfer. Seit der Anfangszeit war sie ziemlich gewachsen, ihr schön gezeichneter, gelblicher  Körper maß schon etwa einen Zentimeter. Ihre hellen behaarten Beine waren länger als ihr Körper. Zwei davon streckte sie nach hinten aus, je ein Bein jeweils nach rechts und links und 4 Beine waren nach vorne, beziehungsweise nach unten gerichtet, denn sie hielt mit dem Kopf nach unten die Stellung in ihrem Netz.

Unterdessen begrüßte ich sie jeden Morgen, schoss ein Porträtfoto von ihr und wünschte ihr Beuteglück für den kommenden Tag.

Aber da unser Haus ja beinahe in jeder Ecke von einer Spinne bewohnt war, war sie am Schreibtischfenster nicht allein. Sowohl in der rechten, als auch in der linken unteren Ecke hockte eine magere Zitterspinne. Auch sie wartete geduldig auf Beute. Ihr Netz, das sehr dicht gewebt war, war schlampig und hässlich. Als ich es beim Abstauben unabsichtlich zerstörte, war es am nächsten Morgen wieder frisch gesponnen. Es war schon zu einer beachtlichen, etwa zwei Handtellergröße, angewachsen. Der Luftzug des undichten Fensters oder die aufsteigende Wärme der Heizung hielten es ständig in Bewegung. Eine ganze Menge winziger Fliegenreste hingen im Netz. Ob die Zitterspinne also mehr Erfolg hatte, als die Radnetzspinne? Sie saß nicht im Netz sondern daneben und hoffte, dass jemand kleben blieb.

Ich sah aus dem Fenster und beobachtete die Blau-und Kohlmeisen, die unaufhörlich die Ritzen der Bretterverkleidung unseres Dachvorsprunges nach Insekten absuchten. Vielleicht hatten es die Spinnen geahnt und sich deshalb ins Haus zurückgezogen?

Eigentlich bin ich ja keine große Spinnenfreundin. Im Schlafzimmer dulde ich keine, aber hier beim Schreibtisch, da gehörten sie ja bereits dazu und waren schon ein Teil meines Lebens geworden, denn ich nahm Anteil an ihrem Leben, begegnete ihnen täglich, bewunderte ihre Geduld und Ausdauer und fand, dass sie als Lebewesen die gleiche Berechtigung hätten, ihr Leben hier zu verbringen wie ich.

Während ich diese Zeilen schrieb, rannte die Radnetzspinne auf unsichtbaren Fäden hin und her und beschloss scheinbar, ihr Netz zu vergrößern. Ich fragte mich, was passieren werde, wenn die zwei Spinnen eines Tages aufeinander treffen?

Wer schließlich wen gefressen hatte, oder ob sie eines natürlichen Todes gestorben waren, erfuhr ich leider nicht. Denn eines Tages waren beide verschwunden, nur ihre Netze waren noch anwesend.

Auch wir Menschen spinnen Netze in unserem Leben, warten und hoffen, Freunde zu finden, Menschen, die in unserem Netz picken bleiben.

Wir wollen sie in unserem Kreis haben, mit ihnen Kontakt pflegen. Auch da verträgt sich oft ein Netz nicht mit dem anderen und oft warten wir ein Leben lang auf „Beute“, den richtigen Freund, die richtige Freundin in unserem Netz zu begrüßen.

Auch wir verlegen unsere Netze immer wieder in andere Regionen in der Hoffnung, dort mehr Erfolg zu haben. Doch Warten und Hoffen macht einen Großteil unseres Lebens aus, so wie bei den Spinnen!

Oft blicken wir neidvoll auf den Erfolg derer, die dichtere Netze gewebt haben  

Eigentlich sollten wir glücklich sein, nicht der Gefahr des Gefressen Werdens ausgesetzt zu sein, nicht in Angst und in ständiger Flucht vor Feinden leben zu müssen .

Und wie man sieht, können auch verschiedene Netze und verschiedene Arten nebeneinander bestehen und jeder hat zum Leben genug.