© by Ingrid Krüger

Anruf zum Muttertag

 „Hallo Mutter!
Ich wünsch‘ dir alles Gute zum Muttertag!

 Ich kann dir sagen liebe Mutter,
bei mir ist alles in Butter,
mit den Kindern geht es meist ziemlich rund,
aber Gott lob‘, wir sind alle gesund.
Jetzt haben wir uns schon über ein Jahr nicht mehr geseh’n,
wegen meiner immens vielen Arbeit, das wirst du sicher versteh’n.
Es tut mir leid,
ich hab‘ auch heute keine Zeit.
Wenn es sich einrichten lässt,
feiern wir nächstes Jahr das Muttertagsfest.
Wie wär’s wenn du heute deine Küche kalt lässt
und wieder einmal essen gehst?
Mach‘ dir einen schönen Tag!
Hab‘ dich lieb!
Mach’s gut!           Ba, ba!“

 Sie macht sich keine Illusionen,
er wird auch das nächste Jahr nicht kommen.
Es wäre ihr ohnehin egal, welchen Tag er wählt,
dass er sie besucht, ist das, was zählt.
Lange schon hätte sie gerne ein bisschen mehr,
die ganze Familie zu sehen, wünschte sie sich sehr.
Dieser Wunsch wird jedoch nicht erhört,
weil es die Schwiegertochter so stört.
Sie weiß nicht, was sie ihr tat,
dass sie sie nicht mag.
Ihre Enkelin ist schon sechs, ihr Enkelsohn zehn,
doch sie hat beide noch nie geseh’n.
Es wäre schön, eine richtige Familie zu sein,
doch sie ist und bleibt immer allein.
Ihn deshalb zu bedrängen, will sie nicht mehr riskieren,
damit würde sie ihn sicher ganz verlieren,
ist er doch ein wichtiger Teil in ihrem Leben,
so kann sie wenigstens weiterhin mit ihm reden,
auch wenn er bei ihr oft nur seinen Frust ablädt
und eher selten fragt, wie es ihr geht.

 Sein Verhalten ist ihr nicht einerlei,
aber das jahrelange Kränken und Grübeln ist vorbei.
Es ist eben so wie es ist, sie musste sich gewöhnen daran,
dass sie es ohnehin nicht ändern kann.

 Wütend, traurig sein, jammern, weinen, was nützt das schon,
sie liebt ihn trotz allem – ihn, ihren Sohn!