© by Wilhelm Maria Lipp

Versammlung im Märchenland
(TV Übertragung von <Grimm TV>)

 „Liebe Gäste an den TV-Geräten!

Gestern wurden alle Märchenfiguren von Schneewittchen per WhatsApp zu einer Versammlung im Märchenland im Garten von Frau Holle eingeladen. Man will besprechen, was man gegen das Vergessen werden tun kann.

 Heute geht es im Märchenland rund. Laufend kommen neue Besucher an und suchen sich einen Platz zwischen den Bäumen im Garten der Frau Holle.

Gleich hinter ihrem Haus ist eine Rednerbühne aufgebaut mit Mikrofonen und Lautsprechern, auch wir, die TV Station <Grimm TV>, ist zur Stelle, es soll ja jedes Wort bis in die letzte Höhle übertragen werden.

 Wir begrüßen alle Zuseherinnen und Zuseher an den TV-Geräten zu Hause. Herzlich willkommen bei der Versammlung im Märchenland. Wir sind wie sie alle neugierig, was da heute passieren wird.

 Alle warten gespannt, dass es endlich elf Uhr elfundelfzig wird, denn dann beginnt die Märchen-Auszeit, dann können alle Figuren teilnehmen oder wenigstens zuhören. Diese Zeit gibt es nämlich bei den Menschen nicht. Diese Null-Minute bei den Menschen kann im Märchenland unendlich lang dauern, genug Zeit also für diese wichtige Besprechung.

 Die ankommenden Märchenhelden freuen sich, alle wieder einmal direkt zu sehen. Sie erinnern sich an das letzte Mal, als sie außerhalb des eigenen Märchens zusammengetroffen sind und tauschen Informationen über ihre Familien aus.

Es summt und brummt wie in einem Bienenhaus. Das Stimmengewirr wird immer lauter. Es geht zu wie auf einem Klassentreffen. Alle schauen, dass sie gute Sitzplätze haben und etwas zu trinken. Es ist echt schon lange her, dass sie ein gemeinsames Fest gefeiert haben. Damals war es die Hochzeit von Dornröschen, bei der alle um elf Uhr elfundelfzig zusammen gekommen sind. Und das war genau vor elfundelfzig Jahren, also schon eine geraume Zeit her. Viel was seither geschehen ist, also viel Gesprächsstoff für alle.

 Wir sehen Schneewittchen, daneben sind im vorderen Bereich schon ein paar gekrönte Häupter anwesend. König Drosselbart ist leicht an seinem spitzen Kinn erkennbar. Auch die beiden Schwestern Schneeweißchen und Rosenrot sehe ich mit ihrem Bären.

Dazwischen wuseln verschiedene Zwerge, es sind mehr als sieben, sie treffen so selten zusammen und nützen diese Märchenauszeit sicher für familiären Austausch.

Da kommen ein paar Wölfe daher. Gleich dahinter läuft ein Mädchen mit ihrer typischen roten Kopfbedeckung, das ist das Rotkäppchen, daneben eine Herde von Ziegen. Eine Ziegenmutter mit ihren sieben Geißchen.

Die Aufregung steigt, immer mehr Gäste suchen sich ihren Platz.

 Zwischen den Reihen gehen die Helfer vom Froschkönig umher und reichen den Durstigen frisches Brunnenwasser. Obst ist auch für alle genug vorhanden und wer noch etwas braucht, holt es sich von den Bäumen der Frau Holle. So ist für jeden gesorgt.

 

Liebe Seherinnen und Seher! Die Erwartung steigert sich. Je näher der ausgemachte Zeitpunkt kommt, umso ruhiger wird es. Alle schauen gespannt zur Rednerbühne oder, wer nicht gut hinsehen kann, zur nächsten Leinwand, wo die Bühne groß zu sehen ist und die Uhr, die darüber hängt. Alle beobachten jetzt den Zeiger der Uhr, wie er sich plötzlich auf elfundelfzig hinbewegt und dort stehen bleibt.

