© by Wilhelm Maria Lipp

Mein Vater, der Weinkenner

 Als mein Vater ein so genannter Mann in den besten Jahren war, also so zwischen vierzig und fünfzig Jahren, war er ein vielgefragter Mensch. Beinahe täglich war er unterwegs oder kamen Leute zu uns. Wein war in seinen Kreisen sehr wichtig. Alle seine Freunde verachteten nie ein gutes Glas Wein. Wein zu trinken gehörte dazu. Ich glaube da hat sich bis heute noch nicht viel verändert. Und gegen ein maßvolles Glas Wein ist auch nichts auszusetzen.

Er trank besonders gerne Rotwein, aus der Rotweingegend rund um Haugsdorf und wartete diesen stolz auch seinen Gästen auf, war es doch ein „wirklich guter, besonderer Wein“, den er sich selber holte. Ich kann mich gut daran erinnern, wie Papa mit Opa, seinem Vater und mit mir als Gehilfen im VW-Bus zum Weinholen ins Weinviertel fuhr.

Papa kannte in Haugsdorf einen alten Hauer, bei dem er sich das Auto zweimal im Jahr mit Doppelliterflaschen Rotwein anfüllte. Einhundert Flaschen, also zweihundert Liter waren es sicher jedes Mal. Die Flaschen wurden zu Hause dann auf die Mitbesteller in seinem Freundeskreis ausgeliefert. Vater fühlte sich gut, war er doch wieder einmal der „Macher“ in der Runde.

An einmal kann ich mich besonders gut erinnern. Papa und Opa kosteten im Weinkeller den Wein frisch aus dem Fass. Der Winzer erzählte uns, aus welcher Riede der gekostete Wein stammte. Er verriet uns auch, dass der Wein aus diesem Fass nur für uns und für einen Wirt in der Nähe von Ochsenburg reserviert war. Ich war damals noch zu jung, ich durfte offiziell noch keinen Wein kosten, aber es beeindruckte mich, wie wichtig mein Vater war.

 Mein Vater war auch immer schon in Sachen Fischerei engagiert. Einer aus seinem Freundeskreis hatte ein Stück Traisen mitsamt den dazugehörigen Werkskanälen, den so genannten Mühlbächen gepachtet. Er bewirtschaftete dieses Revier und vergab Fischerkarten. Einmal im Jahr wurden der Reihe nach die Mühlbäche zur Pflege der Dämme und Uferbefestigungen trocken gelegt. Wenn diese „Bachabkehr“ war, halfen die Fischer und die Freunde mit, dass die Fische aus den Bächen in die Traisen umgesetzt wurden. Natürlich waren mein Vater und auch ich stets dabei.

 Am Ende des Arbeitstages wurden wir Mitarbeiter in ein Gasthaus zum Essen eingeladen. Wer fleißig arbeitet, soll auch gut essen. Als zu so einem Anlass das Gasthaus, welches wir üblicherweise aufsuchten, Urlaub hatte, wurde ein anderes Lokal ausgewählt. Wir aßen und tranken. Papa wollte nach dem Essen noch ein Glas Wein, ein Rotwein sollte es sein.

Als er diesen kostete, fragte er die Kellnerin, ob sie wisse, woher der Wein sei, er schmecke ihm so vorzüglich. Sie wusste es nicht und schickte den Wirt.

Nun brillierte mein Vater. Er hatte den Wein als denjenigen erkannt, den wir auch zu Hause hatten und sich daran erinnert, was uns der Winzer in Haugsdorf erzählt hatte.

Mit diesem Wissen verblüffte er den Gastwirten, indem er ihm den Weinkenner vorspielte. Papa rollte den guten Tropfen über die Zunge, spülte ihn von einem Mundwinkel in den anderen und erklärte, was er schmeckte. Das Aroma, das Bucket, den speziellen Geschmack.

Der Wirt staunte schon nicht schlecht, als mein Vater den Wein sogar als einen Haugsdorfer erkannte. Aber als er ihm auch noch die Riede sagte, auf der dieser Wein gewachsen war und zuletzt sogar noch den Namen des Hauers „erriet“, der gerade diesen Wein erzeugt hatte, bekam er die ganze Flasche für uns Mitarbeiter geschenkt. So einen Weinkenner hatte der Gastwirt noch nie in seinem Lokal gehabt.

Tja, nur ich wusste, woher mein Vater seine Informationen hatte, aber ich war wieder einmal stolz auf ihn und behielt mein Wissen für mich.