© by Rudolfine Haiderer

Warum hat Penelope auf Odysseus gewartet?

„Warum, Penelope, hast du auf mich gewartet und nicht wieder geheiratet?“ fragte Odysseus am Morgen nach seiner Heimkehr und richtete sich auf dem Lager auf. „Es waren so viele Jahre, du musstest mich für tot halten – und Freier hattest du genug!“

Den leichten Unterton von Eifersucht überhörte Penelope nicht und sie lächelte ein wenig. Aber sie schüttelte den Kopf mit dem von der stürmischen Nacht noch ziemlich verwirrten Haar. „Hast du vergessen, Liebster, dass du die Staatskasse mitgenommen hast? Ich musste doch zuerst einmal unsere Finanzen wieder in Ordnung bringen.“

Sie dehnte sich ein wenig in den Schultern und seufzte: „Und wer kann das besser, als eine Frau? Eine allein stehende Frau!“

Ungläubig verzog Odysseus die Mundwinkel, was Penelope veranlasste, von ihrem Gatten fort zu rücken. „Höre“, sagte sie mit einem drohend rollenden R. „Höre, es war nicht leicht, dem Land Sparsamkeit zu verordnen, Gehälter zu reduzieren, Minister zu entlassen, Lebensmittel zu rationieren, und vor allem Gesetze gegen das Tabakrauchen und Weintrinken durchzusetzen. Ich musste mit bestem Beispiel vorangehen und mich in Sack und Asche kleiden. Und du weißt“, sagte sie und ihre Augen funkelten vorwurfsvoll, „wie sehr ich schöne Kleider liebe!“

Odysseus griff nach dem Weinglas, das auf einem Schemel neben dem Lager stand und schlürfte demonstrativ vom feurigen Roten. „Und?“ fragte er lachend „ist es dir gelungen unseren Untertanen das einfache Leben beizubringen und vor allem die Frauen von ihrer Putzsucht zu befreien?“

„Natürlich!“ Triumph leuchtete aus Penelopes Augen. „Ich habe Sack und Asche einfach zur neuesten Mode gemacht! Du wirst es nicht glauben, aber Männer und Frauen tragen nun gleichermaßen knappe Hosen, die nicht einmal den Nabel bedecken und ausgefranste Beine haben, zerrissene Socken und kurze, verwaschene Brusttücher. Und je älter und hässlicher die Kleidung ist, umso glücklicher stolzieren sie damit herum.“

Odysseus zog seine Frau lachend an sich. „Du bist ein Genie!“ flüsterte er an ihrem Ohr. „Ich sehe schon, ich muss dich weiter wirtschaften lassen!“

„Du wirst gut daran tun! Geld ist wieder genug in den eisernen Truhen, die ich vergraben habe, damit niemand davon weiß und sie mir rauben kann.“

„Sie wussten nicht wo dein Geld liegt? Warum drängten sich dann die Freier so um dich?“

„Sie ahnten es wahrscheinlich, aber niemand wusste etwas genaues!“ –   Und du weißt es auch nicht, dachte Penelope und blickte ihren Gemahl prüfend an.

„Du meinst also, sie hätten dich nur deines Reichtums und nicht deiner Schönheit wegen umworben?“ fragte er galant. Dabei zog er das Laken über ihren Busen empor – nun ja, er war schließlich zwanzig Jahre fort gewesen – und tröstete sich mit dem Gedanken, dass die jungen Mädchen seines Landes in diesen neuen, sparsamen Fetzenkleidern viel Haut zeigen und daher besonders verführerisch sein müssten!

„Natürlich umwarben die Männer mich nicht meiner Schönheit wegen, da mache ich mir keine Illusionen!“ Penelope umhüllte sich fester. „Aber nun hast du sie ja alle umgebracht, wie die Schmeißfliegen. Es ist nicht schade um sie…. Obgleich…“ Die Frau zögerte ein wenig und blickte etwas verschwommen in die Ferne.

„Obgleich?“ misstrauisch betrachtete Odysseus die schwärmerisch hochgezogenen Brauen seiner Frau.

„Nun ja“, gab sie zu, „einige wären schon hübsche junge Männer gewesen! Mit festen Muskeln, (Odysseus zog den Bauch ein) und dichtem Lockenhaar (Odysseus runzelte die hohe Stirn) und strahlend weißen Zähnen (Odysseus schloss den Mund). …Aber…“ sie wandte sich wieder ihrem Gatten zu, „keiner wäre gewesen wie du!“

Und während ihr Gemahl geschmeichelt lächelte, dachte sie: …du Versager, der du zwanzig lange Jahre auf dem Meer herumgeirrt bist, dessen Eroberungen gescheitert, dessen Schiffe zertrümmert und gesunken sind und dessen Besatzung  schmählich umgekommen ist. Und der du nichts zustande gebracht hast, als wie ein alter Bettler nach Hause zurück zu schleichen…

Aber sie sagte mit betörendem Augenaufschlag: „…keiner wäre so ein kühner Seefahrer gewesen wie mein geliebter Odysseus! Und keiner wird nun so herrliche Geschichten erzählen können von gefährlichen Abenteuern und heroisch bestandenen Gefahren! Von keinem wird man in Jahrhunderten noch staunend und ehrfurchtsvoll in den Schulen lernen.“

Und mit diesen Worten hatte Penelope Odysseus zu dem strahlenden Helden gemacht, mit dem sie gemeinsam für immer in die Geschichte eingegangen war.