Nun ist unsre Zeit gekommen, die Zeit der Versammlung. Den Menschen wird es nicht auffallen, dass wir nicht bei ihnen sind, denn für die Menschen gibt es diese Zeit nicht. Die Märchenfiguren haben nun „alle Zeit der Welt“ für ihre Gespräche, für ihre Verhandlungen, für ihre eigenen Themen.

 

Als erste Rednerin kommt Schneewittchen auf die Rednerbühne. Was wird sie uns wohl verkünden? Ihre Ankündigung auf der Einladung klang ziemlich dramatisch, aber es war gut so, denn so viele Märchenfiguren sind lange nicht mehr beisammen gewesen.“

 

„Liebe Freunde!“, beginnt sie ihren Beitrag, „liebe Freunde, danke, dass ihr meiner Einladung gefolgt seid. Schön, dass wir uns endlich wieder einmal begegnen, dass wir alle beisammen sein können. Wenn der Anlass nicht so ein bedrohlicher wäre, könnten wir diese Zeit mit liebevollen Gesprächen über unsere Familien oder über unsere Erfahrungen nützen. So aber müssen wir beraten, was wir tun können, um Märchenland zu retten.

 

Euch ist sicher auch schon aufgefallen, dass Märchenland immer blasser, immer durchscheinender wird. Ja, sogar wir, die Helden im Märchenland, werden lichter und durchsichtiger. Es ist ja auch kein Wunder, unsere Lebenskraft schöpfen wir aus den Menschen, die unsere Geschichten lesen, sich über uns freuen, sich mit uns ängstigen.

Aber immer weniger Menschen lesen.

Immer weniger Großmütter oder Großväter erzählen Geschichten über uns ihren Enkelkindern.

Wir geraten in Vergessenheit!

So schaut es aus, wenn man objektiv auf uns und auf die Menschen schaut. Ist es euch auch schon aufgefallen? Habt auch ihr bemerkt, wie wenig oft wir gebraucht werden als Gute-Nacht-Geschichte oder als Geschichte für Kindergruppen, die gespannt darauf warten, wie es weitergeht? Ob Dornröschen wieder aufwacht, oder ob ich, Schneewittchen die Angriffe meiner Stiefmutter überlebe, oder ob der Froschkönig geküsst wird?

Freunde, was können wir tun?“

„Sichtlich aufgewühlt verlässt Schneewittchen das Rednerpult.

Hier bin ich wieder, euer Kommentator von Grimm TV. Spannend, was uns Schneewittchen da geschildert hat, spannend, aber leider wirklich gut beobachtet.

Es gibt eine breite Zustimmung nach dieser Eröffnungsrede. Viele Märchenfiguren haben ja schon dieselben Beobachtungen gemacht, aber niemand hat sich bisher darüber Gedanken gemacht. Niemand hat nachgedacht, wie man diesen Zustand ändern könne. Obwohl in Zeiten von WhatsApp-Gruppe und facebook hätten sie sich diese Thematik schon viel früher bewusst machen können, schließlich sind sie alle vernetzt. Auch vor dem Märchenland haben die modernen Medien nicht halt gemacht!

An den Tischen wird leise gesprochen. Man spürt direkt die Betroffenheit, die durch die Rede von Schneewittchen hervorgerufen wurde. Was kann man aber wirklich tun? Glaubt jemand wirklich, dass wir Märchenfiguren darauf Einfluss nehmen können, dass wieder mehr gelesen wird? Wir warten auf die nächste Wortmeldung und überbrücken die Wartezeit mit einer Werbeeinschaltung. Bleiben Sie am TV-Gerät, wir sind gleich wieder für sie da!“

 

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„Wir sind zurück aus der Pause und berichten weiter von der Versammlung. Gespannt warten wir auf die nächsten Beiträge, Da ist eine Bewegung. Ein Mann mit spitzem Kinn nähert sich dem Rednerpult. Jetzt wird er von der Kamera genau erfasst. Es ist König Drosselbart. Wir sind neugierig, was er zu sagen hat. Alle wissen, wie er mit List seine Braut zur Demut gebracht hat, sodass sie ihn dann heiratete. Wer weiß, vielleicht hat er die zündende Idee zur Rettung des Märchenlandes.“

 

„Liebe Königinnen und Könige!

