© by Reinhard Schwarz

Geschichte vom Leben

 Es war ein kalter Wintertag, als drei Soldaten mürrisch durch die kleine Stadt Bethlehem stapften. Der Wind pfiff um  ihre Helme und füllte jeden Spalt mit Staub und Straßensand. Die Harnische hingen schwer und starr an ihren Schultern, alles Eisen fühlte sich hart und kalt an. „Wer hat denn gesagt, komm zur Legion, und du wirst Ruhm und Ehre ernten?“, maulte einer von ihnen, ein baumlanger Kerl, der Anführer der kleinen Rotte. „Na, wer schon“, knurrte ein anderer, der kaum kleiner war, „der Kaiser in Rom natürlich.“  „Dem geht´s gut“, fing der erste wieder an, „der sitzt dort in seinem geheizten Palast, und wir -“ Er begann zu husten, denn der Sturm hatte eine dichte Staubwolke aufgewirbelt, die ihnen den Atem und die Sicht nahm.

 So stolperten sie schimpfend und fluchend auf ihrem täglichen Kontrollgang dahin. „Du redest heute überhaupt nichts“, sagte einer schließlich zum dritten der Soldaten, einem schmächtigen jungen Bürschlein. Der seufzte nur, und als die anderen ihm keine Ruhe ließen, meinte er endlich: „Ich muss ich dauernd an daheim denken.“ „Meinst du, wir nicht?“, entgegnete der andere grob. „Red keinen Blödsinn“, knurrte der dritte, „du denkst doch nur an Frauen.“ „Na, und wenn schon? Du denkst wahrscheinlich an gar nichts mehr. Der Wein hat dir das Hirn vernebelt.“ „Halts Maul! Du bist ja selber nicht mehr nüchtern.“ Fast hätten sie ernsthaft zu streiten begonnen, wie jeden Tag, aber der eintönige und langweilige Dienst hatte sie so sehr abgestumpft, dass ihnen selbst  das Streiten zu anstrengend war. 

 Aus einem Haus erscholl ein vielstimmiger, klagender Gesang. Der junge Soldat erschrak sichtlich. Die anderen deuteten ein Lachen an. „Hast du Angst vor Toten?“, fragte der Anführer hämisch. Und als der Junge verständnislos schaute, bequemte er sich zu einer kurzen Erklärung: „Da ist wer gestorben. Das ist die Totenklage.“ Der Junge senkte den Kopf. Der andere Soldat aber spottete: „Für einen römischen Legionär bist du bemerkenswert zart besaitet. Was ist los mit dir?“

 Nach einer guten Weile, als die drei die Klagelaute längst nicht mehr hören konnten, machte der junge Soldat seinen Mund auf: „ Es ist wegen meines Vaters. Er ist gestorben, am Tag bevor ich zur Legion gekommen bin.“ Die beiden anderen glotzten verständnislos. „Und meine Schwester war schwanger. Er hätte sein erstes Enkelkind sicher noch sehr gerne gesehen.“ „Und du auch, gell?“, brummte einer. Der Junge schwieg und nickte nur heftig mit dem Kopf, dass die Federn auf seinem Helm flogen. 

 Wieder stolperten sie weiter durch den Sturm und den Staub. Da gewahrten sie etliche junge Frauen, die etwas trugen und offenbar der kleinen Grotte hinter der Häuserzeile zustrebten. „He“, rief Anführer, „schau dir das an! Nichts wie ihnen nach!“ Und schon stapfte er los, der andere Lange hinterher. Der Junge zögerte, folgte ihnen aber schließlich doch.

 Die Frauen waren hinter einer dichten Wand aus Ästen und Blättern verschwunden, die sie sorgfältig wieder verschlossen hatten. Die drei Soldaten blieben davor stehen und lauschten. Undeutliches Murmeln drang durch die Äste. „Na, dann los“, rief der Lange, zog sein Schwert und hieb eine Schneise in die Blätter. „Das sind sicher Aufständische. Denen werden wir es zeigen!“ Und schon zwängte er sich hindurch, die beiden anderen ihm nach.

