© by Wilhelm Maria Lipp

Burli ist „Ratscherbub“

Schon ein paar Jahre ist Burli Ministrant. Regelmäßig kniet er auf den Altarstufen und bringt sich als Messdiener in der Kirche ein. Und er ist stolz darauf. Als einziger seiner Familie darf er diese ehrenvolle Aufgabe ausüben, ist er doch der einzige Bub hier. Alle seine Geschwister sind Mädchen, und die hatten zu seiner Zeit nicht das Recht, als Ministranten beim Gottesdienst zu sein.

Als Ministrant wird Burli zu Dienste eingeteilt. Er bekommt auch etwas dafür. Für jedes Mal ministrieren darf er eine Marke in sein Heft einkleben, für ein Begräbnis bekommt er eine andere Farbe. Die ist mehr wert. Immer, wenn das Blatt vollgeklebt ist, wird er vom Pfarrer oder vom Messner ausbezahlt. So verdient sich Burli ein Taschengeld. Wenn er bei einer Hochzeit ministriert, bekommt er direkt von der Hochzeitsgesellschaft ein Entgelt dafür, und das ist meistens höher, als er vom Pfarrer bekommen würde.

Neben dem Ministrieren gibt es noch zwei ehrenvolle Aufgaben. Rund um das Heiligen –drei-Königs-Fest gehen die Ministranten zum Sternsingen, verstärkt durch weitere Kinder, bei denen nun auch Mädchen sein dürfen. Dabei wird bei den Menschen Geld gesammelt für Projekte der Kirche vor allem in der Mission. Die Sternsinger persönlich bekommen manchmal eine Jause, manchmal Süßigkeiten, die sie sich hinterher aufteilen dürfen.

Den besten Zusatzverdienst als Ministrant und nur als Ministrant, andere Kinder durften zu seiner Zeit nicht dabei sein, bekam man als „Ratscherbub“. In der Zeit zwischen Gründonnerstag und Karsamstagmittag gingen die Ratscherbuben mit ihren Ratschen durch die Gassen des Dorfs und machten so richtig Lärm mit ihren Geräten. Und sobald der jeweilige Anführer der Gruppe seine Ratsche hob, stellten alle das Lärm machen ein und verkündeten in ihrem eigenen Singsang die Botschaft, die eben zu verkünden war. Das konnte bei jedem Umgang eine andere sein.

Die Ratschen ersetzten so die Glocken, die üblicherweise läuten würden. So ein Ratscherspruch war zum Beispiel:

„Wie ratschen, wir ratschen, den englischen Gruß, den jeder Christgläubige beten muss! Fallt nieder, fallt nieder auf eure Knie, betet drei Vaterunser und ein Ave Marie!“

Andere Sprüche waren kürzer. Die Ratscherbuben mussten schon zwischen vier und fünf Uhr am Morgen mit der Runde beginnen, dann wurde im Pfarrhof geruht oder im Pfarrgarten gespielt, bis es zu Mittag zur nächsten Runde ging. Der letzte Umgang war am Abend. Burli und alle anderen waren sehr müde, wenn sie spät nach Hause kamen, mussten sie ja auch bei den Feiern in der Kirchen ministrieren, als ab Gründonnerstag, jeden Abend bis spät in die Nacht. Trotzdem ging es am nächsten Morgen zeitig wieder los.

Für diese Tätigkeit wurden die Ratscherbuben aber auch fürstlich belohnt. Die Süßigkeiten, die Ostereier und vor allem das Geld, das sie nach dem letzten Umgang absammelten, alles wurde zwischen allen Ratscherbuben des Orts aufgeteilt. Da kamen schon ein paar hundert Schillinge zusammen. Burli freute sich jedes Jahr darauf und war stets eifrig beim Ratschen.

Einmal aber übertrieb er es mit einem Freund. Die Gruppe hatte sich geteilt, weil die Siedlung so groß war. Und damit jedes Haus seine Portion Lärm bekam, damit also jede Seitengasse von den Ratscherbuben begangen wurde, teilten sie sich in kleine Zweiergruppen auf, wenn diese sich getrauten, alleine ein Stück zu bewältigen. Burli und sein Partner trauten sich, sie waren nicht das erste Mal dabei. Allerdings saß ihnen der Schalk im Nacken, und wer würde es schon vor fünf Uhr in der Früh hören? So skandierten sie anstelle des langen üblichen Ratschergrußes folgenden Spruch:

„Wir ratschen, wir ratschen, de Weiwa, de gatschen, de Mauna, de Gauna, de rafn wie d´Hauna!“ Also übersetzt in verständlichem Deutsch heißt das: Wir ratschen, wir ratschen, die Frauen, die tratschen, die Männer, die Gauner (Halunken), die raufen wie die Hähne.

Man sollte es nicht glauben, hatte diesen Spruch tatsächlich jemand gehört, verstanden und erbost dem Pfarrer erzählt.

Das erfuhren Burli und sein Freund aber erst, nachdem alles abgerechnet war, alle Ministranten ihre Börsen mit ihrem Anteil füllen durften. Da wurde den beiden Übeltätern gesagt, dass der Pfarrer von ihrem Schmäh-Lied erfahren hatte und sie deshalb ihren Anteil als Spende an die Mission abgeben mussten. Wie groß war nun die Enttäuschung. Für eine einmalige Dummheit, für einmal übermütig gewesen sein, war das schon eine harte Strafe.

Nie wieder passierte den beiden so etwas. Sie waren in Hinkunft Vorbilder für die jüngeren Ministranten und wurden als „Oberministranten“ später sogar mitverantwortlich für solche Aktionen wie Ratschen oder Sternsingen.