Liebe Prinzessinnen und Prinzen!

Liebe Hexen und Zauberer!

Liebe Figuren im Märchenland, die ich jetzt nicht alle namentlich erwähnen kann!“

 

Man merkt, dass König Drosselbart ein Politiker ist und gewohnt ist, vor vielen Menschen zu sprechen. Schon beim Beginn seiner Rede achtet er darauf, dass alle rundherum auf ihn aufmerksam werden und bei jedem Wort zuhören. Was wird er verkünden?“

 

„Ihr wisst alle, dass ich, König Drosselbart, immer schon ein gewitzter Mann war. Alleine, wie ich meine Frau dazu brachte, dass sie mich achtet, ehrt und liebt. Heute sind wir ein glückliches Paar!

Ja, auch uns ist es aufgefallen, wie sich das Märchenland verändert hat und sich ununterbrochen weiter verändert. Schneewittchen hat Recht, wir müssen etwas unternehmen.

Ich, der König Drosselbart, habe deshalb mit meinen Beraterinnen und Beratern im Königreich lange überlegt, was wir dagegen machen können. Und, ja, wir sind zu einem Ergebnis gekommen. Hört unseren Vorschlag:

Der Betrieb Märchenland wird eindeutig unwirtschaftlich geführt. Wir sollten umstrukturieren, wir sollten überlegen, welche Jobs wir unbedingt brauchen und welche nicht.

Wir sollten nachdenken, ob wir nicht auch den einen oder anderen Job abbauen könnten oder ob wir durch gemeinsame Ressourcennutzung Einsparungen erzielen können.

Ich selber, König Drosselbart, habe mir gedacht, dass wir im Märchenland wirklich nicht so viele Könige brauchen. Ich, König Drosselbart, könnte zum Beispiel die Arbeit des Königssohnes von Dornröschen übernehmen und sie, wenn es eben gebraucht wird, wachküssen. Schon hätten wir eine Stelle abgebaut, einen Esser weniger. Der Prinz von Dornröschen könnte sich eine andere Arbeit suchen. Wie wäre es bei Burger King? Die brauchen jede Krone bei ihren Kinderfesten. Auch flinke junge Sevierkräfte werden dort gebraucht, das wäre eine Möglichkeit für Rotkäppchen, für Goldmarie und Pechmarie und natürlich für Schneeweißchen und Rosenrot, außerhalb des Märchenlands für unsere Gemeinschaft etwas zu erwirtschaften.

Sogar die vielen Wölfe könnten wir reduzieren und die vielen Jäger. Auch die Riesen, Hexen, Zauberer oder Zwerge, die in den unterschiedlichen Märchen vorkommen, die Brunnen, Bäume, Schlösser, die Bären, Frösche, Katzen, Vögel. Ich frage euch, Untertanen, Freunde, Märchenfiguren, sind wirklich alle hier notwendig? Jede Einsparung, die wir machen, hält unser Märchenland länger am Leben!

Ich, König Drosselbart, bin überzeugt, dass ihr meiner Meinung seid, dass ihr mir zustimmen könnt. Ja, wir müssen etwas tun!

Ja, wir sollten etwas ändern!

Machen wir es bald, überlegen wir nicht zu lange, es ist fünf vor zwölf für unser Märchenland. Wir brauchen neue Strukturen, vielleicht auch eine neue zentrale Führung. Also ich, König Drosselbart, wäre dazu bereit, mit Umsicht und Güte, mit List und zielgerichtet und vor allem mit der Zustimmung und Unterstützung von euch allen, diese Reformen umzusetzen und das Märchenland in die Zukunft zu führen!“

 

„König Drosselbart tritt ab. Betretenes Schweigen macht sich breit. Er hat sich eindeutig frenetischen Beifall erwartet und stolziert sichtlich verärgert wegen der drückenden Stille auf seinen Platz zurück. Wir sind wirklich gespannt, wie die Gemeinschaft der Märchenfiguren diese Reformideen aufnimmt. – Das Murmeln an den Tischen wird immer erregter. Die Märchenhelden schütteln in ihren Gesprächen immer wieder ihre Köpfe in verneinender Pose. Es scheint, dass König Drosselbart etwas angesprochen hat, was nicht sofort Zustimmung erhalten wird.

