© by Michaela Lipp

Michele auf dem Bauernhof der Familie Kuhn.

Die Geschichte von dem Hahn, der mich immer wieder angriff, habe ich ja schon erzählt, aber einige Zeit später gab es wieder einen Vorfall.

Ob der Kampfhahn inzwischen geschlachtet war, kann ich nicht sagen, aber er kommt in meinen Erinnerungen nicht mehr vor. Das Holztor am Hof war riesig groß. Das durfte ich nicht berühren. Es war vollkommen tabu, wie das (kleine) Tor in unserem Zuhause.

Direkt daneben war eine normal große Hoftür. Auch aus Holz, mit einem Holzzuggriff an der Seite. Das war ähnlich wie an den Wassertoiletten damals, die mit einer Kette und einem Holzgriff daran funktionierten.

Bei diesem Griff konnte man klingeln. Ein Drehgriff war in der Mitte, bei dem man die Tür aufmachen konnte. Alles war ein ausgeklügeltes System mit Stangen. Am Abend wurde einfach die Tür ausgehängt. Das hat mich fasziniert. Ja, mich hat eigentlich alles interessiert. Ich drückte und drehte überall, wo es ging, um zu sehen, was dann passiert.

Und auf einem Bauernhof gab es wirklich viel zu sehen. Also nicht nur die Tiere. Rechts nach dem Wohnhaus war dann der Rinderstall. Das war lustig, die Rinder leckten einem immer am Hals, wenn man zu nahekam. Hinten war die Milchkammer oder so etwas. Auf jeden Fall war dort ein Fenster zur Gasse, auf dem die Milchkannen standen, also die kleinen, Halbliter bis zwei Liter Kannen. Die meisten Milchkunden hatten zwei Kannen. Jeder, der Milch brauchte, brachte seine Kanne hin und stellte sie ab. Am nächsten Tag nahm er dann seine Milchkanne gefüllt wieder mit. Manche machten das täglich, also im Tausch. Bezahlt wurde einmal im Monat. Ja, diese Kammer da hinten war tabu. Die andere Milch wurde in große 20 Liter Blechkannen abgefüllt weggebracht. Im Dorf war dafür eine Sammelstation.

Nach dem Stall von den Kühen war hinten quer die Scheune. Da waren die ganzen Heu- und Strohballen, das Futter der Tiere, die Kartoffeln und die Maschinen. Also war die Scheune auch verboten für mich. Auf der linken Hofseite waren dann der Schweinestall, das Plumpsklo mit Zeitungspapier, und danach kam der Garten. Heute würde man Bauerngarten sagen. Viel Gemüse, wenige Blumen, das wars. Auch der war verboten für mich.

Aber natürlich hatte ich genug zu spielen. Meine Eltern halfen ja immer dort, wenn sie gebraucht wurden, also beim Säen, Ernten, Schlachten. Ich durfte nicht im Weg stehen. Der Misthaufen vor dem Rinderstall stank, da spielte ich freiwillig nicht. Die Hühner liebten ihn. Der Hof selbst war mit so blaugrauen Steinen gepflastert. Man sah, wo die Räder Furchen in die Steine geschliffen hatten. Die Treppe war aus rotem Sandstein, der am Main häufig vorkam. Auch sie war im Laufe der Jahre ausgetreten. Tausende von Fußtritten haben ihre Spuren hinterlassen. Die einst eckigen Kanten waren rund geworden. Und vor dem Garten stand ein mächtiger länglicher Gegenstand. An dem waren große und kleine Hebel. Es war spannend. Irgendwann bekam ich raus, wie ich auf diesen hinaufkommen konnte. Über die Gartenmauer und den Zaun stieg ich hoch. Das Ding roch übel, wie vieles am Bauernhof übel roch, aber die Versuchung, Hebel zu bewegen, war schon sehr verführerisch.

Dann war ich also am Ziel. Ich drückte erst vorsichtig, drehte an den Knöpfen, und irgendwann bewegte ich einen Hebel heftig. Es passierte nichts in meiner Nähe. Aus dem Haus kamen bald meine Mutter und die Bäuerin und suchten mich. Ich war ja offiziell nur aufs Klo gegangen, und das war schon länger her.

Was dann passierte, war sehr unangenehm. Beide Frauen schrien auf. Freiwillig ließ ich den Hebel los und schaute mich um. Da sie hinter mich deuteten, sah ich, wie aus einem Schlauch Flüssigkeit in den Garten gespritzt wurde.

Ich wusste nicht, dass dieses Ding der Tank mit Diesel für den Traktor war. Meine Eltern hatten damals noch kein Auto, kein Fahrzeug. Diesel, Benzin waren mir fremd, auch den Geruch kannte ich nicht. Somit hatte ich rumgespielt, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben.

Ich hatte mit meiner Spielerei den Garten mit Diesel gegossen. Wie die beiden Frauen mit mir schimpften, weinte ich heftig, obwohl ich davon nichts verstand. Aber ich hatte einen Fehler gemacht und hörte wieder einmal:

„Du Lausmädl!“