 Der Raum war voller Frauen, die schlagartig verstummten und den dreien mit großen Augen entgegenstarrten. Der Anführer grinste. „Ja, schau, was haben wir denn da?“, rief er und musterte die reglosen Gestalten abschätzend. Da rührte sich etwas auf dem Boden, und er bemerkte dort ein einfaches Lager aus Laub und Stroh, auf dem eine junge Frau lag. Der Mann begann  zu grinsen. „Ja, sehr schön“, rief er, „wirklich sehr schön!“

 Die junge Frau auf dem Lager schloss einen Moment die Augen. Dann hob sie lächelnd ihr Kind auf und hielt es den Männern entgegen. „Ja, es ist sehr schön, nicht wahr?“ Die Drei starrten mit offenen Mündern auf das winzige Wesen. „Auch eure Kinder sind sicher so schön. Aber das eigene ist immer am schönsten.“

 Da fand der Anführer seine Sprache wieder. „Hoho, komm uns nicht mit solchen Faxen!“, rief er. „Ich habe nicht diesen Balg gemeint, sondern dich!“ „Danke“, sagte Maria freundlich, „jeder Mensch ist auf seine Art schön. Auch eure Frauen zu Hause und eure Mütter, eure Schwestern und auch ihr selbst – wenn ihr euch zusammennehmt und nicht so schreit. Der Kleine ist das nicht gewohnt. Aber habt ihr vielleicht Wasser bei euch, wovon ihr uns geben könnt? Das wäre sehr schön von euch!“ „Habt ihr gehört?“, wandte sich der Anführer an seine beiden Kumpane. „Sie will von uns Wasser! Sonst noch etwas? Vielleicht auch etwas zu essen?“ Und er grinste höhnisch. „Gern“, sagte die Frau, „das wäre wirklich nett. Wie gut, dass es solche Menschen wie euch gibt.“

 „Aber, Frau – “, stotterte der Anführer, während die anderen noch immer stumm dastanden, „wir sind nicht da, um etwas herzugeben. Wir sind es gewohnt zu nehmen, was wir wollen!“ „Ich weiß“, sagte die Frau leise, „Gott wird es euch verzeihen. Er sieht, dass ihr im Innersten gute Menschen seid.“ „Was sprichst du von Gott“, zischte der Mann und beugte sich herab, „ich kenne ihn nicht.“ Maria antwortete ruhig: „Jetzt lästerst du Gott. Versündige dich nicht!“

 Da schüttelte der Anführer ungläubig den Kopf, dass die Federn auf seinem Helm flogen, und das gefiel dem Kindlein. Es gab ein paar glucksende Geräusche von sich, wie wenn es lachen wollte, und der Mann erstarrte. Eine lange Weile starrte er das winzige Wesen vor sich an. Der junge Legionär aber hatte seinen schweren Lederschlauch vom Gürtel gelöst und vor dem Lager auf den Boden gelegt. Da erwachte auch der Anführer  aus seiner Erstarrung, griff in seinen Tornister und warf hastig einige Brotfladen auf das Stroh.

 „Was glotzt ihr so blöd?“, schrie er plötzlich seine Kumpane an und versetzte seinem Nebenmann einen Tritt. „Verschwindet endlich!“ Und schon stolperte er durch die raschelnden Blätter hinaus, der andere Lange ihm nach. Der Junge aber kniete nieder und berührte ganz sacht das Kindlein. „Tod und Leben“, murmelte er, „wie nahe sind sie doch beisammen“. Die junge Frau nickte unmerklich. „Sie gehören zusammen“, flüsterte sie. „Aber jetzt freuen wir uns über das Leben.“

 Das löste die Erstarrung der umstehenden Frauen und sie begannen eifrig durcheinander zu reden. Der junge Legionär aber verließ schweigend die Grotte.  Draußen stieß er fast mit Josef zusammen, der ihn drohend anblickte und die Fäuste ballte. Doch der Soldat ergriff Josefs Hand, drückte und hielt sie eine kleine Weile in der seinen, dann drehte er sich hastig um und schritt eilends davon, seinen Kameraden nach.