Mehr nach der nächsten Werbepause.“

 

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„Ja, liebe Zuseherinnen und Zuseher, der Eindruck, den wir gleich nach der Rede von König Drosselbart hatten, hat sich bestätigt. Die Märchenhelden sind ganz und gar nicht auf seiner Linie. Immer wieder hört man in den Zwischengesprächen, es müsse doch eine andere Lösung geben. Mittlerweile ist den meisten hier bewusst, dass sich etwas ändern muss. Was wird der nächste Redner dazu beitragen? Er kommt schon zum Rednerpult. Diesmal ist es ein Wolf. Wir können noch nicht erkennen, welcher Wolf es ist, der vom Rotkäppchen oder der von den sieben Geißchen? Vielleicht gar der Wolf von den drei Schweinchen? Sie sehen alle ähnlich aus, wölfisch eben. Hören wir, was der zu sagen hat.“

 

„Waaauuu! Seid gegrüßt alle. Heute um elf Uhr elfundelfzig, also jetzt, braucht niemand Angst vor mir zu haben, Schonzeit für alle.

Wir Wölfe sind eben beisammen gesessen und haben beratschlagt. Ja, es stimmt, auch wir merken, dass das Märchenland immer weniger wichtig wird. Meine Brüder und ich haben deshalb auch schon überlegt uns auf Werwölfe umschulen zu lassen. Mein Vorredner, König Drosselbart, hat da schon eine Idee angesprochen, von der wir uns etwas Erleichterung erwarten können.

Waaauuu! Wir brauchen nicht so viele Wölfe im Märchenland, einer oder zwei würden genügen. Schließlich kehren wir, kaum, dass jemand das Märchen über uns gelesen hat, sofort wieder an den Start zurück, stehen also wieder am Anfang. Und was tun wir da?

Warten! Warten, wie ihr alle hier, oder etwa nicht?

Gibt es einen unter euch, der nicht täglich viele Stunden darauf wartet, dass er wieder gelesen wird, dass er wieder gebraucht wird?

Prinzessinnen, Königinnen, Feen, Hexen, alle weiblichen Wesen hier, entschuldigt bitte, dass ich immer wieder von <man> oder <er> spreche. Ich mache das wegen der leichteren Verständlichkeit und meine natürlich damit auch die weiblichen Mitarbeiter im Betrieb Märchenland.

Also zurück: Gibt es jemand unter euch, der nicht auch, so wie wir Wölfe, täglich darauf wartet, viele Zeit darauf wartet, dass er endlich wieder hervorgeholt wird, dass er endlich wieder seine Geschichte leben darf, weil ein Kind es liest, oder weil ein Elternteil oder jemand anderer unsere Erlebnisse vorliest oder gar erzählt?

Waaauuu! Unsere beste Zeit ist vorüber. Die Kinder kennen keine echten Wölfe mehr, sie haben auch keine Angst davor. Schließlich sehen sie diese so herrlichen Tiere nur noch im Zoo oder im Fernsehen, ja, auch im Internet, aber eben nur aus der Ferne. Wie sollen sie da den Nervenkitzel verspüren, den die Kinder früher erlebt haben, die noch in echter Wildbahn von Wölfen gehört haben, oder sie gar selbst erlebt haben?

König Drosselbart meinte, wir sollten Einsparungen suchen, wir sollten Rationalisierungsmöglichkeiten erkennen. Er hat Recht! Ein oder zwei Wölfe genügen hier. Wir haben auch schon darüber geredet, wer das Märchenland verlassen wird. Wir losen das einfach aus. Jeder von uns kennt sich so gut aus, dass wir alle Märchen mit einem Wolf versorgen können, sobald er gebraucht wird.

