© by Wilhelm Maria Lipp

 

 Wer kennt nicht das Gefühl, man wird intensiv angeschaut, man weiß aber nicht, von wem? Gänsehaut läuft über Arme, Beine und Rücken. Unwillkürlich hält man den Atem an, schaut sich wie zufällig um, erkennt niemanden und fühlt immer noch, da ist jemand? Jede Faser des Körpers, jedes Härchen sendet dieses Signal aus.

Ich bin auch manchmal ein ängstlicher Mensch, mir ergeht es so, wie vielen anderen Menschen auch. Gänsehaut, Schauer, stockender Atem sind mir nicht unbekannt.

Aber als denkender Mensch versuche ich den Dingen auf den Grund zu gehen, versuche ich die vermeintliche Bedrohung zu erkennen, ja, versuche ich, wenn möglich, mich der Gefahr zu stellen, um ihr so die Kraft der Überraschung zu nehmen. Allerdings gelingt das nicht immer.

 

Einmal in der Woche sind meine Frau und ich bei meiner Tante, der jüngsten Schwester meiner verstorbenen Mutter. Diese Tante ist schon über 80, und wir kümmern uns ein wenig um sie. So besuchen wir sie jeden Dienstag, Michaela richtet die Tabletten für die nächste Woche her, wir planen mit Tante gemeinsam den Einkauf und schauen, was sonst noch zu erledigen ist.

Fixpunkt an den Dienstagen ist der Besuch am Friedhof. Drei Gräber werden mit Lichter versorgt. Grabkerzen und Batterien für die lang leuchtenden elektrischen Grablichter sind immer in unserer „Friedhofstasche“.

An Wochentagen ist vormittags der Friedhof mit dem Auto befahrbar, wenn man besonders alt oder behindert ist. Man muss nur rechtzeitig vor Mittag wieder aus dem Areal rausgefahren sein.

 

Wir fahren also beinahe jeden Dienstag zu den Gräbern. Wir besuchen ihren verstorbenen Mann und im Nebengrab dessen Schwestern. Am weitesten vom Eingang entfernt ist das Grab, in dem die Eltern unserer Tante, meine Großeltern, begraben sind. Es wurde später von meinem Onkel übernommen, der mit seiner Frau auch dort bestattet ist. Eigentlich müsste sich Tante darum nicht umschauen, weil die Kinder von ihrem Bruder dafür zuständig wären, aber sie möchte unbedingt hin und eine Kerze anzünden. So fahre ich mit unserem Auto in die Nähe, dass sie nicht zu weit gehen muss.

Jedes Mal, wenn wir vom Hauptweg abweichen und rückwärts in den Seitenweg reinfahren, schlagen die Rückfahrsensoren unseres Autos an.

Am Anfang haben wir das mit „Es wird ein Grashalm sein!“, oder „Da ist sicher ein Tier vorbeigehuscht!“ abgetan. Aber als uns bewusst wurde, dass dieses Anschlagen der Sensoren jedes Mal vorkam, wurden wir neugierig.

Wir stoppten nun die Fahrt, stiegen aus und schauten, was dafür in Frage käme, wovor uns die Sensoren warnten. Wir fanden nichts. Weit und breit war kein hervorstechender Grashalm, kein Grabstein war im Bereich der Sensoren, auch kein Getier war zu sehen. Komisch, unerklärlich!

Auch in den Wochen danach kam immer an derselben Stelle die Warnung der Sensoren. Wir überlegten, was das sein könnte.

Ich frage mich, ist es möglich, dass die Sensoren so fein eingestellt sind, Dinge zu erkennen, die dem menschlichen Auge verborgen sind? So, wie ein Hund das Geräusch der Hundepfeife hören kann, wir Menschen aber nicht? Oder wie eine Fledermaus, die anscheinend ein Sonarsystem verwenden kann, ähnlich einem Echolot, das wir Menschen nicht hören?

Ist es möglich, dass am Friedhof immer an derselben Stelle für uns Menschen unsichtbare Wesen von unserem Auto bemerkt werden? Könnten das Geist-Wesen sein?

Wo sonst, wenn nicht am Friedhof, sollte man mit Geistern rechnen können.

Wir haben jedenfalls immer wieder nachgesehen, ob wir nicht doch eine andere Erklärung finden könnten. Erfolglos!

Wenn wir jetzt jeden Dienstag durch diese Stelle fahren, stört es uns schon nicht mehr. So sind wir Menschen. Wir leben auch mit unerklärlichen Dingen, sobald wir realisiert haben, dass sie uns nichts Böses tun wollen.

Manchmal lachen wir über diesen „Geistwechsel“ und denken uns, dass eventuell ein in der nächsten Gasse begrabener, ehemaliger Arzt seine Sprechstunde vormittags abhält und wir durch die Schlange der dort wartenden Patienten fahren. – Brrr! Alleine dieser Gedanke lässt mir schon wieder das Herz rascher schlagen, meinen Atem beschleunigen und auf Rücken, Armen und Beinen Gänsehaut entstehen.

Trotzdem! Auf zum nächsten Friedhofsbesuch! Bald ist wieder Dienstag.