Aber nicht nur bei uns Wölfen ist Einsparungspotential, auch bei allen anderen Figuren. Vielleicht können wir unsere Geschichten zusammenführen, sodass wir noch weniger Märchenfiguren benötigen, beziehungsweise, dass wir Komparsen einsparen. Was meint ihr dazu?

Waaauuu! Ich habe gesprochen!“

 

„Das Murren wird noch lauter. Die Erregung erfasst immer mehr. Das soll die Rettung des Märchenlandes sein? Märchen zusammenführen? Märchenfiguren-Schering? Mehrere Märchen teilen sich spezielle Helden? Soll vielleicht das tapfere Schneiderlein plötzlich der Vater von den drei Söhnen sein, die im Märchen Tischlein deck dich in die Welt reisen? Oder soll die böse Stiefmutter von Schneewittchen auch die Stiefmutter von Aschenputtel oder von Schneeweißchen und Rosenrot werden? – Warum nicht. Aber wir merken, für viele hier scheint das undenkbar. Das Stimmengewirr gewinnt an Erregung.

Wer kommt wohl als nächster Redner heraus? – Wir sehen es nach der nächsten Werbepause.“

 

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„Haben Sie die Werbepause genutzt, um neue Getränke zu holen? Froschkönig hat wirklich genug Brunnenwasser für die Versammlung hier bereitgestellt, Sie aber an den Fernsehgeräten, müssen sich selber an ihr eigenen Vorräte machen. Das hat aber den Vorteil, dass eure Getränke schön gekühlt sind. Bei den hitzigen Diskussionen hier hätten wir auch lieber kühlere Getränke.

Wir sehen schon den nächsten, der sich zu Wort meldet. Es ist der jüngste Bruder aus dem Märchen vom Tischlein deck dich, also der Drechsler mit seinem Knüppel aus dem Sack, der sich auf die Bühne begibt. Ob der einen neuen Vorschlag hat?“

 

„Hmmm! Weinige von euch kennen mich, weil ich oft unterwegs bin. Ich bin der jüngste Sohn eines Schneiders. Wir haben eine unehrliche Ziege, wegen der meine beiden Brüder und ich von unserem Vater vertrieben wurden.

Aber das war gut so, wir haben so die weite Welt gesehen, und jeder von uns ist etwas Ordentliches geworden. Meine älteren Brüder sind Tischler und Müller. Ihr habt sicher von uns gehört. Dem Tischler gehört das Tischlein deck‘ dich und dem Müller der Goldesel und ich bin Drechsler und habe den Knüppel im Sack.“

 

„Zustimmendes Erkennen macht sich bemerkbar. Ein Raunen geht durch die Reihen. Alle sind neugierig, was der junge Drechsler für Vorschläge machen wird.“

 

„Viele von uns haben ganz spezielle Fertigkeiten, die weit und breit gefragt sind. Wenn wir diese anbieten, könnten wir zusätzlich zur Versorgung des Märchenlandes beitragen.

Also ich weiß zum Beispiel, dass die Polizei dankbar wäre, könnten sie auf meinen Knüppel im Sack zurückgreifen. Oder eine große Restaurantkette würde von uns das Tischlein deck‘ dich sofort auf Zeit mieten, ja sogar für teures Geld abkaufen wollen. Und erst der Goldesel meines Bruders, der hätte viel zu tun bei manchem maroden Staat. Wie schnell könnten die Menschen die Staatsschulden verringern, hätten sie unseren Goldesel. Oder …..

 

„Bis auf König Drosselbart, der sich sofort zustimmend aus seinem Thron erhob und bis auf die Wölfe, die im Chor ´Waaauuu!` heulten hat ein abwehrendes Geschrei eingesetzt. Sie, werte Zuseherinnen und Zuseher, können das live verfolgen. Der Großteil unserer Märchenhelden steht den bisherigen Vorschlägen ablehnend gegenüber. Und jetzt wurde der Drechsler unsanft von einem Bären, von einem Riesen und vom gestiefelten Kater von der Bühne gedrängt. Da hilft ihm jetzt sein Knüppel auch nicht! Das habe ich auch noch nie gesehen, so eine Aufregung. Ich brauche eine Erfrischung. Ich weiß nicht, wie es Ihnen am TV-Gerät geht, aber ich brauche etwas Intensiveres als Brunnenwasser. – Ah, das Tischlein deck‘ dich hat seinen Betrieb aufgenommen, da hole ich mir etwas. Nach der Werbepause bin ich gleich wieder da!“

 

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„So, da bin ich wieder. Jetzt wird am Rednerpult gearbeitet, wie Sie auf Ihren Bildschirmen sehen können. Eine Podest-Erhöhung wird gebracht und eine Treppe. Also kommt eine eher klein gewachsene Persönlichkeit als nächster an die Reihe. Ich sehe ihn schon. Es ist der, dessen Name niemand wissen darf. Er hat der Müllerstochter gezeigt, wie sie Stroh zu Gold spinnen kann. Wer ihn erkennt, darf seinen Namen nicht nennen. Dumm ist er nur, wenn er seinen Namen am Abend des zweiten Tages selber laut ausposaunt, sobald er einen Tag gebraten und einen Tag gebacken hat. Hören wir uns an, ob der kleine Mann eine große Idee hat!“

 

„Ich stehe heute hier als klein gewachsener Mann. Ja, manche sagen Zwerg zu mir, aber ich bin nur von der Körpergröße eben kleiner als ihr alle hier. Denken kann ich wie ein Großer, glaubt es mir!

Ja, wir haben wirklich arge Probleme im Märchenland, das hat nun sicher schon jeder begriffen. Aber, wen wundert das? Wir alle, und da nehme ich mich nicht heraus, also wir alle handeln immer noch so wie vor vielen hundert Menschenjahren. Wir haben immer noch die gleiche Sprache, wir begehen stets dieselben Handlungen und treffen immer die gleichen Figuren.

Freunde, Märchenhelden! Wir müssen etwas tun, wir sollten moderner werden, mit der Zeit gehen, sonst werden wir mit der Zeit gehen müssen.

Modernisierung ist die Rettung.

Wer sagt, dass wir durch das Märchenland GEHEN müssen? Wir könnten doch auch fliegen, oder mit dem Hoverboard rollen, wie es viele Kinder heutzutage auch tun.

Oder unsere Hexen, die wie vor hunderten von Jahren immer noch mit dem Besen herumkommen, warum könne die nicht mit einem Jetpack fliegen. Klar, sie müssen das besondere Fliegen erst lernen, trotzdem wäre das sicher für die heutigen Kids – nennen wir sie doch nicht mehr Kinder, sie sagen von sich selbst, sie sind Kids – also, wäre das für die Kids unserer Generation nicht ansprechender?

Ich bin überzeugt, wenn wir alle nachdenken, finden wir viele Möglichkeiten, wie wir die heutige moderne Technik einsetzen könnten. Auch neue Ideen sollten wir finden, um unser Märchenland wieder aktuell interessant zu machen und vor dem Vergessen werden zu retten.

Klar weiß ich, dass ich kleiner bin, wie die meisten von euch, aber meine Gedanken sind groß. Überlegen wir gut, was wir tun. Ich glaube nicht, dass wir uns auf mehrere Märchen aufteilen sollten, ich bin für Modernisierung! Wer genauso denkt, wie ich, der weiß, wie er sich dann bei der Abstimmung verhalten muss!

Danke, dass ich sprechen durfte!“

 

„Auch jetzt ist es verdächtig still geworden, aber diesmal scheint es eine zustimmende Stille zu sein. Modernisierung, aktuelle Techniken, neue Ideen. Der Zwerg, dessen Name niemand aussprechen darf, scheint die richtigen Worte gefunden zu haben. Wir stellen breite Zustimmung fest. Endlich einer, der sich wirklich umsetzbare Gedanken gemacht hat. Verwunderlich, was alles im kleinen Körper von Rumpelstilzchen – ach wie doof, jetzt habe ich doch den unaussprechlichen, geheimsten Namen genannt, bitte verratet mich nicht – also verwunderlich was in so einem kleinen Körper für Ideen schlummern. Herrlich!

Und schon kommt der nächste Redner auf die Bühne. Das Podium wird wieder neu gerichtet. Der nächste scheint ein wenig größer zu sein, als der Zwerg vorhin, dessen Name niemand sagen soll. – Ja, ich sehe ihn schon, es ist der gestiefelte Kater. Was uns der wohl verkünden wird?“

 

„Miau! Miau!

Bin ich froh, dass ich erst jetzt an der Reihe bin. Da stellte es mir die Haare auf bei so manchen Wortmeldungen, die ich bisher gehört habe. – Miau! Tja, da soll man noch einmal sagen, wir Kleinen sind dumm?

Miau, nein, das sind wir nicht! Im Gegenteil! Hört euch meinen Vorschlag an, wie wir unser geliebtes Märchenland vorm Vergessen-werden retten können.

Ich habe mich mit meinem Grafen beraten und natürlich mit dem Zauberer. Vielleicht haben wir die richtige Idee gefunden.

Wir haben uns überlegt, wann unsere Blütezeit war, nein eigentlich waren es Blütezeiten. Immer wieder gab es Perioden, wo wir vergessen wurden, und immer wieder kamen wir davon.

Ja, du Zwerg mit dem Namen, den wir nicht sagen dürfen, obwohl wir ihn alle kennen, miau, du hast ganz Recht mit deiner Idee der Modernisierung. Das ist sicher eine Möglichkeit.

Mein Graf und der Zauberer und natürlich ich selber, der gestiefelte Kater, also wir haben erkannt, dass es nach jedem Tief ein Hoch gab. So haben wir uns alte Berichte angesehen, was dieses Hoch jeweils verursacht hat.

Man muss das historisch, also geschichtlich sehen.

Zu Beginn wurden die Geschichten über uns von Burg zu Burg, von Haus zu Haus, ja von Höhle zu Höhle weitererzählt. Damals gab es weder Bücher noch Rundfunk, Film oder Internet. Ja, damals wurde einfach geredet.

Später hat Pechstein unsere Geschichten gesammelt und gedruckt. Das war der Beginn von unserem Höhenflug. Damals aber konnten nur wenige Menschen lesen, somit wurden die Geschichten doch wieder hauptsächlich weiter erzählt.

Als dann die Gebrüder Grimm ihre Sammlung von Kinder- und Hausmärchen als Buch herausgaben, da konnten schon viele Menschen lesen. Da begann der richtige Erfolgslauf. Plötzlich wurden wir rund um den Erdball bekannt.

Wieder eine Zeit später, wurden mit dem Stoff unserer Geschichten Filme gedreht. So ist heute Cinderella bekannter als Aschenputtel, obwohl dieser Film auf die Geschichte vom Aschenputtel zurückgeht. In der Zeit der Märchenfilme haben wieder viele Kinder über uns erfahren.

Noch einmal zum Mitdenken: Imme dann, wenn unsere Geschichten irgendwie neu gedruckt wurden, neu verfilmt wurden, eben neu bearbeitet wurden, gab es einen Höhepunkt im Märchenland.

Meine Lösung für unser Problem ist, na ja, eigentlich ist mein Graf auf die Idee gekommen, also ist es eher seine Lösung für unser Problem Miau!“

 

„Der gestiefelte Kater nimmt einen großen Schluck von seinem Wasser, aber das darf uns nicht wundern, der hat ja jetzt so viel gesprochen. Nur die Lösung hat er uns noch nicht verraten. Jetzt beugt er sich nochmals zu seinen zwei Begleitern links und rechts vom Podium. Ah, das sind ja der Graf und der Zauberer, ob die außer Konkurrenz auch etwas sagen werden? Auf der Rednerliste sind sie jedenfalls nicht! – Nun kommt er zurück in die Mitte zum Mikrofon. Sind Sie, liebes Publikum auch so gespannt auf die neue Lösung, wie ich?

Entschuldigen muss ich mich beim Sender, aber es ist gerade so spannend, dass eine Werbepause wirklich unangebracht wäre!“

 

„Miau! Da bin ich nochmals. Ich habe nur rasch mit meinem Grafen und mit dem Zauberer gesprochen, miau, ob sie ihre Lösung nicht doch selber vortragen möchten. Aber nein, ich soll weiter reden, meinten die beiden.

Also, der Graf meint, wir sollten versuchen, ob wir jemand finden, der unsere Geschichten neu erzählt. Womöglich in Versen erzählt. Märchen in Versen sollen gerade gesucht werden.

Meine Frage an euch alle: Kennt jemand von euch einen Dichter, der sich der Lösung unseres Problems widmen könnte?

Der Zauberer meint, wenn alle zauberkundigen Mitarbeiter im Märchenland ihre Kräfte vereinen, dann sollte es gelingen, einem Dichter die richtigen Ideen einzugeben. Also Alle Feen, Hexen, Trolle, Zauberer und dergleichen, sammelt eure Kräfte und sucht nach einem Dichter, der unsere Geschichten reimen kann, damit sie neu aufgelegt werden können.! Miau!“

 

„Frenetischer Applaus durchströmt das Märchenland. Sogar König Drosselbart, die Wölfe und die drei Brüder aus Tischlein deck‘ dich sind aufgesprungen. Alle geben sie ihr Zeichen der Zustimmung.“

 

„Miau! Ich bin es nochmals. Danke! Es freut mich, es freut uns, dass wir eine Idee beitragen konnten zur Rettung unserer Heimat! Miau!“

 

Sie haben es gesehen und gehört, ja sie hören den Beifall immer noch. Die Tribüne wird nochmals umgebaut. Das ist wirklich spannend heute! Wer kommt? – Ah, das Schneewittchen möchte noch etwas sagen.“

 

„Danke, Katerchen, danke auch deinen beiden Beratern, dem Grafen und dem Zauberer, aber auch danke dir, lieber Zwerg mit dem Namen, den niemand aussprechen darf, und danke allen anderen Mitdenkern und Mitrednern.

Viele Ideen wurden heute vorgestellt, und wahrscheinlich kann jede dieser Ideen zur Rettung von Märchenland beitragen. Mir haben besonders die letzten beiden Ideen gefallen. Modernisierung könnte uns sicher interessanter machen, aber auch die Idee der gereimten Märchen gefällt mir wirklich gut.

Liebe Zauberkundigen, es liegt nun an euch. Ich glaube, ich spreche im Namen aller, so wie der Applaus ausgefallen ist, liebe Zauberkundigen vereint eure Kräfte und findet den Dichter, der uns wieder aufleben lassen kann.

Wenn es euch Recht ist, treffen wir uns in einem Jahr wieder hier im Garten der Frau Holle um elf Uhr elfundelfzig. Dann schauen wir nach, ob sich etwas verändert hat.

Wer kennt einen Dichter? –

Frau Holle, danke, dass wir hier sein durften, danke auch dem Froschkönig und dem Tischlein deck‘ dich für unsere Versorgung. Mit solchen Mitstreitern muss alles gelingen.

Wir werden einen Dichter finden und wenn nicht, können wir ja immer noch über die Neustrukturierung mit einem Schering-Modell nachdenken! – Ich liebe euch alle!“

 

Mit diesem aufwühlenden letzten Statement von Schneewittchen beenden auch wir unsere Übertragung von der Versammlung. In Einzelgesprächen wird noch ein wenig weiterdiskutiert, aber die Zustimmung zum Dichter-Suchen ist wirklich sehr breit. Wir hoffen, dass es gelingen wird.

Einen guten Ausklang der Märchenauszeit um elf Uhr elfundelfzig wünscht das Team von <Grimm TV>. Wir bleiben natürlich noch vor Ort, beobachten die Gespräche und werden auch in einer Umfrage die Meinung der Mehrheit aber auch die kritischen Töne herausfinden. Mehr davon in unserem nächsten Livestream, <News im Grimm TV>, täglich aktuell im <Grimm Netz> zum Downloaden für euch alle bereitgestellt. Danke für eure Aufmerksamkeit sagt im Namen des gesamten Teams von <Grimm TV> euer Moderator Hugin!“